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Konsulatsunterricht muss unter staatliche Aufsicht gestellt werden

Der muttersprachliche Konsulatsunterricht in Baden-Württemberg ist zu Recht ins Gerede gekommen. Ausgelöst durch die Berichterstattung über den Einfluss Erdogans auf den Unterricht für türkischstämmige Schülerinnen und Schüler kommt das seit Jahren von der GEW kritisierte Konsulatsmodell auf den Prüfstand.

In Baden-Württemberg werden viele Kinder mit türkischen Wurzeln von Konsulatslehrer/innen in Türkisch unterrichtet, die von der Türkei entsandte Staatsbeamte sind. Seit dem Putschversuch in der Türkei säubert Präsident Erdogan die öffentliche Verwaltung, die Justiz, das Militär und das Bildungssystem, ein von der türkischen Religionsbehörde Diyanet interpretierter Koran bestimmt die kürzlich geänderten Bildungspläne. „Spätestens seit dem Putsch muss auch unserer Landesregierung klar sein, dass an unseren Schulen Lehrkräfte unterrichten, die auf der Linie von Präsident Erdogan liegen. Es ist blauäugig zu glauben, dass nur die türkische Sprache vermittelt wird“, kritisiert GEW-Vorsitzende Doro Moritz. Kultusministerin Eisenmann will den Konsulatsunterricht überprüfen lassen. Bernhard Lasotta, integrationspolitischer Sprecher der CDU, verlangte sogar, den Konsulatsunterricht abzuschaffen.

Grundlage für den muttersprachlichen Unterricht ist eine EU-Richtlinie von 1977 „über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern“. Die Kinder der „Gastarbeiter“ sollten nach der Rückkehr in ihre Heimat die Sprache ihrer Herkunftsländer können. In den Bundesländern wurde diese Vorschrift ganz unterschiedlich umgesetzt. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen findet heute herkunftssprachlicher Unterricht an Schulen unter staatlicher Verantwortung statt. Dies umfasst sowohl Einstellung und Bezahlung der Lehrkräfte, als auch Bildungspläne und Zulassung von Schulbüchern. Ganz anders beim Konsulatsmodell, das – aus Kostengründen – Baden-Württemberg und viele andere Bundesländer praktizieren: Die Schulbücher kommen aus dem Herkunftsland und werden nicht auf ihre Inhalte überprüft, so wenig wie die Bildungspläne. Die Lehrkräfte werden im Herkunftsland ausgebildet, für den Auslandsschuldienst ausgewählt, auf Zeit entsandt und von dort bezahlt. Die Auswahl für den Auslandsschuldienst ist eine Auszeichnung für die Lehrkraft. Das Konsulat organisiert den Einsatz und die Verteilung auf die Schulen. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Konsulat auch kontrolliert. Dies würde auch erklären, warum es sehr schwierig ist, derzeit mit türkischen Lehrkräften offene Gespräche zu führen. Die Schulträger stellen Räume für den Unterricht kostenlos zur Verfügung, die Schulleitungen sollen für eine Abstimmung im Stundenplan sorgen. Ab 12 teilnehmenden Schüler/innen zahlt das Land einen Zuschuss, der knapp 10 Prozent der Kosten deckt, nach Angaben des Ministeriums aktuell 1,1 Millionen Euro.

Im laufenden Schuljahr wird in Baden-Württemberg muttersprachlicher Unterricht für Schüler/innen aus 14 Ländern erteilt: Spitzenreiter mit 508 Kursen ist Türkisch, gefolgt von 141 in Italienisch und 44 in Griechisch, außerdem gibt es Kurse für Schüler/innen aus Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Polen, Portugal, Serbien, Slowenien, Spanien, Tunesien und Ungarn. Diese Länderliste zeigt, dass je nach aktuellen Mehrheitsverhältnissen in diesen Ländern die Gefahr besteht, dass nationalistische, demokratiefeindliche und menschenrechtsverletzende Inhalte unterrichtet werden, nicht nur im derzeitigen Türkischunterricht.
Für die GEW ist die Kritik am Konsulatsmodell seit Jahren Dauerthema. Dr. Hartmut Markert, Leiter des Vorstandsbereichs allgemeine Bildung der GEW Baden-Württemberg, hat schon 1994 im Schulausschuss des Landtags in einer öffentlichen Anhörung darauf hingewiesen, dass „der muttersprachliche Unterricht eine pädagogisch exterritoriale Enklave ist, die die Ziele schulischer Integrationspolitik nicht befördert.“ Markert argumentierte, dass eine dauerhafte pädagogische und schulische Kooperation zwischen Schule und Lehrkraft aus dem Ausland scheitere, weil die Lehrkräfte alle 5 bis 7 Jahre ausgetauscht würden und es keinen gemeinsamen Erziehungs- und Bildungsauftrag gebe. Er forderte schon damals, den muttersprachlichen Unterricht in die Schule zu integrieren.

