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Vergleichsarbeiten

Keine Zeit, keinen Nerv, keinen Nutzen

Seit dem Schuljahr 2008/2009 werden in den Klassenstufen 3 an den Grundschulen die bundesweit entwickelten Vergleichsarbeiten VERA3 eingesetzt, seit 2015/2016 außerdem VERA8 in den Klassenstufen 8.

Tests sind nur sinnvoll, wenn es danach genügend Ressourcen gibt, entdeckte Schwachstellen zu beheben. (@imago)
Tests sind nur sinnvoll, wenn es danach genügend Ressourcen gibt, entdeckte Schwachstellen zu beheben. (@imago)

Zu Corona-Zeiten ist für diese Tests, die der Unterrichts- und Schulentwicklung jeder Schule dienensollen, kein Platz. Die GEW will sie aus guten Gründen aussetzen. Sätze wie diese konnte man seit Beginn der Pandemie oft lesen oder hören: „Wir erreichen nicht mehr alle Schüler*innen.“, „Schüler*innen in schwierigen Familien­verhältnissen haben es jetzt noch schwerer.“, „Der Ausbau der digitalen Infrastruktur hinkt an den Schulen um Jahre hinterher.“ Die Lehrkräfte und die Schulleitungen haben alle Hände voll zu tun, die ständig veränderten Vorgaben umzusetzen, Fern- und Wechselunterrichtskonzepte zu entwickeln und durchzuführen und dem deutlich gestiegenen Informations- und Kommunikationsbedarf, im Kollegium, mit Eltern und Schüler*innen, mit den Schulträgern, dem Gesundheitsamt, dem Schulamt usw. nachzukommen. Bei vielen ­Akteuren ­liegen die Nerven blank, Unsicherheit und Ängste sind zu spüren.

„Die Schulen werden zu Beginn des kommenden Schuljahres ­genügend Herausforderungen zu meistern haben. Da benötigen sie nicht noch Diagnose­arbeiten, um zu sehen, wo die ­Probleme liegen. Solange diese keine ­Ressourcen auslösen, um die identifizierten Förder­bedarfe im Unterricht umsetzen zu können, bringen sie weder den Schüler*innen noch den Lehrkräften etwas“

Ricarda Kaiser, stellvertretende Landesvorsitzende der GEW Baden-Württemberg

Das Kultusministerium verschiebt VERA auf das nächste Schuljahr. Durchgeführt werden die Arbeiten folglich trotzdem. Die GEW Baden-Württemberg plädiert für ein Aussetzen der Vergleichsarbeiten! „Es kann nicht weiter so getan werden, als ob dieses und auch das nächste Schuljahr gewöhnliche Zeiten sind und alles so umgesetzt werden kann wie zuvor. Die Schulen werden zu Beginn des kommenden Schuljahres genügend Herausforderungen zu meistern haben. Da benötigen sie nicht noch Diagnose­arbeiten, um zu sehen, wo die ­Probleme liegen. Solange diese keine ­Ressourcen auslösen, um die identifizierten Förder­bedarfe im ­Unterricht umsetzen zu können, bringen sie weder den Schüler*innen noch den Lehrkräften etwas“, sagte die stellvertretende Landesvorsitzende Ricarda Kaiser.

Bereits bei der Landesdelegiertenversammlung 2016 forderte die GEW Baden-Württemberg, das Konzept und die Ziele der Vergleichsarbeiten zu überprüfen. In dem Beschluss heißt es „VERA wird unmissverständlich und ausschließlich als ein Element der Schul- und Unterrichtsentwicklung definiert und weder für Rankings noch für die Notengebung und die Übergangsempfehlung verwendet. Es wird eine umfassende Evaluation von VERA3 und eine wissenschaftliche Begleitung von VERA8 durchgeführt mit der Zielsetzung, die Wirksamkeit der Testverfahren für die in sie gesetzten Erwartungen zu überprüfen und Einblick in die unterschiedlichen Praktiken bei der Verwendung der Ergebnisse (z. B. Missbrauch für die Schullaufbahnempfehlung, für die Leistungsbeurteilung) zu gewinnen.“

Evaluation von VERA notwendig

Auch für die Durchführung hatte die GEW 2016 Forderungen erhoben. Die Schulen sollten VERA flexibel einsetzen und Module aus den Testbereichen auswählen können. So wäre eine Anpassung an die individuellen Lehrwerke der einzelnen Schulen gegeben. Es würde auch verhindern, dass Themen in Vergleichsarbeiten abgefragt werden, die im Unterricht noch nicht behandelt wurden. Außerdem sollte jährlich nur noch ein Fach getestet werden, um den zeitlichen Aufwand zu reduzieren.

Für die nachfolgenden unterrichtsbezogenen Fördermaßnahmen und für auf die Testergebnisse aufbauende Unterrichts- und Schulentwicklung müssten ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Eine Evaluation des Konzepts ist nach wie vor geboten: Wenn die Schul- und Unterrichtsentwicklung mithilfe von Vergleichsarbeiten tatsächlich unterstützt werden soll, muss geprüft ­werden, inwieweit die Analyse und Interpretation der Daten kompetent erfolgt und ob die Konsequenzen für die Weiterentwicklung entsprechend gezogen werden (können). So formuliert nämlich das Institut für Bildungswesen den Anspruch an VERA.

Die Funktion von VERA ist im Qualitätskonzept ebenfalls unklar. ­Aktuell werden weitere standardisierte ­Dia­gnosearbeiten für diverse Klassenstufen ­konzipiert. Somit wird unter der Flagge der Quali­täts­verbesserung von Schule und Unterricht an vielen Stellen gewerkelt, ohne dass die Maßnahmen und Prozesse aufeinander abgestimmt sind. Dieses „Alignment“ ist aber grundlegend, wie Prof. Anne Sliwka vor kurzem bei einer GEW-Tagung deutlich machte (siehe b&w 3/2021, S. 32 „Wann kommt die Qualität in den Schulen an?“).

Unbefriedigende VERA-Ergebnisse

Die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten fielen in den letzten Jahren sowohl bei VERA3 als auch bei VERA8 eher dürftig aus. Im Fach Deutsch erreichten 2018 an den Haupt- und Werkrealschulen des Landes 43 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht den Mindeststandard im Lesen (Vorjahr 24 Prozent) (b&w 05/2018). In Mathematik kamen 2018 rund 80 Prozent der Schüler*innen der 8. Klassen nicht über den Mindeststandard hinaus.

Das Land legte daraufhin Programme wie „Mathe macht stark“ und „Lesen macht stark“ auf – allerdings nur als Modellversuche. Obwohl beide Programme umfassend erprobt und evaluiert wurden, werden sie nicht flächendeckend eingesetzt. Gerade mal 64 von mehr als 1.400 in Frage kommende Schulen erproben sie. So sehr beunruhigt scheint das Ministerium angesichts der Vergleichsergebnisse also nicht zu sein.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Diskrepanz wischen Diagnose und Förderung nach wie vor groß ist und ein unverändertes Weiter-so auch aus diesem Grund abgelehnt werden muss. Ob VERA so von den Schulen genutzt wird, wie vom IQB Berlin und IBBW Baden-Württemberg beabsichtigt, ist also mindestens unklar. Sicher ist: Es gibt zu wenig Mittel, die Schulen für eine umfassende, Diagnose und Förderung brauchen