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Lehrerbewegung und Nationalsozialismus

Auch wenn die GEW erst 1945 gegründet wurde, stellt sich die Frage, wie die Vorläuferorganisationen und ihre Mitglieder mit dem Nationalsozialismus verstrickt waren. Erhard Korn spannt den Bogen von der Lehrerbewegung des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung der GEW nach dem 2. Weltkrieg. Er beschreibt auch, welche Konsequenzen aus der NS-Zeit gezogen wurden und wie die GEW ihre Geschichte aufarbeitete.

Lazarus Mannheimer an der Falkenhausenschule Kehl mit seiner Klasse
Lazarus Mannheimer an der Falkenhausenschule Kehl mit seiner Klasse (Foto: Stadtarchiv Kehl)

Die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts kämpfte für eine Befreiung der Gesellschaft durch die Aufhebung der Klassenstruktur. Die Lehrerbewegung dieser Zeit zielte auf eine „Hebung des Lehrerstandes“ weg von der untergeordneten und oft verachteten Stellung und dem damit verbundenen „Lakaiensinn“ der Volksschullehrer*. Noch 1886 beklagte der Württembergische Lehrerverein (WLV), man sei „die arme Magd“ der Kirchen. (Jung 26) Verbesserungen erfolgten durch gesamtstaatliche Regelungen, etwa die Gleichstellung der Seminarausbildung mit der Mittleren Reife unter Bismarck oder der langsamen Angleichung des Beamtenrechts. Für den 1871 entstandenen Deutschen Lehrerverein (DLV) ergab sich so eine starke Fixierung auf den Staat und den Beamtenstatus. Die Lehrervereine wurden vor allem durch die aus der Demokratiebewegung von 1848 entstandenen linksliberalen Volksparteien unterstützt, denen viele Funktionäre der Lehrervereine politisch nahestanden.

Als einzige Gruppe der Beamten stellten sich die Volkschullehrer nach der Revolution von 1918 hinter die Republik und die Verfassung: „Der Sozialismus der Gesinnung befiehlt uns, politisch aufzuwachen und uns am Neubau von Staat und Volk zu beteiligen“, formulierte der WLV im Januar 1919. Mit dem Artikel 143 (2) der Weimarer Verfassung schien ein zentrales Ziel des Lehrervereins erreichbar: „Die Lehrerbildung ist nach den Grundsätzen, die für die höhere Bildung allgemein gelten, für das Reich einheitlich zu regeln.“ Eine Hochschulausbildung der Volksschullehrer wurde jedoch nur in wenigen Ländern umgesetzt. In Württemberg blieb es bei der Seminarausbildung und einer Einstufung auf den untersten Gehaltsstufen, in Baden waren die Verhältnisse nur wenig besser.
Das Schulprogramm des DLV von 1919 propagierte ein einheitliches und überkonfessionelles Schulwesen, die Hierarchisierung der Schulen und der Lehrkräfte sollte überwunden werden. Die Reichsschulkonferenz 1920 konnte sich allerdings nur auf eine gemeinsame vierjährige Grundschule einigen, die schon 1923 gegen die wiedererstarkenden konservativen Kräfte verteidigt werden musste. (Reichert 152) Unter der Rechtsregierung Bazille wurden ab 1924 in Württemberg sogar Reformen wie das 8. Schuljahr an der Volksschule blockiert oder zurückgedreht.

