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Migrierte Lehrkraft erzählt

Da fehlt ein Komma

Die finnische Lehrerin Marjatta Ziegler hat vor 50 Jahren das Berufsanerkennungsverfahren in Baden-Württemberg durchlaufen. Hier schildert sie ihren steinigen Weg – und verrät, was in Helsinki anders läuft als in Ludwigsburg.

Marjatta Ziegler mit ihrem Mann in Ost-Finnland
Marjatta Ziegler mit ihrem Mann in Ost-Finnland

Im Grunde durchlief ich als finnische Lehrerin – vor genau 50 Jahren – ein ähnliches Berufsanerkennungsverfahren wie in der b&w-April–Ausgabe beschrieben. Meine gründlichen Sprachkenntnisse, vielleicht auch finnischer „Sisu“, das mit „unnachgiebig, trotz widriger Umstände“ übersetzt werden kann, waren wichtige Voraussetzungen, damit ich in Baden-Württemberg unterrichten konnte. Der damalige Lehrermangel war auch hilfreich.

Lehrerin wollte ich auf keinen Fall werden. Unsere Eltern versprachen aber, ihren fünf Kindern zwei Studienjahre zu finanzieren. Die Pädagogische Hochschule (PH) in Helsinki war die einzige akademische Einrichtung, die eine Studiendauer von nur vier Semestern anbot. In zwei Jahren hätte ich – gerade 20-jährig – einen Beruf, hätte keine Schulden, könnte in Helsinki bleiben, auf der Uni weiterstudieren – und sehr wichtig: in der Lehrerfeuerwehr meinen Lebensunterhalt verdienen. In Finnland fallen wenige Unterrichtsstunden aus, für Vertretung wird sofort gesorgt. Also bewarb ich mich, wurde zu den mehrtägigen Aufnahmeprüfungen eingeladen und bestand sie.

Gute vier Jahre später schrieb ich mich auf der PH Ludwigsburg ein und mietete ein möbliertes Zimmer mit fließend kaltem Wasser in der Moltkestraße. Im Sommer hatte ich im internationalen Studentenclub in Helsinki einen Studenten aus Stuttgart kennengelernt, hatte mich verliebt und wollte die Heimat meines Freundes kennenlernen.

Es war interessant zu erleben, wie locker und mit wie wenig Zeitaufwand das PH-Studium in Ludwigsburg verlief. Kein Wunder, dass wir in Helsinki mit unserem Wochenpensum das Studium in viel kürzerer Zeit absolvieren konnten. Der größte Unterschied war, dass in Helsinki jeder von uns im zweiten Studienjahr sieben Monate lang wechselnde Grundschulklassen in je zwei Fächern unterrichtete. Den Unterrichtsentwurf zeigten wir im Voraus der betreuenden PH-Lehrkraft. In der zehnminütigen Pause waren alle Studierenden bei der Kritik dabei. Wir mussten folglich auch in 200 Unterrichtseinheiten bei Mitstudierenden hospitieren. Damit war der Vormittag sinnvoll gefüllt. Ab 13 Uhr liefen bis zum späten Abend die Vorlesungen an der PH.

Nach fünf Monaten war mein Erspartes in Ludwigsburg aufgebraucht. Ich meldete mich als Arbeitssuchende auf dem Arbeitsamt und bat beim Kultusministerium in Stuttgart um einen Termin. Meine Deutschkenntnisse waren sehr gut und in Finnland hatte ich bereits zwei Jahre unterrichtet. Was sprach also dagegen, auch in einer hiesigen Grundschule zu arbeiten? Nach dem dritten Termin haben mich die Herren auf dem Kultusministerium in Stuttgart nicht mehr unverrichteter Dinge nach Hause geschickt. Sie ließen meine Unterlagen auf der Zentralstelle des ausländischen Bildungswesens in Bonn prüfen.

Das Oberschulamt in Stuttgart hatte meine Arbeitssuche entdeckt und lud mich ein. Der Direktor empfing mich etwas kurz angebunden, aber freundlich. Es ging um eine Vertretung in der Grundschule Marbach. „Sprechen können Sie ja, aber wie ist es mit dem Schreiben?“, fragte er, nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten. Ich sollte die beiden Pädagogischen Hochschulen in Helsinki und in Ludwigsburg miteinander vergleichen. Nach einer Stunde kam er ins Zimmer zurück, las meinen Aufsatz durch und sagte nur: „Da fehlt ein Komma“.

So kam ich in den Schuldienst, noch bevor die Zulassung („finnisches Studium vergleichbar mit dem deutschen“) nach sieben Monaten aus Bonn eintraf. In meiner zweiten Klasse hatte ich 40 Kinder. Dazu bekam ich öfters zwölf Schüler/innen von einer Parallelklasse, als ihre Lehrerin krank war. Von meinen ausländischen, sehr braven Schüler/innen (ein Drittel der gesamten Klasse) konnte kaum ein Kind Deutsch. Ein deutscher Junge wiederum hatte schwere psychische Probleme und hätte dringend besondere Betreuung gebraucht. Das war eine harte Schule für eine junge, noch unerfahrene ausländische Lehrerin. Der Rektor der Schule hätte mich gerne behalten. Ich war jedoch heilfroh, der Fortsetzung entfliehen zu können. Mein Verlobter hatte ein Stipendium für die Technische Hochschule Helsinki bekommen.

Vor unserer Rückkehr nach Deutschland erkundigte ich mich in allen Bundesländern, ob ich dort als Lehrerin arbeiten könnte. Von allen, außer Bayern, bekam ich eine positive Antwort. Wir landeten am Bodensee, ich kam an die Grundschule Liggeringen auf dem Bodanrück. Dort unterrichtete ich bis zur Geburt unserer Zwillingstöchter die Klasse 1/2.

Ich bildete mich weiter und war in späteren Jahren nur noch im Musik- und Tanzbereich tätig, anfänglich als Honorarlehrkraft, dann mit einem Bundes-Angestelltentarifvertrag. Im Moment unterrichte ich Deutsch in einem Integrationskurs. Unter den Teilnehmer/innen sind drei Lehrerinnen, die zu den aktivsten gehören und sicher gerne in Deutschland unterrichten würden. Der Weg dahin ist immer noch steinig, ist aber mittlerweile strukturiert, wird unterstützt und ist machbar. Ich finde es großartig, dass die GEW hier Unterstützung leistet. Deutschland braucht diese Lehrkräfte.

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
Telefon:  0711 21030-36