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Konflikt nicht aus dem Weg gehen

Auf Initiative des Hauptpersonalrates GHWRGS hat das Kultusministerium (KM) die Dienstvereinbarung Sucht überarbeitet. Die neue „Rahmendienstvereinbarung über die Gesundheitsvorsorge und -fürsorge für suchtgefährdete und suchtkranke Beschäftigte“ trat im Dezember 2015 in Kraft. Sie kann Betroffenen helfen und sollte genutzt werden.

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Das KM und die HPRs stimmen darin überein, dass die Vorbeugung und die Behandlung aller Suchtkrankheiten im besonderen Maße zur Fürsorgepflicht des Dienstherrn und Arbeitgebers gehören. Arbeits- bzw. disziplinarrechtliche Verfahren sind zuletzt anzuwenden.
In der Dienstvereinbarung Sucht werden deshalb diese Ziele formuliert:
• Suchtprävention
• Beratung aufsuchen
• Motivation für Hilfsangebote
• Umgang mit Suchtgefährdeten
• Arbeitssicherheit erhöhen
• Bewahrung vor sozialem Abstieg
Alkoholkonsum im Dienst ist grundsätzlich verboten. Ausnahmen sind bei Veranstaltungen aus privatem Anlass
(z. B. Geburtstage, Dienstjubiläen, Verabschiedungen) erlaubt, wobei auch hier die Pflicht besteht, gleichzeitig alkoholfreie Getränke anzubieten. Auf die Verarbeitung von Alkohol in Speisen soll grundsätzlich verzichtet werden. In Ausnahmefällen besteht auf jeden Fall eine Auszeichnungspflicht. In den Verkaufseinrichtungen der Schulen (z. B. Getränkeautomaten) dürfen keine alkoholischen Getränke angeboten werden.
Die Dienststellenleitung legt zusammen mit dem Örtlichen Personalrat, der Schwerbehindertenvertretung und der Beauftragten für Chancengleichheit fest, welche Einrichtungen oder fachkundige Personen die Aufgabe eines psychosozialen Dienstes für die Dienststelle übernehmen. Für die Rat suchende Lehrkraft dürfen keine Kosten entstehen.

Dreistufiges Verfahren

Wenn eine Schulleitung den durch Tatsachen begründeten Verdacht hat, dass bei einer/m Beschäftigten ein Suchtproblem vorliegen könnte, wird die Dienstvereinbarung Sucht in einem dreistufigen Verfahren angewendet.
In der ersten Stufe sucht die Schulleitung das Gespräch mit der/m suchtgefährdeten oder von Sucht betroffenen Beschäftigten. Diese/r kann ein Mitglied des örtlichen Personalrates, der örtlichen Schwerbehindertenvertretung oder eine Person des Vertrauens zur Begleitung hinzuziehen. Ziel des Gespräches ist, eine Verhaltensänderung einzuleiten und mögliche Hilfsangebote
(z. B. Suchtberatungsstellen, Kliniken für Suchtkrankheiten, Therapieeinrichtungen) vorzustellen. Die Schulleitung teilt mit, dass bei fortgesetzter Auffälligkeit mit einem zweiten Dienstgespräch unter Einbeziehung des nächsthöheren Dienstvorgesetzten bzw. mit einer Unterrichtung der Familie zu rechnen ist. Hinzu können dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahmen kommen. Über die erste Stufe wird lediglich eine Gesprächsnotiz mit Angabe des Grundes und des Zeitpunkts des Gespräches durch die Schulleitung gemacht. Diese ist dem Betroffenen auszuhändigen. Sie wird nach einem Jahr vernichtet, wenn kein zweites Gespräch folgt.