Zu den antidemokratischen Kräften gehörte auch der Philologenverband (PhV) als Vertretung der universitär ausgebildeten Gymnasiallehrer. Der PhV lehnte den Parlamentarismus und das „Weimarer System“ ab. In den Schulreformen sah er „kulturbolschewistischen Machenschaften“ gegen die höhere Schule, die Berechtigung des Gymnasiums leitete er aus der biologischen Überlegenheit der „begabten Familien der sozialen Oberschichten“ ab, deren „gefährdetes Erbgut“ es zu bewahren gelte. Sein „völkischer Standpunkt“ brachte den Philologenverband früh in Kooperation mit nationalistischen Verbänden und den rechtsextremen Deutschnationalen, ab 1932 auch mit der NSDAP, mit der zusammen der PhV für einen „nationalen Staat“ eintreten wollte. (Laubach 259)
Parallel zur bildungspolitischen Reaktion stieg die Arbeitslosigkeit unter Junglehrern bis 1926 und ab 1931 massiv an. Dies wurde durch Zeitverträge, Kürzungen durch Notverordnungen, Erhöhung der Klassenfrequenzen, Einstellungssperren, Zwangspensionierungen und Entlassungen verschärft. Die Situation der Lehrkräfte und vor allem die der Junglehrer war also gekennzeichnet durch Verunsicherung und eine existenzbedrohende Prekarisierung, durch eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und durch die Enttäuschung über eine Republik, die die eigenen Reformversprechen nicht einlösen konnte. (Breyvogel 325) Ab 1922 entwickelte sich zwar in Opposition zu den Vorständen des Lehrervereins eine von Gewerkschaften und Linksparteien unterstützte Junglehrerbewegung. Sie versuchte, öffentlichen Druck aufzubauen und sich gewerkschaftlich zu organisieren. Dabei war sie allerdings wenig erfolgreich, wie die geringen Mitgliederzahlen der „Allgemeinen Freien Lehrergewerkschaft Deutschlands“ (AFLG) zeigen.
Zunehmend gelang es der NS-Bewegung, die Enttäuschung der Junglehrer durch die Beschwörung eines „völkischen Sozialismus“ aufzufangen. (Siegerland 56) Die schon seit Ende der 20er-Jahre zunehmende Dominanz des Nationalsozialismus unter den Studenten begann sich in dieser Situation auch im Südwesten auf die Junglehrer auszuweiten. Das zeigte sich besonders in Heidelberg, wo seit 1928 an der Lehrerbildungsanstalt Anhänger des NS-Pädagogen Ernst Krieck lehrten. „Völkisch“ ausgebildete Junglehrer provozierten scharfe Auseinandersetzungen. Die „linksdemokratischen Bonzen“ im Lehrerverein wurden als Stützen des „faulenden liberalistisch-marxistischen Systems“ angegriffen: „Die Junglehrer sind am Werk. Ihre nächste Aufgabe ist die Eroberung der Lehrervereine, der Sturz ihrer Bonzen.“ Ab 1932 errangen die NS-Junglehrer im WLV wichtige Positionen.

In Baden wurde vor allem der Vorsitzende Hofheinz angegriffen, der für die Linksliberalen im Landtag saß. Strittig wurde darüber diskutiert, ob sich der Lehrerverein aktiv für die Demokratie einsetzen sollte. Aus der rechten Jugendopposition rekrutierte sich der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB). Die Vereinsführung bekämpfte zunächst die Zellenbildung und den zunehmenden nationalsozialistischen Einfluss in ihrer „Schulzeitung“, doch wurde die Abgrenzung zunehmend schwächer.
Die alten Forderungen der Lehrerbewegung griff der NSLB geschickt auf: „Die einheitliche völkische Bewegung wird (…) auch die Schule von ihrem Klassencharakter befreien. Es wird nicht mehr den Klassenunterschied zwischen höheren, mittleren und Volksschulen geben. Wir werden eine einheitliche deutsche Schule und einen einheitlichen deutschen Lehrerstand schaffen.“ Daher glaubten viele in den Lehrervereinen, die Ziele des NSLB deckten sich in wichtigen Teilen „mit den Forderungen des DLV“. (Reichert 136) Die Warnungen der Funktionäre, vor allem des Schriftleiters der Lehrerzeitung, dass eine „Willkür-Diktatur“ drohe, wirkten immer weniger und wurden leiser. Die Mehrheit der Vertreterversammlung 1932 in Rostock hatte aus Rücksicht auf die der NSDAP nahestehenden Mitglieder schon nicht mehr den Mut zu einem Bekenntnis zur Republik. (Bölling 215)

