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Ein Masterplan muss her

Theoretisch ist für junge Flüchtlinge in Baden-Baden der Weg zur Ausbildung geebnet. Dafür setzen sich Daniel Wunsch, Simone Buchmüller und Christian Theurer schon seit vielen Jahren ein. Praktisch gibt es viele Hürden zu überwinden.

Das Dokument mit dem sperrigen Titel „Integration junger Flüchtlinge in Ausbildung – Unterstützung durch die Agenturen für Arbeit in Baden-Württemberg“ mit zahlreichen Pfeilen und Kästen ist auf den ersten Blick verwirrend und unübersichtlich. Auf den zweiten Blick und dank der ausführlichen Erklärung von Daniel Wunsch, Beratungslehrer und Lehrer in den VABO- und VAB-Klassen der Louis-Lepoix-Berufsschule, Simone Buchmüller, Teamleiterin der Berufsberatung Rastatt, und dem Jugendberufshelfer der Stadt Baden-Baden Christian Theurer erkennt man unterschiedliche Möglichkeiten, wie sich junge Geflüchtete für eine Ausbildung qualifizieren können. Das Netz ist eng geknüpft und alle Beteiligten arbeiten Hand in Hand – mit viel Engagement und Herzblut.

Vom VABO bis zur dualen Ausbildung
Zurzeit gibt es drei Klassen im Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen (VABO) an der Louis-Lepoix-Berufsschule. Wenn die Schüler/innen den Sprachstand A2 erreicht haben, gehen sie weiter in das Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf (VAB). Das Ziel ist, die Schüler/innen zum Hauptschulabschluss zu führen, die Sprachkenntnisse zu verbessern und berufliche Qualifikationen durch Praktika zu vermitteln. „Mit intensiver Praktikumsbetreuung versuchen wir, die Berufsausbildungschancen zu steigern“, hebt Wunsch hervor. Schule und Arbeitsagentur arbeiten dabei eng zusammen. „Wir gehen in die VABO-Klassen und bieten Beratung für jeden einzelnen Schüler, jede einzelne Schülerin an“, erläutert Buchmüller den Part der Arbeitsagentur. Dabei versucht die Beraterin den Sprachstand zu klären, wie der schulische Werdegang bisher gewesen ist und wie dieser weitergehen kann. Zudem informiert Buchmüller die Jugendlichen über die duale Ausbildung, denn dieses System ist den meisten Schüler/innen fremd. Eine Ausbildung schließt sich idealerweise nach dem VAB-Jahr an. Der Weg über die Schule (zwei Jahre) und duale Ausbildung (drei Jahre) zeigt jedoch, dass fünf Jahre nicht ausreichen, um die sprachlichen Hürden zu überwinden. „Bestenfalls sollten noch einmal zwei Jahre Sprachkurs vor der Ausbildung dazukommen“, meint Wunsch. Sieben Jahre bis zur Beschäftigung? „Da habe ich Bedenken“, wirft Theurer ein. Die Schüler/innen würden in dieser langen Zeit ungeduldig und frustriert werden. Fast alle jungen Flüchtlinge sind verschuldet und wollen so schnell es geht Geld verdienen.

Etwa 30 Prozent der Geflüchteten sind zwischen 16 und 24 Jahre alt. In den landesweit rund 500 VABO-Klassen sind mittlerweile fast 8.000 Schüler/innen. „Seit Beginn dieses Schuljahres dürfen wir allerdings nur noch Schüler/innen zwischen 15 und 19 Jahren aufnehmen“, beklagt Wunsch. Im Schuljahr 2014/15 lag die Altersgrenze bei 21 Jahren und älter. Alle Flüchtlinge, die älter als 19 Jahre sind, haben aufgrund dieser Regelung nun keine Chance mehr auf einen geregelten Schulbesuch. „Dies ist besonders tragisch, weil viele der Jugendlichen aus ihren Herkunftsländern gute Schulbildungen mitbringen, aber in den Jahren des Krieges und/oder der Flucht keine Schule mehr besuchen konnten“, führt Wunsch weiter aus.

Maßnahmen der Arbeitsagentur

Wenn Schüler/innen nicht weiter in den normalen Schulbetrieb integriert werden können, dann fängt die Arbeitsagentur sie auf. „Bei uns gilt das Motto ,Kein Abschluss ohne Anschluss‘“, betont Buchmüller. Die Arbeitsagentur hat dafür verschiedene Programme entwickelt. Für Jugendliche, die noch nicht wissen, welchen Beruf sie ergreifen möchten, gibt es eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme mit Sprachunterricht (PerjuF). Ziel ist, dass sich der Berufswunsch der Jugendlichen stabilisiert und die Sprachfähigkeit verbessert. Interkulturelles Training gehört ebenfalls dazu.

