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„Mit den Waffen des Geistes – gegen den Geist der Waffen“

Eine Zivilklausel an Hochschulen soll verhindern, dass für militärische Zwecke geforscht und gelehrt wird. Die Zahl der Hochschulen, die sich auf Druck der Studierenden dazu bekennen, steigt. Dietrich Schulze, der seit Jahren gegen Militärforschung an Universitäten kämpft, sieht im Gespräch mit der b&w positive Entwicklungen und wünscht sich von den Gewerkschaften mehr Engagement.

An den Hochschulen gilt die Forschungsfreiheit. Bedeutet es, dass über alles geforscht werden darf?

Mit diesem Argument wird die stetig zunehmende Militarisierung der Bildung rechtfertigt. Alle Freiheitsrechte sind aber Bürgerrechte gegen den Staat. Dieser höhlt seit Jahren das verfassungs­mäßige Freiheitsrecht mit unzureichender Grundfinanzierung und dem daraus folgenden Druck zur Drittmittel-Einwerbung selber aus. Den Hochschulangehörigen und deren Gremien hingegen steht es frei, per Beschluss auf bestimmte Forschung, zum Beispiel für gentechnische oder militärische Zwecke zu verzichten. Selbst eine landesgesetzliche Zivilklausel widerspricht der Verfassung keines­wegs. Das hat der anerkannte Verfassungsrechtler Prof. Erhard Denninger bereits vor 4 ½ Jahren in einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung zum Landesgesetz für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT, Zusammenschluss Universität und Forschungszentrum Karlsruhe) festgestellt. Er erinnert darin an die „Friedensfinalität“ des Grundgesetzes. Die Zivilklausel bedeu­tet, nur für friedliche und zivile, also nicht-militärische Zwecke zu forschen und zu lehren, d.h. dass Drittmittelkooperationen mit Rüstungsindustrie und Bundeswehr nicht erlaubt sind. Damit wird, wie Denninger und jüngst Juristen für die TU Darmstadt und die Universität Kassel nachge­wiesen haben, die Freiheit der einzelnen WissenschaftlerInnen tatsächlich eingeschränkt, aber eben nicht unzulässig. Der faktische Beweis für die Zulässigkeit sind alle existierenden Zivil­klauseln.

Welche Hochschulen haben denn eine Zivilklausel?

Die Anzahl an Zivilklauseln ist auf stattliche vierzehn angewachsen, davon neun seit Beginn der Auseinandersetzungen vor fünf Jahren in Karlsruhe. Davon wiederum allein drei in diesem Halb­jahr, nämlich im Juni an der Uni Münster, im Februar an der Uni Göttingen und im Januar an der Uni Frankfurt a.M.. Davor an der TU Darmstadt, den Hochschulen Bremen und Bremerhaven, der Uni Rostock, der TU Ilmenau und der Uni Tübingen. Bereits seit 1986 hat die Uni Bremen eine Zivilklausel und 1991 kamen Zivilklauseln an der Uni Konstanz und den TUs Berlin und Dortmund sowie 2007 an der Uni Oldenburg dazu.

Was hältst du von Zivilklauseln an Schulen, wie sie Ben Geier von der Berliner SchülerInnenvertretung fordert?

Das ist zunächst einmal Ausdruck der Popularität des Begriffs Zivilklausel, der im Internet vor vier Jahren noch beinahe unbekannt war. Gemeint ist zweifellos die Selbstverpflichtung „Schule ohne Bundeswehr“, wie sie mit dem diesjährigen Aachener Friedenspreis einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden ist. Diese Selbstverpflichtung kann, muss aber für die Schulen nicht so genannt werden. Entscheidend ist die Vernetzung der Aktivitäten im gesamten Bildungsbereich. Dafür haben Lena Sachs aus Freiburg und Roland Blach aus Stuttgart mit der Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr“ Bahnbrechendes geleistet. Am 9. November wird es in Karlsruhe eine bundes­weite Tagung „Lernen für den Frieden“ geben, in der die Gemeinsamkeiten zur Sprache kommen, insbesondere die von Grün-Rot versprochene Kündigung der Kooperationsvereinbarung Schule/­Bundeswehr und die Unterschriftenkampagne für militärfreie Schulen und Hochschulen www.lernenfuerdenfrieden.de. Nur ein Beispiel für die Realitäten im Grün-Roten Ländle. Jugendoffizier Hauptmann Julia Käser lädt am „Tag der Schulen“ 17.-18. September zum „Besuch bei der Truppe“ in die General-Dr.-Speidel-Kaserne Bruchsal mit Vorführung „Crowd and Riot Control“! Na klar doch, die Bundeswehr „Schule der Nation“. Und die Nazis reiben sich die Hände.