Anpassung und Widerstand
„Volkstum und Volksgemeinschaft“ sowie Beamtenstatus und Staatsfixierung gerieten zu geistigen Brücken einer schrittweisen Kapitulation. Während schon eine Reihe von Lehrern aus dem linken Mitgliederspektrum in Konzentrationslager verschleppt worden waren, bekundete der DLV im März 1933 seine Bereitschaft, als „Glied der Volksgemeinschaft am Aufbau des nationalen Erziehungswesens mitzuwirken“. Auch der WLV glaubte, mit Zugeständnissen, wie der Entfernung antifaschistischer Funktionäre und der Übergabe von Ämtern an Nationalsozialisten, seine Existenz sichern zu können. (Jung 45) Die Nazis akzeptierten dies jedoch nicht. Die SA rückte 1933 an, um eine Versammlung des WLV im Stuttgarter Siegle-Haus unter Druck zu setzen. Der WLV sollte seine Selbstauflösung beschließen. Da dies vereinsrechtlich nicht möglich war, trat der Vorstand zurück, die Mitglieder und das Vermögen des WLV wurden vom NSLB übernommen. 1949 stellte sich heraus, dass der Verein nie aufgelöst worden war und ihm das Vermögen, vor allem das 1925 durch eine Umlage der WLV-Mitglieder gekaufte Löchnerhaus auf der Reichenau, formal noch immer gehörte. (Jung 45/46)
Nach der Absetzung der badischen Staatsregierung am 11. März 1933 versuchte auch der BLV, „die Organisation“ zu retten. Er sicherte den neuen Machthabern seine Loyalität zu. Andererseits versuchte der BLV, die Ziele der Lehrerbewegung mit denen der Nationalsozialisten in Übereinstimmung zu bringen. (Laubert 45) Trotzdem wurde der BLV am 19. April 1933 durch die Einsetzung eines NS-Kommissars gleichgeschaltet. Der Vorstand wurde seiner Ämter enthoben. Die Geschäftsstelle in Heidelberg wurde „im Beisein der SA“ geschlossen. Auch das Vermögen des BLV, darunter das vom BLV 1917 erworbene Kurhaus Bad Freyersbach und die Konkordia-Druckerei in Bühl, fiel in die Hände des NSLB und musste nach der (Wieder-)Gründung des Lehrervereins ab 1945 mühsam eingeklagt werden.

Der Druck auf die Lehrer stieg ab 1933. Wer sich ausschließt, so Reichsminister Rust, „den mag die Behörde dann zwangsweise holen, aber nicht in ein Schulungslager, sondern in ein Konzentrationslager.“ (AGPM 126). Der Lehrertag am 7. Juni 1933 in Magdeburg beschloss die Auflösung des DLV. Der NSLB-Führer Hans Schemm drohte der Versammlung, jeden „mit Vernichtung“ zu verfolgen, der die Gleichschaltung auch nur störe und betonte „die Brutalität des Nationalsozialismus“. (Breyvogel 340).
Angesichts des beispiellosen SA-Terrors blieben solche Worte nicht ohne Wirkung.
Der größte Teil der Mitglieder stellte sich zur Mitarbeit zur Verfügung. Führende Lehrervereinsfunktionäre wie Oskar Hofheinz (Heidelberg) und Alois Kimmelmann (Karlsruhe) wurden allerdings denunziert, von der Gestapo bedroht, ihrer Schulratspositionen enthoben und zwangspensioniert. Der spätere GEW-Vorsitzende Heinrich Rodenstein musste als junger Lehrer aus Braunschweig nach Frankreich flüchten und hat dort im antifaschistischen Widerstand gekämpft. Etwa 3.000 Lehrerinnen und Lehrer wurden Opfer der politischen Säuberungen.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 legitimierte die anfangs willkürliche Praxis: Entlassen werden sollte, „wer nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für den nationalen Staat einzutreten“. Deutlich wurde von den neuen Machthabern bekundet, dass am Willen zur Staatsbejahung bei denen zu zweifeln sei, die nicht in den NSLB eintreten. 1936 waren daher 98 Prozent aller württembergischen Lehrkräfte Mitglieder im NSLB, dessen Mitgliederzahl von 200 im Jahr 1929 auf 300.000 anstieg. Michael Kuckenburg hat dies in der b&w 10/2016 anschaulich dargestellt.
Etwa ein Viertel der Lehrkräfte trat nach dem 1. März 1933 der NSDAP bei. Seit der Machtübernahme konnte in Württemberg nur noch Lehrer werden, wer Parteimitglied war, „die Mitgliedschaft im NSLB genügte nicht“. 1937 wurden Lehrer in Württemberg durch Erlass verpflichtet, in die Partei einzutreten und aktiv mitzuarbeiten, bekannte Kultminister Mergenthaler in seinem Spruchkammerverfahren.
In Schulungslagern wie dem Seeheim in Gaienhofen erfolgte dann die „Überholung“ der Lehrkräfte im „Geist des Führers“. Besonders die Junglehrer sollten zu einer „geistigen SA“, zu einem „kompromisslosen nationalsozialistischen Lehrernachwuchs“ geformt werden. Gleichzeitig klagten die alten Kämpfer über die laue Haltung „der uns bisher zu 95 Prozent fernstehenden Lehrerschaft“.
Die Berichte in der zeitgenössischen Emigrationspresse und die Erinnerungen von Schülerinnen und Schülern über ihre Erfahrungen mit ihren Lehrkräften legen ein sehr differenziertes Bild des Verhaltens von Lehrern nahe. (Feidel-Mertz/Schnorbach 130) Exemplarisch ist Richard von Weizsäckers Eindruck, dass die „Älteren uns gegenüber im Großen und Ganzen bei ihrer persönlichen Überzeugung blieben und keine nazistischen Lehren verbreiteten, an die sie selbst nicht glaubten“. (Plattner 85) Angesichts des Totalitätsanspruchs des Nationalsozialismus mussten auch die verbreiteten Formen indirekter Widersetzlichkeit zum Widerstand werden: die Verteidigung von Autonomierechten von Untergliederungen ebenso wie die Verteidigung von Fachlichkeit gegen die NS-„Pädagogik der Faust“, die Verteidigung von Unterricht und Lehrerkompetenz gegen die ausufernden Ansprüche der vormilitärischen Ausbildung in der Hitlerjugend ebenso wie der Einsatz für eine menschliche Behandlung jüdischer Schülerinnen und Schüler. Heinrich Rodenstein hat zu Recht festgestellt, dass angesichts des äußeren Drucks aus der Anpassung der Lehrer nicht auf die individuelle Gesinnung geschlossen werden darf. Die Kritik der Allgemeinen Freien Lehrergewerkschaft Deutschlands (AFLG), in der er bis 1933 wirkte, dass nämlich die Lehrerschaft und die Lehrervereine das Gebot der Stunde nicht erkannten und politisch versagten, bleibt berechtigt.

