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Abwahl ohne Wahl

Kultusministerium ändert kurzfristig Regelungen für Referendariat

Lehramtsstudierende sollen im Referendariat für die Haupt- Real- und Werkrealschulen eines ihrer Nebenfächer, das sie jahrelang studiert haben, abwählen. Dagegen hat sich Protest formiert. Auch die GEW übt Kritik am Vorgehen des Kultusministeriums.

Dörte Conradi (links), Abteilungsleiterin im Kultusministerium, muss sich den kritischen Fragen der Studierenden stellen.
Dörte Conradi (links), Abteilungsleiterin im Kultusministerium, muss sich den kritischen Fragen der Studierenden stellen.

Am Dienstag, den 8. September erhielten Lehramtsstudierende, die Lehramt für Haupt-, Real- und Werkrealschulen auf Staatsexamen studieren, eine E-Mail des Kultusministeriums (KM). Sie wurden dazu aufgefordert, eines ihrer bereits studierten Nebenfächer bis zum Mittwoch, den 30. September abzuwählen.

Diese Änderungen finden im Rahmen der bereits seit 2015 geltenden Umstellung der ersten Staatsprüfung auf das Bachelor-Master-System statt. Konkret beabsichtigt das Kultusministerium, die Zulassungsvoraussetzungen für das Referendariat Grundschule zu regeln. Zum einen schlägt das KM den Zugang über einen Seiteneinstieg in die Grundschule für Studierende mit einem lehramtsbezogenen Masterabschluss Gymnasium vor. Zum anderen regelt das Kultusministerium, wie ein Zugang über das erste Staatsexamen aussehen soll – nämlich über die Abwahl des zweiten Nebenfachs. Diese Änderung betrifft die Studierenden, die noch unter der Prüfungsordnung Sekundarstufe I von 2011 studieren, und mit denen das Lehramt Staatsexamen dann auslaufen wird.

„Abwahl aber doch keine Wahl“, so beschreibt die Studentin Sarah Lehmann das Vorgehen des Kultusministeriums. „Innerhalb von drei Wochen sollen wir Student*innen eines unsere Fächer abwählen, obwohl die Verordnung noch nicht einmal offiziell beschlossen wurde. Das macht für mich keinen Sinn.“

Ohne Mitbestimmung

Offiziell werden zu solchen Novellierungen von Prüfungsordnungen immer auch Gewerkschaften und Interessensvertreter*innen herangezogen. So hatte auch die GEW Baden-Württemberg die Möglichkeit, sich zur Änderung der Prüfungsordnung der Vorbereitungsdienste zu äußern: Bis zum 30. September hatte die Bildungsgewerkschaft die Möglichkeit, ihre Stellungnahme zum Entwurf an Dörte Conradi, Leiterin der Abteilung 2 „Schulorganisation, schulartübergreifende Bildungsaufgaben, Sport“ zurückzusenden. Normalerweise wird erst nach Sichtung der Stellungnahmen über den Entwurf abgestimmt. Die Ausarbeitungen zur Stellungnahme wurden allerdings am 8. September durch die oben genannte Mitteilung an die Studierenden unterbrochen.

Mit Befremden musste die GEW Baden-Württemberg feststellen, dass vor Abschluss der Anhörung am 30. September und im Vorgriff auf die beabsichtigten Änderungen bereits Tatsachen geschaffen werden. Denn in der der E-Mail des Kultusministeriums an die Studierenden heißt es: „Auf diesem Weg möchten wir Sie über eine Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, die zum Start des Vorbereitungsdiensts 2021 in Kraft treten wird, und über die damit verbundenen Auswirkungen auf Ihren Vorbereitungsdienst informieren“. Gängige Prozesse der Mitbestimmung wurden auf diese Art und Weise umgangen.