Wie kann verhindert werden, dass die Zivilklausel zu Kriegszwecken uminterpretiert wird?

Du denkst dabei vermutlich an die bedauerliche Entwicklung an der Uni Tübingen. Dort sind verantwortungslose Täuscher aus dem Institut für Politikwissenschaften ein Jahr nach dem Zivilklausel-Beschluss des Senats an der Berufung des Kriegsbefürworters Wolfgang Ischinger (Leiter Münchener „Sicherheitskonferenz“) zum Honorarprofessor der Uni beteiligt gewesen. Danach haben sie mit ebenso perfiden Methoden eine aufwendige Ringvorlesungsreihe organisiert mit der an Orwell erinnernden Zielsetzung, die Zivilklausel als „Friedensklausel“ zu interpretieren, die mit der Ischinger-Berufung und mit der seit vielen Jahren praktizierten Kriegsforschung kompatibel ist. Der Export einer auf diese Weise pervertierten Zivilklausel an andere Hochschulen ist mit einer Buchveröffentlichung beabsichtigt, allerdings bisher nicht von Erfolg verwöhnt. Eine Zivilklausel für einen Teilbereich der FU Berlin, die mit der berüchtigten Kriegsforschung im SFB 700 kompatibel sein sollte, ist erst kürzlich gescheitert. Die Zeitung die WELT brüstete sich im Mai mit der Schlagzeile „Wolfgang Ischinger ist Honorarprofessor“, leider nicht ganz zu Unrecht. Der frühere Protest in Tübingen ist etwas schläfrig geworden. Das muss nicht so bleiben. Dass herrschende Kreise eine Zivilklausel versuchen umzuinterpretieren oder gar klammheimlich unter­laufen, sollte niemanden verwundern. Es kommt darauf an, die Zivilklausel zu leben durch Wach­samkeit, Information der Öffentlichkeit und nicht nachlassende Zivilcourage. Die größte Beun­ruhigung für die gegenwärtig vorherrschende Kriegspolitik ist die kreative Unruhe an den Hoch­schulen, das Hinterfragen der Zwecke im Sinne einer Verantwortung der Wissenschaften. In  Baden-Württemberg ist übrigens im Juni von den Hochschul-Jugendorganisationen der beiden Regierungsparteien (CampusGrün und Juso-HSG) eine gemeinsame Erklärung abgegeben worden, in der an die vor der Landtagswahl abgegebenen Wahlversprechen erinnert und eine gesetzliche Zivilklausel gefordert wird. Aufgrund der innovativen bundesweit ersten Zivilklausel-Urabstimmung von Studierenden im Januar 2009 an der Uni Karlsruhe hatten die damaligen Oppositionsfraktio­nen die Zivilklausel für das KIT-Gesetz beantragt. Winfried Kretschmann, Theresia Bauer und Nils Schmid haben das darüber hinaus kurz vor der Wahl durch persönliche Unterschrift bekräftigt. Und die in der Versenkung verschwundene Konstanzer Zivilklausel von 1991 ist aufgrund der Karlsruher Aktivitäten auf meine Initiative mit Unterstützung durch GEW-Kollege Lothar Letsche und anderen ausgegraben worden. Auch hier halten Unterlaufung durch die Uni-Leitung und Protest dagegen vonseiten des AK Zivilklausel beim AStA der Uni an.