Schule im Nationalsozialismus
An die Stelle des „Individualismus der marxistisch-liberalistischen Systemzeit“ trat die Unterordnung unter das Führerprinzip. Der Reichsführer des NSLB Schemm und der Kultminister Mergenthaler forderten im Mai 1933 in Stuttgart die rücksichtslose Beseitigung von allem, „was die Einheitlichkeit des Volkes und des Erziehungswesens stören kann“. Damit war keineswegs die versprochene Beseitigung des dreigliedrigen Schulsystems und der entsprechenden Hierarchisierung der Lehrämter und ihrer Ausbildung gemeint, sondern vor allem eine einheitliche ideologische Ausrichtung des gesamten Unterrichts. Dem diente auch die Beseitigung des kirchlichen Einflusses durch die Einführung der nicht mehr konfessionsgebundenen „Deutschen Volksschule“ und einer entsprechenden Lehrerausbildung – allerdings weit unter den etwa in Baden zu dieser Zeit schon erreichten Standards. Der NS-Staat verschärfte die soziale Selektion und rechtfertigte sie ideologisch. Er senkte das Ausbildungsniveau und den Status der „Volksschullehrkräfte“ und die Unterrichtsqualität ab.
Die Übernahme von Funktionen in Partei und Staat wurde einerseits zur Dienstpflicht erklärt, bot den Lehrkräften aber auch vielfältige Möglichkeiten, das niedrige Sozialprestige zu verbessern. An die Stelle von Pfarrern sollten Lehrer in den „Mittelpunkt des politischen und sozialen Lebens“ einer Gemeinde rücken. (Nemitz 151) Dies wurde gerade im ländlichen Südwesten auch als Chance gesehen, sich der traditionellen Bevormundung durch die Ortspfarrer zu entziehen. Auch hier nützten die Nationalsozialisten vorhandene Modernisierungsdefizite geschickt aus. (Brozat 86, vgl. auch Michael Rux` Beitrag zur badischen Simultanschule in b&w 9/2016)

