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Friedensbildung ist nicht nur aktuelle Politik

Seit August 2015 gibt es die „Servicestelle Friedensbildung“ in Baden-Württemberg. Die Stelle, die bis Ende des Jahres befristet ist, soll Angebote der Friedensbildung besser vernetzen, für Schulen und Pädagog/innen sichtbarer machen und neue inhaltliche Impulse setzen. B&w sprach mit Claudia Möller, der Leiterin der Servicestelle.

Foto: imago

Frau Möller, Sie arbeiten seit einem Jahr in der Servicestelle Friedensbildung. Was haben Sie in diesem Jahr alles auf die Beine gestellt?
Dank der Arbeit vieler und guter Netzwerke in der Kürze der Zeit doch eine ganze Menge. Wir haben einige Veranstaltungen angeboten und mit Fortbildungen und Materialien Schulen und Lehrer/innen erreicht. Unsere Internetseite mit vielen Angeboten wurde schon im Januar online gestellt.
Der Aktualität ist es geschuldet, dass wir neben dem Thema der zivilen Konfliktbearbeitung auch das Thema „Krieg und Flucht im Unterricht“ als Schwerpunkt  gewählt haben. Zu Letzterem haben wir für Lehrkräfte zwei sehr erfolgreiche Fortbildungen an der Landesakademie auf der Comburg angeboten. Dabei ist es uns gelungen, Lehrkräfte aller Schularten aus den Sekundarstufen I und II sowie unterschiedlichster Fächer, von den Naturwissenschaften bis zu Geisteswissenschaften, zu erreichen. Es gab viel mehr Anmeldungen, als wir annehmen konnten. Im Oktober 2016 und Februar 2017 wird es erneut Fortbildungen auf der Comburg geben.

Mit welchem Interesse sind die Lehrkräfte gekommen?
Unterschiedlich. Lehrkräfte, die geflüchtete Kinder unterrichten, wollten erfahren, wie sie mit den Kindern und Jugendlichen umgehen können. Es nahmen Gemeinschaftskundelehrkräfte teil, die sich fragen, wie sie das komplexe Thema Syrien richtig aufbereiten können. Dafür haben wir Prof. Tina Zintl von der Uni Tübingen eingeladen, die als Politologin die Region oft bereist und Konfliktanalysen gemacht hat. Sie untersuchte Fragen wie: Welche Akteure sind in Syrien aktiv? Wie kommt der Konflikt zustande? Wie ist die Gemengelage in der internationalen Politik? Mit solch wissenschaftlichen Hintergrundinformationen, aber auch ganz praktischen Unterrichtsmaterialien stärken wir die Fachkompetenz der Lehrkräfte.
Wir bedienen zwar vorrangig die fachlich-inhaltliche Ebene, können aber auch bei pädagogischen Fragen unterstützen, vermitteln und Materialien anbieten. Einige Lehrkräfte beschäftigt  beispielsweise das Thema traumatisierte Kinder in der Klasse sehr stark. Dazu haben wir konkrete Empfehlungen.

Waren Sie überrascht davon, dass der Bedarf an dieser Fortbildung so groß ist?
Mit Blick auf das aktuelle Weltgeschehen wäre es uns lieber, wenn das Thema gar nicht diese Relevanz hätte. Dass unsere Konzeption des Lehrgangs auf so große Resonanz gestoßen ist und wir auch sehr positive Rückmeldungen bekommen haben, freut uns natürlich sehr. Überrascht hat es uns nicht.

