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Gleichstellung in Zeiten von Corona

Applaus allein reicht nicht

Aktuell stehen sie im Mittelpunkt: die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Die meisten sind Frauen – und von der Corona-Krise besonders betroffen. Bringt die Krise einen Rückschlag für die Gleichstellung der Geschlechter mit sich?

In vielerlei Hinsicht scheinen Frauen von der Corona-Krise besonders betroffen zu sein. Nicht nur in Pflege und Einzelhandel bringen sie uns durch die Krise, auch zu Hause tragen viele Frauen eine hohe Belastung und versuchen, Familienalltag und Beruf zu vereinbaren. Die Gewerkschaften kämpfen dafür, dass die Krise keinen Rückschlag für die Gleichstellung der Geschlechter mit sich bringt.

Noch mehr als zuvor stecken Frauen in der Erwerbsarbeit zurück, um sich um die Kinderbetreuung zu kümmern. Forschungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen, selbst wenn beide Elternteile im Homeoffice arbeiten, leisten Frauen täglich zweieinhalb Stunden mehr Sorgearbeit. Das wirkt sich direkt auf ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit aus. Während und nach der Krise muss eine faire Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit gefördert und dafür gesorgt werden, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr benachteiligt werden. Und das beginnt mit einem existenzsichernden Einkommen und der Aufwertung systemrelevanter Berufe.

Frauendominierte (systemrelevante) Berufe fair bezahlen

Die Arbeit mit Menschen, Drei-Schicht-Arbeit, Arbeit an Wochenenden. Menschen pflegen, Waren schleppen, Regale einräumen und sich anmotzen lassen. Es gibt nur wenige Männer, die Krankenpfleger oder Verkäufer werden wollen. Wohl auch, weil diese frauendominierten Berufe so bescheiden bezahlt werden. Weniger physische oder psychische Belastungen können dafür allerdings keine Argumente sein. Das beweist der „Comparabel Worth-Index“. Forscherinnen haben die Gesamtanforderung von Berufen nach Wissen und Können, physischen Anforderungen, psychosozialen Belastungen und Verantwortung verglichen. Das Ergebnis: Frauendominierte Berufe werden trotz vergleichbarer Anforderungen schlechter bezahlt als männerdominierte Berufe.

So liegt beispielsweise der Einzelhandel auf dem gleichen Niveau wie der Hilfsarbeiter in der Metallindustrie. Beim Gehalt gibt es aber große Unterschiede: Während der durchschnittliche Stundenlohn von Verkäuferinnen (65 Prozent Frauenanteil) bei 12,77 Euro brutto liegt, bekommt der Hilfsarbeiter in der Metallindustrie (80 Prozent Männeranteil) knapp sieben Euro mehr pro Stunde. Die gerade so wichtigen Pflegefachkräfte (75 Prozent Frauenanteil) erhalten 19,25 Euro pro Stunde, während die vergleichbare Berufsgruppe der Elektroingenieure (87 Prozent Männeranteil) mit 30,74 Euro rund 60 Prozent mehr bekommt.

Harte Euros statt Applaus

Jetzt gibt es Applaus für die Frauen, deren Job kaum ein Mann machen möchte. Jetzt stehen sie im Mittelpunkt: die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeheimen, ja sogar die Verkäuferinnen und Kassiererinnen in den Supermärkten gelten nun als „systemrelevant“. Sie halten die Läden und die Krankenhäuser am Laufen. Sie bringen uns durch die Krise. Aber Applaus allein reicht nicht. Auch keine Corona-Zulage. Vielmehr sollte sich die Dankbarkeit regelmäßig zum Monatsende niederschlagen – in harten Euros auf dem Gehaltszettel.

Seit Jahren fordern wir Gewerkschaften „gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“. Jetzt noch mehr als vor der Krise. Wer in den Branchen mit hohem Frauenanteil wie im Sozial- und Gesundheitsbereich oder Dienstleistungssektor arbeitet, will davon leben können, die Miete und den nächsten Urlaub mit der Familie bezahlen. Und natürlich sollte die Rente am Ende eines Arbeitslebens ebenfalls so auskömmlich sein. Es muss ohne staatliche Unterstützung gut reichen. Viel zu oft geraten Frauen in die wirtschaftliche Abhängigkeit von ihrem Partner – Altersarmut droht.