Vom Lehrerverein zur GEW

Auch in den letzten Kriegsjahren kann von aktivem politischem Widerstand aus der Lehrerschaft nicht gesprochen werden; bestenfalls redete man im kleinen Kreis offener. Mit Kriegsbeginn wurden die jüngeren Lehrer eingezogen, ein großer Teil fiel oder wurde verwundet. Ab 1944 fand kaum noch ein geregelter Unterrichtsbetrieb statt.
Die Besatzungsmächte entfernten im Zuge der Entnazifizierung auch im Südwesten zunächst 60 bis 80 Prozent der Lehrkräfte wegen ihrer Verstrickung mit dem NS-System aus dem Dienst. Ihnen war auch die Betätigung in den Lehrervereinen verboten. Die Wiedergründung der Lehrervereine ging daher von ehemaligen und häufig älteren Funktionären der Lehrervereine aus. Hofheinz war schon 71 Jahre alt! Sie erfolgte nicht einer Stimmung des Neubeginns, sondern „der Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit“ und verlief entsprechend „zäh“. (Jung 47) In der alltäglichen Notsituation war sich jeder selbst der Nächste: „Es bauten sich schon die Normen und Verhaltensweisen der unpolitischen, individualistischen deutschen Nachkriegsgesellschaft auf.“ (Broszat 75) Man wollte sich „nicht erneut die Finger verbrennen“.
Auch die Bereitschaft zur Aufarbeitung der NS-Zeit war gering. Das Scheitern der Entnazifizierung war schon vor Gründung der GEW ab 1948 absehbar, da die Besatzungsmächte angesichts des aufkommenden kalten Kriegs mehr an der Restauration eines starken Staates als an „Reeducation“ und Demokratisierung interessiert waren. Die Spruchkammern gerieten zu „Mitläuferfabriken“ (Niethammer), selbst Haupttäter wie Christian Mergenthaler, als Kultminister einer der schlimmsten antisemitischen Hetzer und als Ministerpräsident politisch verantwortlich für die Judendeportationen, wurde schon 1948 amnestiert. Letztlich bestand seine Strafe in der Herabstufung vom Oberstudienrat zum Studienrat. Ehemalige Widerstandskämpfer stießen nicht auf Anerkennung, sondern auf verschämtes Schweigen (Hochmuth 123). Schon im Mai 1952 wurde ein Gesetz erlassen, das auch sogenannten „Belasteten“ den Zugang zum öffentlichen Dienst wieder öffnete. Demgegenüber sorgte das 1952 verabschiedete Treuepflichtgesetz dafür, dass Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes „unter Kommunismusverdacht aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurden“, schrieb der Biograf Heideggers, Rüdiger Safranski.

Die Lehrervereine setzten sich angesichts des Lehrermangels offensiv für eine „Beschleunigung der Entnazifizierung“ und eine „Beseitigung der Unterschiedlichkeiten der Spruchfällungen“ sowie die Rehabilitierung und Verbeamtung der auf Widerruf eingestellten „Mitläufer“ ein. (kritisch dazu Morell 25) Sie beschlossen allerdings, dass „PG (Parteigenossen) keine Funktion im Verein ausüben“ dürfen. Für Belastete war ein Beitritt untersagt. Mit einer Beurteilung von individueller Schuld wären die Lehrervereine überfordert gewesen – noch mehr als die Spruchkammern. Dies rechtfertigt allerdings nicht das Ausbleiben einer politischen Auseinandersetzung, wie sie in den Gewerkschaften, die ja 1933 in ähnlicher Weise versagt hatten, zumindest ansatzweise stattfand.

