Bereits im November 2016 hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg auf der Landespressekonferenz auf die problematische Entwicklung in der Frühen Bildung durch den zunehmenden Personalmangel hingewiesen. Mittlerweile können in fast allen Regionen des Landes offene Stellen nicht mehr besetzt werden. In der Folge müssen Eltern auf einen Krippen- oder Kita-Platz warten oder Abstriche bei den Öffnungszeiten in Kauf nehmen.
Politiker/innen aller Parteien betonen seit Jahren wie wichtig eine gute Frühe Bildung sei, damit die Bildungschancen der Kinder nicht länger von ihrer sozialen Herkunft abhängig seien. Doch eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhält Priorität. Da die Unternehmen Fachkräfte brauchen, wurde 2013 der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gesetzlich verankert und nachfolgend vorrangig in den quantitativen Ausbau, also in die Schaffung neuer Plätze investiert.
Die vielen neu geschaffenen Krippen- und Kita-Plätze können jedoch ohne frühpädagogische Fachkräfte nicht in Betrieb genommen werden. Und die Situation wird sich weiter verschärfen.
Steigender Ersatzbedarf für ausscheidende Fachkräfte
In den nächsten zehn Jahren wird rund ein Viertel der frühpädagogischen Fachkräfte aus dem Berufsfeld ausscheiden, da sie das Renteneintrittsalter erreichen oder aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig ausscheiden. Derzeit gehen Erzieher/innen mit durchschnittlich 63 Jahren in Rente (2011: 62 Jahre). Diejenigen, die wegen verminderter Erwerbsfähigkeit den Beruf aufgeben müssen, verlassen bereits deutlich vor dem 60. Lebensjahr das Berufsfeld.
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) nimmt an, dass nicht alle Fachkräfte ohne Unterbrechung bis zum Renteneintritt in Kindertageseinrichtungen verbleiben und dass ein Prozent aller pädagogisch Tätigen pro Jahr auf Grund der hohen Belastung endgültig ausscheidet.
Das ergibt einen Ersatzbedarf von rund 20.000 Fachkräften bis 2025.
Waren Geburtenzahlen in Baden-Württemberg bis 2012 noch rückläufig, so steigen sie seit 2013 wieder an.
Aus einer aktuellen Studie von Klaus Klemm und Dirk Zorn zur Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg geht hervor, dass sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahren voraussichtlich fortsetzen wird. Nicht enthalten in diesen Zahlen sind Zu- und Abwanderungen nach Baden-Württemberg.
Betreuungsbedarf nimmt zu
Im „Kinderbetreuungsreport 2017“ kommt das DJI zu der Schlussfolgerung, dass Baden-Württemberg beim Ausbau der Krippen- und Kitaplätze zwar deutlich vorangekommen sei, dieser jedoch noch lange nicht ausreiche. Nach wie vor bestehe eine deutliche Kluft zwischen Elternwünschen und vorhandenen Betreuungsplätzen. Vor allem das Platzangebot für ein- und zweijährige Kinder sei noch zu gering.
Im Jahr 2015 erreichte Baden-Württemberg eine Betreuungsquote von knapp 28 Prozent. Allerdings gibt es große regionale Unterschiede in der Versorgung. Der aktuelle Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren wird für Baden-Württemberg auf 41,5 Prozent geschätzt.
Zusätzlichen Bedarf gibt es, so die Studie, auch an ganztägigen Krippen- und Kita-Plätzen. Laut Statistischem Landesamt lag der Anteil der Kinder unter drei Jahren, die ganztags betreut wurden, am 1. März 2015 bei 38,4 Prozent und damit 2,5 Prozentpunkte höher als im Vorjahr. Im Jahr 2007 waren es noch 23 Prozent.
In der Altersgruppe der Drei- bis unter Sechsjährigen hat sich der Anteil der Kinder mit einer durchgehenden Betreuungszeit von mehr als sieben Stunden ebenfalls kontinuierlich erhöht. Von 8,5 Prozent in 2007 auf 22,6 Prozent in 2015.
Der Vergleich dieser Zahlen mit den erhobenen Elternwünschen zeigt, dass auch hier noch deutlicher Ausbaubedarf besteht. Denn in Baden-Württemberg, so der DJI-Kinderbetreuungsreport, wünschen sich 43 Prozent der Eltern von unter Dreijährigen einen Betreuungsumfang von mehr als sieben Stunden täglich, bei den Drei- bis unter Sechsjährigen sind es 36 Prozent.
Der notwendige Ausbau von Krippenplätzen und ganztägigen Betreuungsangeboten wird den Bedarf an frühpädagogischen Fachkräften in den nächsten zehn Jahren noch zusätzlich erhöhen. Der Umfang lässt sich derzeit allerdings nur auf Grundlage der Stellen- und Personalentwicklung der vergangenen Jahre prognostizieren: Zwischen 2013 und 2015 wurden landesweit in den Kitas 11.631 neue Vollzeitstellen geschaffen und 18.100 Beschäftigte zusätzlich eingestellt. Im Jahresdurchschnitt sind dies knapp 4.000 Stellen und circa 6.000 Beschäftigte.
Bisherige Maßnahmen der Landesregierung zur Fachkräftegewinnung
Um den steigenden Personalbedarf zu decken, wurden in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren verschiedene Maßnahmen ergriffen. Zum einen wurde die Ausbildungskapazität erhöht, zum anderen der Fachkräftekatalog im Kindertagesbetreuungsgesetz erweitert.
In den vergangenen Jahren wurden die Ausbildungskapazitäten an den Fachschulen für Sozialpädagogik kontinuierlich ausgebaut. Darüber hinaus wurde zum Schuljahr 2012/13 die Praxisintegrierte Erzieher/innen-Ausbildung (PIA) eingeführt. Ziel dieser neuen vergüteten Ausbildungsform war es, zusätzliche Interessenten für den Erzieher/innen-Beruf zu gewinnen. Da dies bislang gut gelungen ist, wurde PIA zum Schuljahr 2017/18 in die Regelform übernommen.
Im Schuljahr 2016/17 begannen insgesamt 4.769 Schüler/innen ihr erstes Ausbildungsjahr an einer Fachschule für Sozialpädagogik. Darunter 3404 (71,4 Prozent) in der tradierten Form und 1365 (28,6 Prozent) in PIA.
Auffallend ist jedoch, dass ein wachsender Teil der Schüler/innen die Fachschulausbildung abbrechen. Zwischen 1997 und 2012 lag der Anteil der Schulabgänger ohne Abschlusszeugnis noch bei durchschnittlich 7,5 Prozent. Seit 2013 liegt dieser Anteil bei über elf Prozent, im Jahr 2015 sogar bei 17 Prozent.
Diese Zahlen deuten darauf hin, dass
- der Ausbau der Ausbildungskapazität in keiner Weise mit dem zu erwartenden Bedarf Schritt hält.
- die Zahl der derzeit in Baden-Württemberg pro Jahr ausgebildeten Fachkräfte (rein rechnerisch) gerade in etwa ausreicht um den Ersatzbedarf bis 2025 zu decken.
- alle weiteren zusätzlichen Platzbedarfe, die sich aus den steigenden Kinderzahlen und den erweiterten Betreuungswünschen der Eltern ergeben, nicht mehr abgedeckt werden können.