Zwei Drittel aller erwerbstätigen Frauen haben keine langfristige Existenzsicherung, nur zehn Prozent aller Frauen (im Vergleich zu 42 Prozent der Männer) verfügen über ein eigenes Nettoeinkommen von über 2.000 Euro monatlich. Frauen können im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 50 Prozent weniger Einkommen als Männer ansammeln und erhalten 53 Prozent weniger Rente. Das sind alarmierende Ergebnisse, die verdeutlichen: Wir müssen aktiv werden.

Auf diese Missstände weisen wir Gewerkschaften seit Jahren am Equal Pay Day hin. Dienstleistungsberufe und soziale Berufe endlich aufzuwerten, sie besser zu bezahlen, gehört seit jeher zu unseren Kernforderungen. Schließlich ist Deutschland mit seiner durchschnittlichen 20-Prozent-Lohnlücke zwischen Männer- und Frauengehältern eines der Schlusslichter in der Europäischen Union. Und die schlechtere Bezahlung frauendominierter Berufe trägt ihren Teil dazu bei.

Auch Männer sind systemrelevant

Bevor Missverständnisse aufkommen: Ja, auch Männerberufe sind systemrelevant. Nehmen wir das Beispiel des LKW-Fahrers, der aktuell dafür sorgt, dass die Supermärkte bestückt sind und Krankenhäuser beliefert werden. Oder den Paketlieferanten, der momentan so viel zu tun hat wie im Vorweihnachtsgeschäft. Alles Berufe, die vor allem von Männern ausgeführt, auch schlecht bezahlt werden und in denen seit Jahren die schlechten Arbeitsbedingungen angeprangert werden.

Natürlich könnte man nun argumentieren, dass es gerade die Verkäuferinnen, Krankenschwestern und Pflegenden sind, die täglich im Kontakt mit Menschen stehen und ein erhöhtes Krankheitsrisiko eingehen. Es geht allerdings nicht darum, die einen gegen die anderen aufzuwiegen, sondern ein schwerwiegendes Problem auf die Agenda zu setzen: Es sind vor allem frauendominierte (oftmals systemrelevante) Berufe, die schlechter bezahlt werden.

Kehren alte Rollenmuster zurück?

Offen bleibt die Frage: Warum werden frauendominierte Berufe so schlecht bezahlt? Neben der Annahme, dass die Belastungen dort niedriger seien, ist einer der Hauptgründe, dass Frauenberufe historisch gesehen mehr als Nebenverdienst betrachtet wurden. Mit Männerberufen musste dagegen eine Familie ernährt werden. Zurückzuführen ist das auf die traditionelle Rollenverteilung. Allerdings herrscht in Deutschland immer noch das Modell vor: Der Mann arbeitet in Vollzeit, die Frau in Teilzeit und hält gleichzeitig Kinder und Haushalt am Laufen.

Die aktuelle Krise birgt die große Gefahr, dass sich alte Rollenmuster wieder stärker verfestigen. Denn wer in der Krise in der Erwerbsarbeit zurücksteckt, um sich um Kinderbetreuung inklusive Homeschooling und Haushalt zu kümmern, sind oftmals die Frauen. Dass sich das langfristig auf die Rollenverteilung auswirken kann und damit auch auf die eigene Existenzsicherung und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen, liegt auf der Hand.

Wann, wenn nicht jetzt!

Wann, wenn nicht jetzt werden unsere frauen- und gleichstellungspolitischen Forderungen anerkannt und umgesetzt? Das dachten sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und insgesamt 20 bundesweit tätige Organisationen und Verbände und formulierten Forderungen an die Bundesregierung und Arbeitgeber.

Die Pandemie vergrößert alle gleichstellungs- und frauenpolitischen Probleme und Schieflagen. Deshalb wird es höchste Zeit für finanzielle Aufwertungen und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, im Gesundheitswesen, der Erziehung und im Einzelhandel, die Abschaffung der Sonderregelungen für Minijobs, Rahmenbedingungen und Arbeitszeiten, die es Eltern ermöglichen, sich die Care-Arbeit gerecht zu teilen. Jetzt heißt es, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Krise die Gleichstellung nicht zurückwirft. Vielmehr sollten wir die Aufmerksamkeit auf die Arbeit der Frauen richten und dafür sorgen, dass Arbeit fair verteilt und fair bezahlt wird.

Kontakt
Manuela Reichle
Referentin für Hochschule und Forschung; für Frauen-, Geschlechter- und Gleichstellungspolitik; gewerkschaftliche Bildung
Telefon:  0711 21030-24