Was planen Sie noch?
Wir wollen mit Angeboten noch stärker direkt in die Schulen. Ich bin dabei, Teamer/innen auszubilden, die anschließend dreistündige Workshops an Schulen zu ziviler Konfliktbearbeitung durchführen können. Die Teamer/innen werden an dem pädagogischen Begleitprogramm zur Posterausstellung „Peace Counts School“ der Berghof Foundation geschult, die von Lehrkräften an die Schulen geholt werden kann. Ich selbst mache eine Ausbildung zur Betzavta-Trainerin. Das ist ein Demokratie- und Friedensbildungs-Programm, das in Israel entstanden ist. Dabei geht es um unterschiedliche Demokratieverständnisse und wie man das miteinander Leben gut gestalten kann. Mir gefällt daran, dass man nicht viel Material dafür braucht und es viele kleine Übungen gibt, mit denen man selbst sein Demokratie-Erleben und -Verständnis in einer Gruppe, z. B. einer Schulklasse, ausprobieren kann. Das Programm biete ich demnächst Schulen an.

Der ehemalige Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hat zusammen mit 17 Organisationen aus der Friedensbewegung die „Gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Friedensbildung an den baden-württembergischen Schulen“ unterzeichnet. Das ist die Grundlage Ihrer Arbeit. Kann die Servicestelle die Friedensbildung an den Schulen des Landes tatsächlich stärken?

Sie kann. Friedensbildung ist ja nicht neu und viele der 17 Organisationen gibt es schon lange. Die Servicestelle kann ihre Arbeit noch sichtbarer machen, selbst Angebote machen und neue Impulse setzen. So entstehen zusätzliche Ressourcen und Synergieeffekte, und Zielgruppen können besser erreicht werden.
Träger der Servicestelle ist das Kultusministerium, die Landeszentrale für politische Bildung und die Berghof Foun-dation. Eine Steuerungsgruppe mit fünf Mitgliedern und ein Beirat unterstützt die Arbeit. Personell ausgestattet ist die Stelle mit Ihnen als Leiterin sowie einer halben Sachbearbeiterinnenstelle. Das klingt nach vielen Sitzungen. Ist das für die tägliche Arbeit eine hilfreiche Kon-struktion?
Uns war es ein Anliegen, alle miteinzubeziehen, die an dem Prozess beteiligt sind. Auch wenn der Beirat bisher nur einmal getagt hat, ist mein Kontakt zu den Organisationen sehr eng. Die Beiräte beraten und verfolgen Prozesse und geben inhaltliche Anregungen. Die Steuerungsgruppe tagt häufiger und begleitet dadurch die Entwicklung der Servicestelle konzeptionell enger.
Die verschiedenen Träger sind ein Gewinn, weil sie ihre Expertise einbringen und ein großes Netzwerk bilden. Die Berghof Foundation hat beispielsweise passgenaue Unterrichtsmaterialien entwickelt.
Es gibt natürlich unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Herangehensweisen, aber so ist Friedensbildung und so ist das Leben.

Der ganze Prozess kam auch ins Rollen, weil es Widerstände gegen die Kooperationsvereinbarung der Bundeswehr mit dem Kultusministerium gibt. Die Friedensbewegung kann auf ehrenamtlicher Basis der Bundeswehr viel zu wenig entgegensetzen. Kann die Servicestelle einen adäquaten Gegenpol bieten?

Es geht vor allem darum, Schulen zusätzliche friedensbildnerische Angebote zu machen. Wir nehmen ein großes Interesse der Lehrkräfte an unserer Arbeit wahr und sehen, dass eine Erweiterung der Perspektive im Unterricht stattfindet. Die neuen Bildungspläne bieten dafür zahlreiche Anknüpfungspunkte. Daran gilt es weiter zu arbeiten.
Welche Rolle hat die GEW Baden-Württemberg in dem Prozess gespielt, der zur gemeinsamen Erklärung und zur Servicestelle führte?
Die GEW hat eine führende Rolle gespielt und spielt sie weiterhin. So ist Hagen Battran als Vertreter der 17 Organisationen auch Mitglied der Steuerungsgruppe. Der GEW wird ein großes Vertrauen entgegengebracht und sie ist ein gutes Bindeglied zum Kultusministerium. Doro Moritz hat sich persönlich für die Verlängerung der Servicestelle eingesetzt, was ich als große Wertschätzung der Arbeit aller Beteiligten sehe.