Seit letztem Jahr bietet die Arbeitsagentur zudem eine Einstiegsqualifizierung plus Sprachkurs (EQ) für Flüchtlinge bis 25 Jahre, in Ausnahmefällen auch bis 35 Jahre, an. Diese Qualifizierung kann bis zu einem Jahr dauern. Die jungen Erwachsenen sind hierbei von Montag bis Mittwoch in einem Betrieb tätig. Donnerstag und Freitag nehmen sie an einem Sprachkurs teil, in dem auch berufsbezogene Begriffe vermitteln werden. „Der Kurs hat sehr viel Zulauf bei den Jugendlichen und bei den Arbeitgebern“, schildert Buchmüller. Aktuell seien über 20 Teilnehmer/innen in dem Kurs, die in eine Ausbildung übernommen werden sollen.

Ein weiteres Angebot ist die assistierte Ausbildung (AsA) mit berufsbezogener Sprachförderung und sozialpädagogischer Begleitung, an der auch über 25-Jährige teilnehmen dürfen. „Wir machen die Erfahrung, dass viele Betriebe Bedenken wegen der mangelnden Sprachkenntnisse haben. AsA ist oftmals ein Türöffner für eine Ausbildung, denn dann wissen die Unternehmen, dass ihre ausländischen Azubis gut betreut werden“, fasst Christian Theurer seine Erfahrungen zusammen und hat auch gleich ein Beispiel parat: „Wir haben einen Schüler, der das VAB mit Hauptschulabschluss im letzten Schuljahr gemacht hat. Danach hat er eine Ausbildung als Maler begonnen. Hier war er überfordert: viel arbeiten, das Leben auf die Reihe kriegen und in der Schule funktionieren. Wir haben nach einer Lösung gesucht und sie in Form von AsA gefunden. Jetzt hoffen wir, dass ihm so geholfen ist.“ Allerdings stellt die baden-württembergische Arbeitsagentur nur 500 Plätze für eine assistierte Ausbildung zur Verfügung – für 8.000 Schüler/innen in den VABO-Klassen.

Erweiterung des Netzwerks
Damit alle Beteiligten an einem Strang ziehen und um Reibungspunkte bei der Vermittlung von Ausbildungsplätzen so gering wie möglich zu halten, versucht Daniel Wunsch, das Netzwerk zu erweitern: Jugendhilfe, Jugendamt und Betreuer, Trägerstellen und der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) will er mit ins Boot holen. „Wir haben immer mehr unbegleitete, minderjährige Ausländer, deswegen ist die enge Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe und dem Jugendamt so wichtig“, erklärt er. In Baden-Baden leben derzeit 44 minderjährige Flüchtlinge. „Das hört sich erst einmal nicht viel an, aber für uns sind das drei neue, volle VABO- oder VAB-Klassen, die wir zusammen mit der Jugendhilfe koordinieren müssen“, stellt der Pädagoge klar. Vor vier Jahren war die Louis-Lepoix-Schule eine der ersten, die Flüchtlingsklassen geschaffen hat. „Deswegen sind wir heute sehr weit, was die Konzeption und Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Beteiligten angeht“, sagt Wunsch. Man verständige sich auf kurzem Weg, was die Arbeit wesentlich vereinfache.

Suchen alle direkt Beteiligten nach praktischen Lösungen für die Ausbildung und Integration der jungen Flüchtlinge, werden ihnen laut Wunsch von anderer Seite viele Steine in den Weg gelegt. „Ich habe den Eindruck, dass die Integration vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und von den Landesbehörden gar nicht gewünscht ist, entgegen aller großspurigen Verlautbarungen“, äußert sich Wunsch frustriert. Für ihn wären ein bundesweiter Masterplan zur Abstimmung aller Maßnahmen, Schulrecht bis 25 Jahre, keine Unterscheidung nach guten und schlechten Flüchtlingen und die Gewährung des Bleibeschutzes während der gesamten Schul- und Ausbildungszeit die Voraussetzungen für eine ernstgemeinte Initiative.

Kontakt
Magdalena Wille
Referentin für Berufliche Bildung und Weiterbildung
Telefon:  0711 21030-21
Mobil:  0160 90565239