Zum Inhalt springen

Ganztag für Grundschulen

Scheitert der Rechtsanspruch in letzter Minute?

Der Bundesrat verweigerte Ende Juni die Zustimmung zum Ganztagsförderungsgesetz und setzt auf den Vermittlungsausschuss. Baden-Württemberg will sparen und dringt auf flexible Nachmittagsbetreuung ohne Qualitätsstandards. Die Zeit wird knapp.

Der von der Union und SPD bereits 2018 im Koalitionsvertag ausgehandelte Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für alle Grundschulkinder in Deutschland wackelt gehörig. Ende Juni verweigerten die Länder in der letzten Sitzung in dieser Legislaturperiode dem Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) ihre Zustimmung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte diesen Schritt mit initiiert. Jetzt soll ein Ausschuss im Streit zwischen Bund und Ländern vermitteln. Kommt es zu einer Einigung, müssten Bundesrat und Bundestag dem Gesetz nochmals zustimmen. Die Einberufung einer Sondersitzung wäre notwendig.

Grundsätzlich herrscht Einigkeit: Ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter müssen dringend ausgebaut werden. Die Angebote bieten Kindern Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten und erhöhen die Chancengerechtigkeit. Des Weiteren erleichtern sie Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was wiederum für die Gleichberechtigung der Geschlechter und für Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum bedeutend ist.

Ab 2026 soll deshalb im Rahmen eines dreijährigen Stufenplans der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschulkinder umgesetzt werden. Der Bund will ein bedarfsgerechtes ganztägiges Bildungs- und Betreuungsangebot vorhalten, das die Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur steigern soll und von allen staatlichen Ebenen finanziert wird.

Es geht um mehr als eine Million zusätzliche Plätze bundesweit, davon etwa 170.000 in gebundenen Ganztagsschulen, 200.000 an Horten und 760.000 an offenen Ganztagsschulen. Zunächst war vom Bund ein Sondervermögen von zwei Milliarden Euro von 2020 bis 2022 vorgesehen, das auf 3,5 Milliarden mit Mitteln aus dem Corona-Konjunkturpaket aufgestockt wurde. Den Ländern ist das zu wenig. Nach dem Motto, wer bestellt, muss auch zahlen, erwarten die Länder deutlich mehr Finanzhilfe von Bundesseite.

Das Deutsche Jugendinstitut errechnete für das Vorhaben Investition bis zu 7,5 Milliarden Euro. Auch die GEW mahnte an, dass der Bund mehr Geld in Hand nehmen müsse, auch um zu verhindern, dass das Gesetz scheitere beziehungsweise nur mit Qualitätsabstrichen umgesetzt würde. Die GEW favorisiert nach wie vor den Ausbau der gebundenen Ganztagsschulen. Dort aber, wo Eltern die gebundene Form nicht annehmen, müssen Bildungs- und Betreuungsangebote vorgehalten werden, die qualitativ hochwertig sind.

Keine Qualitätskriterien für Betreuungsangebote im Südwesten

Auf pädagogische Qualität legt auch der Bund Wert. Er erwartet, dass bei den ganztägigen Angeboten Mindeststandards in der Qualität, adäquat ausgebildete Fachkräfte und die geregelte Zusammenarbeit mit Eltern sichergestellt werden. Das ist neben der Finanzierungsfrage ein weiterer Streitpunkt mit den Ländern. Schon im letzten Jahr blockierte vor allem Baden-Württemberg die Gesetzgebung und die Auszahlung des Bundes der ersten 750 Millionen Euro, weil das Land unbedingt an seiner flexiblen Nachmittagsbetreuung festhalten wollte.

Die Betreuungsangebote von Kommunen und freien Trägern in Baden-Württemberg erhalten lediglich einen kleinen Landeszuschuss und unterliegen weder dem Gesetz einer Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) noch sind sie im Schulgesetz verankert. Ihre Qualität ist damit mehr oder weniger dem Zufall beziehungsweise der Finanzkraft der Kommune überlassen.

Gute (Bildung, Erziehung und) Betreuung von Schulkindern braucht:

  • pädagogische Qualität 
  • Rechtsgrundlage:
    Betriebserlaubnis nach dem SGB VIII (wie bei Horten der Fall) oder Verankerung im Schulgesetz statt sogenannten „Qualitätsrahmen“
  • Personelle Mindeststandards:
    Fachkräftegebot, Betreuungsschlüssel 1:10 Kinder und pädagogische Konzepte
  • Räumliche Ausstattung für die Bedürfnisse großer Kinder:
    Räume/Außenflächen für Spiel, Bewegung, entspannte Einnahme von Mahlzeiten, Zusammensein mit Gleichaltrigen sowie Rückzugsmöglichkeiten
  • Arbeits- und Sozialräume sowie Lärmschutzkonzepte für Beschäftigte
  • Tariflich abgesicherte Arbeitsbedingungen
  • Kooperationszeiten für Lehrkräfte
  • Und ein JA zur Inklusion!

Schon lange kritisiert die GEW, dass die Situation für die Kinder und die Beschäftigten je nach Wohnort sehr verschieden, zum Teil prekär ist und fordert eine Qualität, die den Horten entspricht, eine Betriebsgenehmigung, eine pädagogische Konzeption, geeignete Räumlichkeiten, überwiegend sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte und tariflich abgesicherte Arbeitsverhältnisse.

Der Bund war unter Druck, weil er das Gesetz in dieser Wahlperiode noch auf den Weg bringen und erste Gelder an die Länder schon im Jahr 2020 auszahlen wollte. So konnte Baden-Württemberg seine Angebotsform  weiterführen, weil sie  Qualität zusicherte. Als Ergebnis gibt es nun einen „Qualitätsrahmen Betreuung Baden-Württemberg“, der in seinen Aussagen vage ist und dem es an pädagogischen, personellen und räumlichen Qualitätskriterien fehlt. Dieser Rahmen ist in keiner Weise zu vergleichen mit dem „Qualitätsrahmen Ganztagsschule“, der für Ganztagsangebote nach § 4a Schulgesetz gilt. Ebenso wenig vergleichbar sind die Bedingungen für Kinder und Beschäftigte in diesen Angeboten.

Es ist enttäuschend und unverständlich, dass die Landesregierung das Sparkonzept „Flexible Nachmittagsbetreuung“ verteidigt. Der vom Bund geplante Ausbau von qualitativen, ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten ist eine Chance, dauerhaft für annähernd gleiche Lebensverhältnisse und Bildungschancen für unserer Kinder im Land zu sorgen. Die Landesregierung sollte endlich angemessen investieren.

Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
Telefon:  0711 21030-23