Was glaubst du, würde passieren, wenn alle Universitäten Zivilklauseln hätten?

Da sage ich zunächst, was nicht passieren würde, wenn man die gegenwärtige Klage-Welle des Verteidigungsministers, der konservativen Presse und der professoralen „Freiheitskämpfer“ gegen die Zivilklausel betrachtet. Die Sicherheit der Bundesrepublik wäre nicht gefährdet, die Ausrüstung der Bundeswehr oder gar deren Existenz ebenso wenig. Prof. Ernst Schmachtenberg, immerhin Präsident der RWTH Aachen und des Zweckbündnisses TU9 der großen technikorientierten Hoch­schulen hat in den VDI-nachrichten erklärt: „Wir Deutschen haben mit Rüstungsforschung eine Menge Unheil angerichtet. Ich halte diesen Weg für eine offene Universität in Deutschland für ungeeignet. Wenn Rüstungsforschung politisch gewollt ist, soll sie an eigens dafür eingerichteten Forschungsinstituten etabliert werden, nicht bei uns.“ Er handelt in der Praxis zwar gegen seinen eigenen Grundsatz. Deswegen ist aber nicht der Grundsatz fragwürdig. Wenn also alle Univer­sitäten Zivilklauseln und ausreichende Grundfinanzierung hätten, ginge von deutschem Boden ein Stück mehr Frieden aus, so wie es die Verfassungsväter und die komplette Nachkriegsöffentlich­keit verstanden hatten, bevor der Kalte Krieg eingeleitet wurde. Die FREITAG-Autorin Nina Marie Bust-Bartels fragt, ob die Zivilklauselbewegung an den Hochschulen zu einer Wiederbelebung der Friedensbewegung insgesamt beitragen könnte. Die Zivilorientierung ist jedenfalls ein starker Impuls gegen die mit Militärforschung zwangsläufig verbundene Geheimhaltung, die ihrerseits zu einer Degradierung von Wissenschaft beiträgt. Internationales Ansehen und Glaubwürdigkeit einer Bundesrepublik, die mit vernünftigen zivilen Produkten statt mit neuer Kriegstechnik glänzt, hätten nicht nur eine friedenspolitische, sondern auch eine enorme wirtschaftspolitische Bedeutung.

Wo glaubst du, wird die nächste Zivilklausel eingeführt werden?

Zwei heiße Favoriten sind für mich die Unis Freiburg und Kassel. Der Senat der Uni Freiburg hat im November 2012 eine Zusage abgegeben, im Sommersemester 2013 eine Zivilklausel zu beschließen. Die Studierenden der Uni Kassel haben in einer Urabstimmung im Januar (die fünfte erfolgreiche nach Karlsruhe, Köln, FU Berlin und Frankfurt a.M.) mit einer Quote von 72 % für die Zivilklausel votiert: „Forschung, Lehre und Studium an der Universität Kassel dienen ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken. Unter Berücksichtigung der Frage, ob zivile Zwecke verfolgt werden, sind alle Drittmittel in Bezug auf Drittmittelgeber, Zeitraum, Projektverantwortliche, Finanzvolumen, Zielsetzung und Fragestellung vor Beginn des Projekts öffentlich bekannt zu geben.“ Die Uni-Leitung taktiert. Eine beantragte Senatsentscheidung ist vorerst vertagt worden.  

Du bist aufgrund deines Engagements auch persönlichen Anfeindungen ausgesetzt, wie jüngst etwa in Kiel und wie gehst du mit diesen um?

