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Karrierewege bleiben lang und steinig

Nach jahrzehntelangem Stillstand in Sachen Grundfinanzierung gilt seit 2015 der Hochschulfinanzierungsvertrag „Perspektive 2020“ in Baden-Württemberg. Seither steht den Hochschulen mehr Geld zur Verfügung. Haben sich dadurch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessert?

.marqs / photocase.de

Die Hochschulen in Baden-Württemberg erhalten mit dem Hochschulfinanzierungsvertrag in den Jahren 2015 bis 2020 rund 1,7 Milliarden Euro zusätzlich. Durch die Steigerung der Grundfinanzierung um mindestens 3 Prozent pro Jahr bis 2020 folgt Baden-Württemberg als erstes Bundesland der Empfehlung des Wissenschaftsrats. Rund 2,2 Milliarden Euro fließen durch die Umwidmung von Landesprogrammmitteln in die Grundfinanzierung.
Als Grundfinanzierung wird der Teil an finanziellen Mitteln bezeichnet, über deren Verwendungen die Hochschulen im gesetzlichen Rahmen selbst frei entscheiden können. Sie werden den Hochschulen grundsätzlich unbefristet aus Landesmitteln zur Verfügung gestellt. Das Problem ergibt sich dadurch, dass diese zusätzlichen Mittel „reine Sachmittel“ sind, die zwar für befristete Stellen, aber ohne rechtliche Absicherung nicht für dauerhafte Arbeitsverträge genutzt werden können. Damit verfehlt die Landesregierung ein im Koalitionsvertrag formuliertes Ziel, „gute Arbeitsbedingungen“ an den Hochschulen durchzusetzen. Daueraufgaben erfordern unbefristete Arbeitsverträge statt aneinandergereihte Ein-Jahres-Verträge. Dafür brauchen die Hochschulen die notwendigen Stellen oder zumindest Stellenhülsen.

In der ersten Phase des Hochschulfinanzierungsvertrags wurden über 2.200 Beschäftigungsverhältnisse neu geschaffen bzw. entfristet. In beiden Phasen ermöglicht der Vertrag bis zu 3.800 neue Stellen. In Baden-Württemberg haben sich zudem die Hochschulen im Rahmen der „Perspektive 2020“ dazu verpflichtet, Selbstverpflichtungserklärungen für gute Arbeit in der Wissenschaft abzuschließen. Die Hochschulen verpflichten sich mit dem Hochschulfinanzierungsvertrag, Grundsätze fairer Beschäftigung umzusetzen, die neuen Spielräume für längerfristige und unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu nutzen, Studienplätze zu erhalten und die Qualität der Lehre zu verbessern. Für die Hochschulen und ihre Beschäftigten bedeutet das Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Auf Bundesebene ist außerdem das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) novelliert worden. Die „Perspektive 2020“ sowie das novellierte WissZeitVG sollen vor allem gegen die Befristungspraxis an den Hochschulen wirken – so zumindest der Wunsch.
Die Realität jedoch wird mit dem dritten „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs“ (BuWiN) von 2017 deutlich. Aus dem Bericht geht hervor, dass trotz „Perspektive 2020“ und der Novellierung der WissZeitVG die Befristungsquote beim wissenschaftlichen Nachwuchs inzwischen bundesweit sogar gestiegen ist und nun bei 93 Prozent liegt. Im internationalen Vergleich sind die Karrierewege an deutschen Hochschulen besonders lang und steinig. Von einer Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Qualifizierung sind Hochschulen weit entfernt. Dies führt dazu, dass besonders Frauen in der Wissenschaft aus- statt aufsteigen. Es gibt immer mehr Zeitverträge mit immer kürzeren Laufzeiten. Das ist nicht nur unfair gegenüber den betroffenen Wissenschaftler/innen, auch die Kontinuität und damit die Qualität von Forschung und Lehre sind substanziell gefährdet. Neue Berufswege in die Wissenschaft müssen vor Ort in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen implementiert werden. Dafür will unter anderem der Bund gemeinsam mit den Ländern Anreize mit dem Nachwuchspakt schaffen: Das Programm soll 1.000 Tenure-Track-Professuren fördern, mit denen die Nachwuchswissenschaftler/innen nach einer Evaluation Aussicht auf eine Festanstellung an den Hochschulen bekommen.

Schuldenbremse erzeugt Konsolidierungsbedarf
Die gegenwärtigen Haushaltsverhandlungen in Baden-Württemberg stehen im Zeichen der Schuldenbremse. Der auf Wissenschaft, Forschung und Kunst entfallende Konsolidierungsbedarf beträgt 48 Millionen Euro (rund 27 Millionen Euro aktuelle Konsolidierungsauflage plus rund 21 Millionen Euro Deckungsbeitrag, festgelegt noch in der letzten Legislaturperiode), den das Wissenschaftsministerium beisteuern will, um Einnahmen und Ausgaben in Ausgleich zu bringen und die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse einzuhalten. Um dies umzusetzen, hat die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg entschieden, Studiengebühren für alle Studierenden aus Nicht-EU-Staaten einzuführen. 3.000 Euro sollen Nicht-EU-Ausländer/innen pro Jahr zahlen. Von diesem Geld sollen 600 Euro an die Hochschulen gehen, um „die Qualität des Studiums zu verbessern“. Zudem werden alle Studierenden eines Zweitstudiums mit 1.300 Euro pro Jahr zur Kasse gebeten. Ebenso wird für alle die Verwaltungsgebühr um 10 Euro pro Semester steigen.