Die GEW hat den Konsulatsunterricht immer wieder abgelehnt, zuletzt bei einer Anhörung Mitte März im Landtag, bei der die GEW-Vorsitzende Doro Moritz als Sachverständige zum Gesetzentwurf der FDP zum Verbot der Verschleierung Stellung nahm.  Unter anderem sieht der Gesetzentwurf vor, im Schulgesetz folgenden Absatz zu ergänzen: „Ein Verschleiern oder Verhüllen des Gesichts widerspricht der Funktion der Schule als Ort der offenen Kommunikation und der Integration und ist deshalb an allen unter staatlicher Aufsicht stehenden Schulen untersagt (…)“. Der GEW ist in Baden-Württemberg jedoch keine Lehrerin bekannt, die in der Schule Burka oder Niqab trägt. Anstatt sich mit diesem populistisch aufgeheizten Thema zu befassen, hält es die GEW Baden-Württemberg für zwingend notwendig, in der Frage der Radikalisierung islamischer Schülerinnen und Schüler präventiv tätig zu werden. „Wer die Augen schließt vor dem, was in den Konsulatsschulen und Koranschulen vermittelt wird, und dies sogar mit 1,1 Millionen Euro finanziert, trägt die Mitverantwortung für die Radikalisierung und Islamisierung von Schülerinnen und Schülern und wird sich dann zunehmend mit Burka und Niqab auseinandersetzen müssen,“ sagte Doro Moritz im Landtag. Aus Sicht der GEW wäre Ethikunterricht ab der 1. Klasse ein geeignetes Mittel gegen Radikalierung.

Herkunftssprachlicher Unterricht darf nicht abgeschafft werden
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Herkunftssprache eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Identität, Denkstrukturen, Wissenserwerb und Ausdrucksvermögen spielt. Die GEW fordert seit vielen Jahren Angebote für das Erlernen, die Ausübung und die Weiterentwicklung der Herkunftssprache und setzt sich für eine Förderung der Mehrsprachigkeit vom Elementarbereich bis zur Berufsbildung ein. Um die mehrsprachigen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu erhalten und auszubauen, muss Unterricht in den Herkunftssprachen gesichert angeboten werden. Der Bundesausschuss Migration, Diversity und Antidiskriminierung der GEW hat hierzu einen umfassenden Antrag zum Gewerkschaftstag der GEW im Mai 2017 eingebracht, der unter anderem fordert: Anerkennung des herkunftssprachlichen Unterrichts als gleichwertiges Unterrichtsfach, Konzeptentwicklung zum Ausbau des Angebots für diese Fächer, Anerkennung der Fremdsprachen, die als herkunftssprachlicher Unterricht angeboten werden, als Wahlpflichtfach und als zweite Fremdsprache für die Zulassung zum Abitur sowie die Verankerung und der Ausbau der Herkunftssprachen als Studienfächer in der Lehrerausbildung.

Für die GEW in Baden-Württemberg lautet die richtige Forderung daher, herkunftssprachlichen Unterricht in staatlicher Verantwortung einzurichten und der Forderung der CDU nach Abschaffung aktiv entgegenzutreten. Das Argument, es gebe hierfür keine ausgebildeten Lehrkräfte, ist hausgemacht. Studienfächer lassen sich einrichten, andere Bundesländer sind da seit Jahren weiter.
Die Uni Tübingen bildet übrigens ein Lehramt für Türkisch aus, auch das Referendariat kann in Baden-Württemberg absolviert werden. Aber die Lehrkräfte werden nicht eingestellt, weil es in Baden-Württemberg keinen Bedarf gebe.

Das Recht auf Muttersprache ist ein elementares, kulturelles Menschenrecht, verankert in Art. 5 der Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt der UNESCO. Die Charta der Grundrechte der EU verbietet Diskriminierung aufgrund von Sprache (Artikel 21) und verpflichtet die Union dazu, die sprachliche Vielfalt zu achten (Artikel 22). Das sieht auch die Kultusministerkonferenz so. Sie hat in den „Empfehlungen zur interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule“ im Dezember 2013 erklärt:  „Schule nimmt Vielfalt zugleich als Normalität und als Potenzial für alle wahr. Das bedeutet: Sie schätzt und nutzt Erfahrungen und besondere Kompetenzen aller Schülerinnen und Schüler als Ressourcen für Bildung und trägt zu ihrer Entfaltung und Weiterentwicklung bei. Sie nimmt die sprachlich-kulturelle Vielfalt ihrer Schüler- und Elternschaft als Chance für interkulturelles Lernen bewusst wahr und berücksichtigt diese in der schulprogrammatischen Arbeit. Hierzu gehören auch die Würdigung und Förderung der sprachlichen Kompetenzen mehrsprachig aufwachsender Schülerinnen und Schüler.“