Zum Inhalt springen

Papier ist geduldig, Technik nicht

Vor über 15 Jahren wurden die ersten Multimedia-Empfehlungen für die Schulen veröffentlicht. Die letzte Überarbeitung fand 2005 statt. Seit einiger Zeit versucht das Kultusministerium (KM) gemeinsam mit den Kommunalen Landesverbänden vergeblich, eine aktualisierte Fassung herauszugeben. Angesichts der technischen Entwicklungen und der versprochenen Digitalisierungsstrategie ist das nicht nachvollziehbar.

Fotoagentur iStock

Nach zähen Verhandlungen gelang es dem KM zusammen mit den Kommunalen Landesverbänden im Jahr 2002, die ersten Multimediaempfehlungen für Schulen (MME) herauszugeben. Rund ein Jahr zuvor erschien Wikipedia in Deutschland. 2004 gründete Marc Zuckerberg das soziale Netzwerk Facebook. Nur ein Jahr später ging Youtube online. Zur selben Zeit wurden die Multimedia-Empfehlungen überarbeitet. In der Begründung hieß es, die Empfehlungen „enthalten auch Aussagen zu technischen Fragen, die aufgrund des raschen technologischen Wandels in gewissen Abständen aktualisiert werden müssen.“ In der Zwischenzeit brachte Apple 2007 das erste iPhone sowie drei Jahre später das iPad auf dem Markt. Laut JIM-Studie 2016 verfügen mittlerweile 99 Prozent der zwölf- bis 19-Jährigen über ein Handy oder Smartphone. Doch seit über 12 Jahren ist es den Landesregierungen nicht mehr gelungen, auf diese Entwicklungen zu reagieren.

Von Windows 98 SE zum Bildungsplan 2016
In der noch gültigen Fassung der MME steht: „Als Standardbetriebssystem für einen PC-Arbeitsplatz kommt derzeit unter anderem Windows 98 SE, Windows 2000 Prof. oder Windows XP Prof. Edition beziehungsweise Mac oder Linux in Frage.“ In der überarbeiteten Fassung aus dem Jahr 2005 wird dann – der Vollständigkeit halber – ergänzt, dass die Software auch unter dem Betriebssystem 2003 lauffähig sein sollte. Vielleicht gibt es in Baden-Württemberg noch Schulen, die über eine solche Geräteausstattung verfügen. Wer den Anforderungen der Leitperspektive Medienbildung des Bildungsplans 2016 gerecht werden will, kann sich aber nicht an diesen Empfehlungen orientieren.

Von Schwarz-Gelb zu Grün-Schwarz
Im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2001 der damals schwarz-gelben Landesregierung steht: „Wir legen ein Programm ‚Medienoffensive Schule II‘ auf mit dem Ziel, den pädagogisch sinnvollen Einsatz der neuen Medien in allen Schularten zu ermöglichen. […] Zur bedarfsgerechten Medienausstattung der Schulen sollen zusammen mit den kommunalen Landesverbänden Vorschläge erarbeitet werden. Die Frage der Finanzierung ist anschließend zusammen mit den Kommunen zu prüfen und zu verhandeln. […]“. Im Vorwort der MME 2002, welche unter anderem von der damaligen Kultusministerin Annette Schavan unterzeichnet wurde, kann man schließlich lesen: „Angesichts begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen geht es insbesondere darum, die verfügbaren Mittel wirksam und nachhaltig einzusetzen.“ In einer Pressemitteilung vom 02.09.2016 schreibt die derzeitige Kultusministerin Susanne Eisenmann, dass die Digitalisierung ein zentrales Handlungsfeld sei. Weiter heißt es: „Unser Ziel ist, uns hier mit den Kommunen in technischen und finanziellen Fragen zu verständigen“ und weiter „In diesem Kontext solle auch eine neue Version der […] Multimediaempfehlungen aufgelegt werden.“ Etwa fünf Monate später sagte Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg auf der Learntec Fachmesse: „Wir fordern das Land […] auf, mit den Kommunalen Landesverbänden endlich in Verhandlungen zur Umsetzung der seit mehr als einem halben Jahr abgestimmten Multimediaempfehlungen einzutreten.“ Mittlerweile ist ein weiteres halbes Jahr vergangen.

An den begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen scheint sich wenig geändert zu haben. Der vermeintliche Sparzwang sorgt dafür, dass Schulen weiterhin keine zeitgemäße Orientierungshilfe zum Einsatz digitaler Medien haben. Im Koalitionsvertrag 2016 heißt es übrigens: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Schulen im Land mit digitaler Technik ausgestattet werden. Wir wollen die Lehrkräfte beim Einsatz der digitalen Technik unterstützen, auch in pädagogischer und didaktischer Hinsicht.“

Von Digital@BW hinter den Mond
Papier ist geduldig, Technik aber nicht. Je länger der bereits erarbeitete Entwurf der neuen MME in den Schubladen schlummert, desto größer ist die Gefahr, dass die technischen Standards bis zur Veröffentlichung wieder überholt sind. Dieser Zustand steht im krassen Gegensatz zum Vorhaben Digital@BW, der Digitalisierungsstrategie des Landes. Selbst wenn eine zeitnahe Einigung noch gelingen sollte, müssen die Empfehlungen in Zukunft regelmäßig an den Stand der Technik angepasst werden. Andernfalls werden die Schüler/innen nicht auf die Zukunft vorbereitet, sondern lernen hinter dem Mond.

Die GEW tritt für eine öffentlich finanzierte digitale Infrastruktur ein. Dazu hat sie in ihrem Antrag „Bildung in der digitalen Welt“ auf dem Gewerkschaftstag 2017 klar formuliert, dass Länder und Kommunen sich ihrer Verantwortung für eine adäquate Ausstattung der Schulen stellen müssen. Es kann nicht sein, dass man sich bei diesem Thema weiterhin auf die aus der Weimarer Reichsverfassung stammende und nach wie vor geltende Trennung in „äußere“ (Kommunen) und „innere“ (Länder) Schulangelegenheiten beruft und die Zuständigkeiten auf dieser Grundlage zurückweist. Thomas Strobel, Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration, sagt: „Für uns ist die Digitalisierung eine Teamaufgabe“. Die Schulen müssen endlich durch aktuelle Multimedia-Empfehlungen bei ihrer Aufgabe unterstützt werden.