Na ja, ein Rüstungsprofessor an der Uni Kiel ist wegen der dortigen Urabstim­mung (die sechste erfolgreiche) der Studierenden mit 73 % Ja zur Zivilklausel ziemlich ausgerastet, hat in seiner Verzweiflung Schuldige gesucht und sich auch sonst mit empörenden Äußerungen hervorgetan. Der AStA der Uni Kiel hat die Zivilklausel verteidigt. Ich habe darauf in einem Interview reagiert und mit mehreren Veröffentlichungen, zuletzt am 6. Augst in den NachDenkSeiten unter dem Titel „Furcht vor der Zivilklausel?“. Details zur Explosion an Medienberichten würden den Rahmen des Interviews sprengen. Alles und vieles mehr ist nachlesbar in der Web-Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf. Die Angelegenheit ist damit nicht erledigt. Vorab nur eine bisher wohl nicht beantwortete Verharmlosung des Professors. Der Anteil an Mitteln aus militärischen Quellen sei in allen Hochschulen äußerst gering. Tatsächlich wird der zivile Etat des Bundesforschungsministeriums flächendeckend unter dem Stichwort „Sicherheitsforschung“ für militärische Zwecke missbraucht. Ex-Ministerin Schavan hat die Zweckentfremdung soweit getrie­ben, dass sie aus ihrem Haushalt Rüstungsfirmen in mehrstelliger Millionenhöhe direkt finanzierte. Nach der massenhaften Pervertierung der Begriffe „Freiheit“ und „Frieden“ durch die herrschende Politik steht „Sicherheit“ an dritter Stelle. Darauf möchte ich mit einem Zitat antworten:

„Das Sichere ist nicht sicher.  So, wie es ist, bleibt es nicht. Wenn die Herrschenden gesprochen haben Werden die Beherrschten sprechen.“ aus "Lob der Dialektik" von Bertolt Brecht aus dem Jahre 1932.

Welche Erwartungen hast du an die Gewerkschaften?

Eine ganz einfache, nämlich dass die Gewerkschaftstags- bzw. Bundeskongress-Beschlüsse der beiden für die Hochschulen zuständigen Gewerkschaften (GEW # 3-46 vom Juni 2013 und ver.di # 244 vom September 2011) nicht nur auf dem Papier stehen bleiben. Beide Beschlüsse und weitere ähnliche sind an Eindeutigkeit, Klarheit und Handlungsorientierung nur schwer zu über­treffen. Das Engagement der KollegInnen vor Ort für die Umsetzung der Beschlüsse ist davon meilenweit entfernt. Es gibt mehrere vorzeigbare Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Studierenden, Beschäftigten, Gewerkschaften und Friedensgruppen vor Ort, aber auch Rück­schläge. Das hängt nicht zuletzt mit massiven arbeitsrechtlichen Problemen (Stichwort Zeitver­träge) und einem verschulten Studium (Stichwort Bologna-Reform) zusammen. Und dennoch wächst die Zivilklauselbewegung. Es hat sich eine bundesweite Initiative „Hochschulen für den Frieden - Ja zur Zivilklausel“ gebildet, in der GEW- und ver.di-Kolleg/innen mitarbeiten. Es gab zwei bundesweite Kongresse in Braunschweig und in Karlsruhe 2012. In Baden-Württemberg gab es eine erste landesweite von der DFG-VK getragene Vernetzung, die aber ausbaubedürftig ist. Vielleicht kann hier die junge GEW eine aktive Rolle übernehmen. Im Rahmen einer Tagung vor kurzem in München ist die Initiative für eine Zivilklauselvernetzung in Bayern entstanden, die auf der kontinuierlichen Arbeit des Münchener ver.di-Fachbereichs und der Initiative „Friedliche Uni Augsburg“ beruht. In München lebt der ver.di-Gewerkschaftler, Holocaust-Überlebende, antifa­schistische Widerstandskämpfer und Antimilitarist Martin Löwenberg. Mit seinem ein Leben lang praktizierten, für den gesamten Bildungsbereich wichtigen Leitsatz möchte ich schließen:
„Mit den Waffen des Geistes - Gegen den Geist der Waffen.“


Zur Person:  
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war ab 1966 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Karlsruhe und dort von 1984 - 2005 Betriebsratsvorsitzender. 2008 hat er die »Initiative gegen Militärforschung an Universitäten« mit gegründet und pflegt deren zitierte Web-Dokumentation. Er arbeitet in der Initiative »Hochschulen für den Frieden - Ja zur Zivilklausel« mit und ist im Beirat der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative »Verantwor­tung für Frieden und Zukunftsfähigkeit«.