In der zweiten Stufe erweitert sich der Gesprächsteilnehmerkreis um eine/n Vertreter/in des Staatlichen Schulamtes (GHWRGS) oder des Regierungspräsidiums (BS/GY/asB), eine Fachkraft eines psychosozialen Dienstes, eine/n Betriebsärztin/arzt und gegebenenfalls die Beauftragte für Chancengleichheit. Im Unterschied zum ersten Gespräch können hier konkrete Auflagen gemacht werden, wie z. B. das Aufsuchen einer Suchtklinik und die Durchführung einer Therapie, die Vorlagepflicht ärztlicher Atteste bei jeglichen Fehlzeiten, das Aufsuchen eines Amtsarztes oder gar eine amtsärztliche Überwachung. Eine Vorinformation über die dritte Stufe enthält mögliche dienstliche Maßnahmen: Entzug von Aufgaben; Widerruf der Genehmigung von Nebentätigkeiten, Erteilung von Abmahnungen (Arbeitnehmer/innen) und Disziplinarstrafen (Beamt/innen). Der/die Betroffene kann eine Person vorschlagen, die die eigene Familie unterrichtet.
Die dritte Stufe wird wirksam, wenn nach einem schriftlichen Bericht der Schulleitung an das Regierungspräsidium (zwei Monate nach dem Gespräch auf der zweiten Stufe) deutlich wird, dass keine Verbesserungen spürbar sind. Der/die Betroffene erhält eine letztmalige Aufforderung, ein vorgeschlagenes Hilfsangebot der Suchtbearbeitung aufzusuchen. Hierzu werden ihm/ihr zwei Wochen Bedenkzeit gegeben. Ferner wird der/die Betroffene aufgefordert, innerhalb von drei Wochen dem/der unmittelbaren und dem/der nächsthöheren Dienstvorgesetzten schriftlich mitzuteilen, bei welcher Einrichtung die Auflage erfüllt wird. Tut er/sie dies nicht, können entsprechend der Situation angedrohte dienstliche Maßnahmen umgesetzt werden.
Nach der Therapie werden die Inanspruchnahme von ambulanten Hilfsangeboten und/oder die Teilnahme an Selbsthilfegruppen schriftlich zur Auflage gemacht. Wenn kein Rückfall passiert, sind alle schriftlichen Unterlagen fünf Jahre nach Wiederaufnahme des Dienstes zu vernichten. Bei Rückfällen beginnt das Verfahren in der Regel mit der zweiten Stufe.

Jeder bekommt eine zweite Chance
Wird ein/e Arbeitnehmer/in aufgrund des Suchtmittelmissbrauches gekündigt, kann eine Wiedereinstellung nach mindestens zweijährigem nachhaltigem Therapieerfolg vorgenommen werden. Beamt/innen, die suchtmittelbedingt zur Ruhe gesetzt wurden, können entsprechend reaktiviert werden.


Schulleitungen, Personal-, Schwerbehindertenvertretungen und Beauftragte für Chancengleichheit werden regelmäßig zur Dienstvereinbarung Sucht fortgebildet. Die Diakonie führt die Fortbildungen durch. Konzeption und Durchführung unterliegen der Mitbestimmung der Hauptpersonalräte. Jedes Jahr treffen sich Vertreter/innen des KM, der Hauptpersonalräte und der Schwerbehindertenvertretungen zum Erfahrungsaustausch.
Ein strittiger Punkt war zuletzt das Vorhaben des KM, im Rahmen der Fortbildungen die Schulleitungen aufzufordern, vor der Anwendung der Dienstvereinbarung Sucht informelle Vorgespräche mit suchtauffälligen Lehrkräften zu führen. Der HPR GHWRGS hat nicht zugestimmt und damit das KM zur Rücknahme dieses Ansatzes bewegt. Grund: Die erste Gesprächsstufe ist bereits sehr niederschwellig angelegt und ungeregelte Gesprächsebenen fördern eher Co-Abhängigkeiten. Hinzu kommt, dass solche informellen Gespräche ohne die Personalvertretung geführt werden könnten.

Folgen von Sucht bedenken

Sicher werden sich manche Lehrkräfte fragen, wieso die Hauptpersonalräte die Dienstvereinbarung Sucht unterschrieben haben. Führt dies nicht dazu, dass Beschäftigte mit Billigung der Personalvertretungen sanktioniert werden? Hier gilt zu bedenken, dass Lehrkräfte, die mit von Sucht betroffenen Kolleg/innen zusammenarbeiten, oft in hohem Maße deren Defizite kompensieren müssen, zum Teil bis zur Überschreitung eigener Belastungsgrenzen. Für Schüler/innen kann das zu Leistungsdefiziten führen oder sie sind möglicherwiese emotionalen Exzessen ausgesetzt; vom schlechten Vorbildcharakter ganz zu schweigen.


Das Kompensieren der Defizite süchtiger Beschäftigter ist eine Form von Co-Abhängigkeit, die die/den Süchtige/n immer wieder auffängt und somit in seiner Sucht bleiben lässt. Ein entsprechender Leidensdruck als Auslöser einer Veränderungsnotwendigkeit würde unterbleiben. Dies ist jedoch der Zielpunkt der konsequenten Rahmenbedingungen der Dienstvereinbarung Sucht.
Leider wird trotz eines breiten Konsenses in der gesellschaftlichen Diskussion um die Zusammenhänge von Sucht- und Co-Abhängigkeit die Dienstvereinbarung Sucht in zu geringem Umfang von den Vorgesetzten angewendet. Wer Konflikte scheut, muss damit rechnen, dass sich die Suchtspirale mit all ihren Erscheinungsformen verschlimmert. Eine rechtzeitige Herangehensweise würde die Chancen erhöhen, Schaden für alle Seiten abzuwenden.