Die GEW hat sich dafür eingesetzt, dass die Friedensbildung als Leitperspektive in die Bildungspläne kommt. Mit dem Argument, dass die Liebe zum Frieden bereits in der Landesverfassung verankert ist, wurde das abgelehnt. Wie sehen Sie das?

Ich finde, wir sind in den Bildungsplänen recht gut vertreten. Innerhalb der Leitperspektive „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ konnten wir einen Begriff etablieren. Dort stand vorher „Friedenssicherung“. Wir haben jetzt „Friedensstrategien“ daraus gemacht. Das klingt erstmal abstrakt, aber da steckt viel drin. Friedenssicherung meint oft Sicherung im militärischen Sinne. Friedensstrategien sind offener, sie lassen auch Raum für zivile Konfliktbearbeitung. Die Friedensbildung wird auch in der Präambel gewürdigt. So haben die Bildungspläne doch großes friedensbildnerisches Potential, das es zu nutzen gilt.
Was bedeutet Friedensbildung für Sie? Frieden ist ein facettenreicher Begriff. Die Wissenschaft unterscheidet z. B. zwischen positivem und negativem Frieden. Reicht es aus, wenn keine Bomben fallen, wenn keine Gewalt sichtbar ist? Oder gibt es verdeckte oder strukturelle Gewalt? Damit sind Schulen auch konfrontiert, mit Mobbing beispielsweise.
Friedensbildung ist ein Querschnittsthema und eine Aufgabe für alle Fächer. Man kann und sollte sie in Mathematik genauso mitdenken, wie in Gemeinschaftskunde, Religion, Ethik oder Sport. Sie ist eine Frage der Haltung der Lehrkräfte.

In Mathematik? Was hat das Fach mit Friedensbildung zu tun?

In Mathe kann man z. B. Finanzströme berechnen. Es gibt Planspiele zum Euro. Das gehört zwar in erster Linie zum Fach Wirtschaft, aber man braucht mathematische Kenntnisse, um es zu verstehen. Auch Mathematiklehrer/innen können dazu eine Haltung entwickeln.
Wir erlebten einen Sommer voller Gewalttaten. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass in dieser politischen Gemengelage, die Servicestelle nicht weiterfinanziert werden soll. Die Finanzierung der Stelle ist aber nur bis Ende des Jahres gesichert. Rechnen Sie damit, dass Ihre Arbeit im nächsten Jahr weitergeht?
Friedensbildung ist nicht nur aktuelle Politik, auch wenn sie uns gerade Legitimation verschafft und wir diese Themen aufgreifen. Friedensbildung muss langfristig angelegt und gedacht werden und so sollte auch die Arbeit der Servicestelle verstetigt werden.
Wir haben viele positive Signale, dass es weitergeht. Wir sind zuversichtlich.

Sie bleiben an Bord?

Die Arbeit ist mir ein Herzensanliegen. Wenn ich weitermachen darf, ist das fantastisch. Ich kann mir nicht vorstellen, die Arbeit nach diesem intensiven Jahr aus den Händen zu geben.
War es ein großer Druck für Sie zu wissen, Sie müssen nach einem Jahr etwas vorweisen, sonst wird die Stelle wieder gestrichen?
Natürlich. Wenn man ein Jahr und fünf Monate Zeit hat und dazwischen sind noch Landtagswahlen, will man so schnell wie möglich Ergebnisse vorzeigen. Die Erwartungen dabei sind allerdings so unterschiedlich wie die Akteure selbst. Wir haben dank großem Engagement vieler Akteure viel geschafft. Ich ziehe eine positive Bilanz.
Welche Erwartungen und Wünsche haben Sie gegenüber der GEW?
Ich wünsche mir, dass die Zusammenarbeit so gut weitergeht. Jetzt kommen die neuen Bildungspläne in die Schulen und die Lehrkräfte haben einen großen Fortbildungsbedarf. Wenn uns die GEW unterstützt, die Formate auszuweiten und zu verstetigen, wäre das eine sehr wertvolle Arbeit.