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Mit Ängsten mobilisiert

Die Landtagswahl hat Baden-Württemberg nicht nur eine völlig neue Regierungskonstellation beschert, sondern wieder eine Rechtspartei in den Landtag gebracht. Auch viele Gewerkschaftsmitglieder haben die AfD gewählt. Ein Erklärungsversuch. Und worauf es jetzt ankommt.

imago

Die AfD konnte bei der Landtagswahl mit 15,1 Prozent das Wahlergebnis der NPD von 1968 (9,8 Prozent) und der Republikaner von 1992 (10,9) und 1996 (9,1) noch verbessern. 2001 war es der CDU unter Erwin Teufel gelungen, in einem stark polarisierten Wahlkampf einen erheblichen Teil der nach rechts Abgewanderten zurückzuholen. Auch 2016 kommen viele Rechtswähler/innen von der CDU, nämlich 188.000, aber auch 88.000 von der SPD, 68.000 von den Grünen und sogar 22.000 von den Linken, 151.000 von anderen kleinen Parteien, vor allem den Republikanern, 207.000 waren bisher Nichtwähler.


Mit den Anti-Bildungsplan-Demonstrationen hatte sich im Vorfeld erstmals ein Bündnis von christlich-evangelikalen, CDU-nahen bis hin zu faschistischen Organisationen wie der NPD zusammengefunden, in deren Mittelpunkt AfD-nahe Akteure standen. Hier bereitet sich ein neues rechtes Hegemonieprojekt vor, das eine strategische Mehrheit rechts von der Mitte anstrebt.
Zudem gab es fast überall im Land viele Protestbewegungen gegen Standorte von Massenunterkünften für Flüchtlinge. Das förderte eine Stimmung, die der AfD zu Gute kam. Nach den Terroranschlägen von Paris und besonders nach den Übergriffen an Silvester in Köln (und Stuttgart) bekam die AfD, die Anfang 2015 nach der Abspaltung des neoliberalen Flügels um Bernd Lucke am Rand der Marginalisierung stand, Auftrieb, und bestimmte immer mehr die Diskussion im Landtagswahlkampf. Zuwanderung und Islam wurden zunehmend als bedrohlich empfunden (knapp 60 Prozent aller Wähler/innen, 90 Prozent der AfD-Wähler/innen). Die meisten AfD-Wähler/innen behaupteten zudem, dass für Flüchtlinge mehr getan werde als für Einheimische.
Besorgniserregend ist auch, dass der Anteil der AfD-Wähler/innen unter den Gewerkschaftsmitgliedern mit 15,7 Prozent leicht höher liegt als im Landesschnitt (15,1 Prozent). Ähnliches war allerdings schon beim Erfolg der Republikaner 1992 festzustellen und liegt an der überproportionalen Unterstützung der Arbeiter/innen, unter denen die AfD inzwischen die meistgewählte Partei ist. 70 Prozent wählen AfD aus Enttäuschung über andere Parteien. Ihnen ist einerseits die soziale Gerechtigkeit sehr wichtig, andererseits trauen sie genau an diesem Punkt der AfD (noch?) wenig zu und haben auch wenig Zutrauen in ihre Programmatik. Viele haben trotzdem AfD gewählt, weil die Themen Flüchtlinge und innere Sicherheit für sie wahlentscheidend waren. AfD-Wähler/innen haben also eine relativ geringe Bindung an diese Partei und können daher auch (zurück)gewonnen werden.


Der AfD-Stratege Alexander Gauland hat dies erkannt und versucht nun, seine Partei sozialpatriotisch zu positionieren. Im Interview der Stuttgarter Zeitung vom 26.04.2016 sagte er: „Ich habe nach den jüngsten Wahlergebnissen gesagt, die AfD müsse auch eine Politik für den kleinen Mann machen. Die Wahlanalysen in Hamburg, in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zeigen uns, dass wir viel Zustimmung von den kleinen Leuten erhalten. Der Wahlkreis Mannheim-Nord, ein ur-
sozialdemokratisches Pflaster, ist an die AfD gefallen. Gleiches gilt für Pforzheim. Wir müssen versuchen, so viel soziale Gerechtigkeit wie möglich umzusetzen. Die AfD darf nicht Menschen am unteren Ende der sozialen Skala allein lassen.“
Jetzt müssen die Gewerkschaften die Brüche in den AfD-Positionen argumentativ aufgreifen. Denn noch immer vertritt die AfD Positionen, die gerade „dem kleinen Mann“ – und noch mehr der kleinen Frau schaden würden. Beispiele sind die Erhöhung des Renteneintrittsalters oder steuerliche Entlastung der Reichen. Eine dauerhafte rechte Hegemonie würde zuallererst die Stellung der Arbeitnehmer/innen und ihrer Gewerkschaften schwächen. Beispiele gibt es in Osteuropa gerade genug. Daher kann es für uns auch keine Koexistenz oder gar Kooperation mit der AfD geben.

Gewerkschaften für solidarische und demokratische Gesellschaft

Im Landtagswahlkampf setzte die AfD auf eine Restauration der Zwangszuweisung zu Schularten und eine Abschottung gegenüber Arbeiterkindern. Hinter solchen Forderungen ist unschwer das Ziel eines großen kulturellen Roll-back zu erkennen. Daran wird aber auch deutlich: Wieder ist es den Rechten gelungen, die Ängste der Menschen zur Mobilisierung zu nutzen. Es wird nun auch darauf ankommen, diese Ängste abzubauen, vor allem durch gute Bildungsangebote für Migrant/innen und Flüchtlinge. Und es wird darauf ankommen, sich an das politische Mandat der Gewerkschaften zu erinnern. Wir setzen uns nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter ein, sondern auch für eine solidarische und demokratische Gesellschaft.