Neuorientierung und Aufarbeitung nach 1945

Praktisch wurden allerdings durchaus Konsequenzen gezogen, vor allem durch die allmähliche Neuorientierung hin zu den Gewerkschaften und zur Arbeiterbewegung. Mit der Absage an eine reine Standespolitik bedeutete das auch eine Absage an eine elitäre Sonderrolle der Lehrer. Zunächst in der britischen Zone wurde unter Führung von Max Träger, Heinrich Rodenstein und Ana Mosolf (für die Lehrerinnenbewegung) dieser Weg gegen Warnungen, man „verschreibe sich der politischen Linken“ durchgesetzt. (Morell 56) Auf einer eigenständigen Bildungspolitik und dem Beamtenstatus beharrte man allerdings ebenso wie auf den Verzicht, in einer allgemeinen Beamtensparte des DGB aufzugehen.
Mit der Umwandlung der Lehrervereine zur GEW (Nordbaden und Nordwürttemberg 1949, Südbaden 1950, Südwürttemberg schloss sich erst 1971 an) war eine inhaltliche Neuorientierung verbunden. (Kopitzsch 59) Sie schloss die Anerkennung des auf eine demokratische Neuordnung ausgerichteten DGB-Grundsatzprogramms von 1949 ein. Die GEW rückte deutlich nach links. Das löste auch Vorbehalte aus, die noch im Vorfeld des Beitritts des Lehrervereins Südwürttemberg hörbar artikuliert wurden. (Reichert 220f.) Die Aussöhnung mit den Nachbarländern und insbesondere der von Rodenstein initiierte intensive Austausch mit der israelischen Lehrergewerkschaft spielte in den Gründungsjahren der GEW eine große Rolle.
Erst als sich mit der studentischen Demokratiebewegung von 1968 in den siebziger Jahren eine neue und unbelastete Generation in der GEW bemerkbar machte, begann eine kritische Diskussion des Verhältnisses von Lehrkräften und Lehrerbewegung zum Nationalsozialismus. Die vom Hauptvorstand 1978 beschlossene Forschungsarbeit zur Entstehungsgeschichte der GEW wurde 1983 veröffentlicht (Kopitzsch) und reagierte auch auf Vorwürfe, die GEW stelle sich ihrer Vergangenheit nicht genügend. Aus der GEW und ihren Stiftungen wurde eine Reihe weiterer Untersuchungen angeregt und in der GEW-Presse und in Veranstaltungen diskutiert – auch in Baden-Württemberg. (Korn 1983 und 1986) In einer beispielhaften Artikelreihe dokumentierte ab 1983 die Hamburger Lehrerzeitung der GEW am Beispiel von Schulen und in Interviews Anpassung und Widerstand, aber auch die ausbleibende Auseinandersetzung nach 1945. (Hochmuth/de Lorent)
Wir stehen heute unter dem Eindruck einer neugewonnenen Attraktivität des autoritären Nationalismus auch an den Hochschulen. Wenn jetzt wieder eine Generation später von Studierenden erneut nach den Ursachen des Erfolgs der Nationalsozialisten auch bei Pädagoginnen und Pädagogen gefragt wird, können diese Arbeiten helfen, Antworten zu finden.

Literatur
- Bölling, Rainer 1978: Volksschullehrer und Politik. Der Deutsche Lehrerverein 1918-1933, Göttingen
- Breyvogel, Wilfried 1977: Volksschullehrer und Faschismus. In: Heimann, Manfred: Der Lehrer und seine Organisation, Stuttgart 1977
- Broszat, Martin 1983: Zur Struktur der NS-Massenbewegung, Vierteljahreshefte zur Zeitgeschichte 1/1983
- Feidel-Mertz, Hildegard; Schnorbach, Hermann 1981: Lehrer in der Emigration, Weinheim
- Hochmuth, Ursel; de Lorent, Hans-Peter 1985: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg
- Jung, Alfred 1965: 125 Jahre Württembergischer Lehrerverein, GEW
- Kopitzsch, Wolfgang 1983: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 1947-1975, Heidelberg
- Korn, Erhard 1983: Helden für den Führer, In: Lehrerzeitung Ba-Wü 10/1983
- Korn, Erhard 1986: Deutsche Lehrer im Exil, In: Lehrerzeitung Ba-Wü 22/1986
- Laubach, Hans-Christoph 1977: Die Politik des Philologenverbands während der Weimarer Republik, In: Heimann, Manfred: Der Lehrer und seine Organisation, Stuttgart 1977
- Lenart, Volker 1976: Geschichte der Lehrerbewegung in Baden 1927-1976, Bühl
- Morell, Renate 1979: Gewerkschafter aus Opportunismus - Die Entstehung der GEW, Informationsdienst Arbeitsfeld Schule 36 und 37/1979
- Nemitz, Rolf 1980: Die Erziehung des faschistischen Subjekts, Argument Sonderband 60
- Plattner, Geert 1983: Schule im Dritten Reich, München
- Reichert, Otto 1999: Tausend Pflichten – keine Rechte. Geschichte und Interessenpolitik des Württembergischen Lehrervereins 1840-1972, Ludwigsburg
- Schnorbach, Hermann 1983: Lehrer und Schule unterm Hakenkreuz. Dokumente des Widerstands von 1930 bis 1945, Königstein