Kodex-Check der GEW legt Arbeitsbedingungen offen
Dass die Universitäten weit entfernt sind, neue Berufswege in die Wissenschaft zu implementieren, zeigt der Kodex-Check der GEW, in dem online unter www.kodex-check.de recherchiert werden kann. Im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung haben Wissenschaftler/innen von der Berliner Humboldt-Universität die Beschäftigungsbedingungen der 82 staatlichen Universitäten unter die Lupe genommen. Den Maßstab für den Vergleich bildet der Herrschinger Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ der GEW, mit dem die Bildungsgewerkschaft den Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorschlägt, sich auf faire Arbeitsbedingungen zu verpflichten. Die GEW will transparent machen, wie Universitäten mit ihrer Verantwortung für die Arbeitsbedingungen umgehen – auch weil für Wissenschaftler/innen gute Arbeitsbedingungen an den Universitäten immer wichtiger werden und ein wichtiges Entscheidungskriterium sind, ob sie ihre Karriere an diesen Hochschulen fortsetzen wollen.
Die GEW hofft, dass der Kodex-Check dazu beiträgt, dass die Universitäten und die Politik diese Aufgabe ernster nehmen. Der Kodex-Check macht zudem deutlich: Der Frauenanteil liegt ausgerechnet in den Personalkategorien besonders hoch, in denen die Lehrverpflichtung am größten und die Aufstiegsmöglichkeiten am geringsten sind: bei den Lehrkräften für besondere Aufgaben. Die Universitäten müssen endlich einen Beitrag zur Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen leisten.

Bessere Grundfinanzierung statt Exzellenzinitiative

Ein Ergebnis des Kodex-Checks überrascht: Es gibt kaum Unterschiede in Bezug auf die Befristung von Wissenschaftler/innen zwischen Exzellenzhochschulen und normalen Hochschulen. Dabei verfügen die Exzellenzhochschulen über viel mehr Geld und müssen sich unter anderem mit Personalkonzepten bewerben. Mit den Universitäten Heidelberg, Konstanz und Tübingen befinden sich drei der insgesamt elf Exzellenzuniversitäten in Baden-Württemberg. Somit ist Baden-Württemberg das erfolgreichste Land in der Exzellenz-
initiative von Bund und Ländern. Im laufenden Programmzeitraum (2012-2017) fließen Fördermittel von insgesamt 571 Millionen an die baden-württembergischen Exzellenzuniversitäten. Was die Arbeitsbedingungen betrifft, schneiden die Exzellenzuniversitäten bis auf die Universität Tübingen im Kodex-Check im Vergleich schlecht ab. An der Universität Konstanz liegt der Anteil der befristet Beschäftigten bei 83,41 Prozent, an der Universität Heidelberg bei 80,36 Prozent und an der Universität Tübingen bei 68,89 Prozent.
Die GEW hat Bund und Länder aufgefordert, die Weichen für eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen zu stellen, bevor über die Fortführung der Exzellenzinitiative entschieden wird. Bei der Finanzierung der Spitzenforschung an wenigen Exzellenzuniversitäten geizen Bund und Länder nicht mit Milliarden, gleichzeitig verbessert sich die Grundfinanzierung vieler Hochschulen nur unwesentlich und stagniert weitgehend. Besser wäre es, erst eine gemeinsame Initiative für eine höhere Grundfinanzierung der Hochschulen zu starten, und dann zu sehen, welchen Spielraum es für eine Neuauflage der Exzellenzinitiative gibt.

Hoffnung auf Bundestagswahlen?

Knapp ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen bleibt es spannend, was Hochschulen und Forschungseinrichtungen und die dort tätigen Wissenschaftler/innen noch vor der Wahl und damit auch in den nächsten vier Jahren zu erwarten haben. Wird der Bund den Ländern bei der Grundfinanzierung unter die Arme greifen? Wird „Gute Arbeit“ ein Kriterium bei der Hochschul- und Forschungsfinanzierung?
Am 30. Juni 2017 ruft die GEW zu einer Protestaktion in Stuttgart für gute Arbeit im gesamten Bildungsbereich auf. Gemeinsam soll deutlich gemacht werden, dass mehr Geld für gute Bildung gebraucht wird, damit die Bildung in Baden-Württemberg keine Dauerbaustelle bleibt. Alle Kolleg/innen aus dem Hochschulbereich sind aufgerufen, an der Protestaktion teilzunehmen.