Studentischer Protest formiert sich

Auch die betroffenen Studierenden ließen sich dieses Vorgehen nicht gefallen. Von Südbaden ausgehend formierte sich schnell Widerstand: Franziska Schreiber, Sarah Lehmann, Wissame Ait-Rahmane und Till Nückles von der Pädagogischen Hochschule (PH) Freiburg organisierten zusammen mit Jannik Held von der GEW Südbaden eine Protestaktion. Auf Instagram sammelten sie Protestbilder, auf denen Studierende ausdrücken konnten, wie sie die Abwahl des zweiten Nebenfachs finden. Rücksichtslos, Vergeudung, unverschämt sind Schlagwörter, die besonders häufig genannt werden.

Am 30. September – an dem Datum, an dem die Abwahl des zweiten Nebenfachs eingefordert wurde – überreichten sie zusammen mit weiteren Studierenden aus Baden-Württemberg Dörte Conradi vor dem Landtag ihre Protestbilder. Unterstützt wurden sie von der Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg, deren Präsident Andreas Bauer sich ebenfalls an der Übergabe beteiligte.

Eine Stunde lang musste Dörte Conradi sich den kritischen Fragen der Studierenden widmen: Wieso wurden die Lehramtsstudierende jahrelang in drei Fächern ausgebildet, mussten Prüfungen bestehen und Mühe und Energie investierten, um es jetzt plötzlich abzuwählen? Wieso gibt es für die betroffenen Studierenden bisher keine Übergangslösung? Warum wurden andere Studierende mit derselben Prüfungsordnung noch in den drei Fächern während des Referendariats ausgebildet?

Stell dir vor, du hast drei Schulfächer studiert, musst im Vorbereitungsdienst eines der Fächer abwählen und wirst dann...

Gepostet von GEW Baden-Württemberg am Mittwoch, 30. September 2020

Conradi konterte mit Erklärungen und Erläuterungen, blieb aber dennoch auf viele Fragen eine Antwort schuldig. So hat das Kultusministerium zum Beispiel das Angebot gemacht, das zweite Nebenfach nach dem Vorbereitungsdienst nachholen zu können. Die Referendare sollten dies allerdings dann neben dem vollen Deputat absolvieren. Eine Mammutaufgabe, die gerade für Junglehrer*innen, kaum umsetzbar erscheint. Ein umfassendes Konzept, das sowohl die Qualität der Lehre als auch die Gesundheit der angehenden Lehrer*innen unterstützt, fehlt bisher völlig.

Die Aktion blieb nicht unbemerkt. Spontan solidarisierten sich die Landtagsabgeordneten Sandra Boser (Grüne), Stefan Fulst-Blei (SPD), Gabi Rolland (SPD) und Timm Kern (FDP) mit den Studierenden und versprachen, sich weiterhin für ihre Vorschläge einzusetzen.

Wie geht es weiter?

Sowohl Studierenden als auch die GEW kritisieren, dass den Bewerber*innen nicht angeboten wird, im dritten Fach auf Wunsch auch im Vorbereitungsdienst ausgebildet zu werden. Die Strukturen dafür bestehen an den Seminaren und es wäre ein leichtes, eine entsprechende Übergangsregelung in der Prüfungsordnung zu verankern. Die Übergangsmöglichkeit würde den Bewerber*innen dauerhaft die Möglichkeit geben, im dritten Fach im Vorbereitungsdienst umfassend qualifiziert zu werden.

Die GEW setzt sich daher weiterhin für die Ausarbeitung einer Übergangsregelung ein. Die Studierenden werden sich zudem weiter organisieren. Sie haben vor, eine Anfrage an das Parlament zu stellen und ihr Anliegen weiter in den sozialen Medien zu thematisieren. Aktuell organisieren sie einen Protestbriefkampagne, bei der möglichst viele Unterschriften zusammen kommen sollen. Im Brief treten sie weiterhin für ihre Forderungen ein, im Vorbereitungsdienst weiterhin in drei Fächern ausgebildet werden zu können. Zudem fordern sie mehr Transparenz bei zukünftigen Entscheidungen des Kultusministeriums.

Unterstütze das Vorhaben und unterschreibe auch du den Protestbrief der GEW (PDF)! Die unterschriebenen Briefe können gesendet werden an: Jannik Held, GEW Südbaden, Jannik.Held(at)gew-bw(dot)de.