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Schlechte Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

Baden-Württemberg ist stolz auf seine Hochschullandschaft. Es gibt verhältnismäßig viele „exzellente“ Universitäten und immer wieder allerlei weitere Auszeichnungen und Preise. Das Land schneidet häufig besser ab als der Rest der Republik, wenn es um Wissenschaft und Forschung geht, und hat dann auch in internationalen Vergleichen die Nase etwas weiter vorn als Gesamtdeutschland.

Es gibt hierzulande aber auch Ereignisse wie diese: Eine wissenschaftliche Angestellte kündigt ihren ohnehin befristeten Teilzeitvertrag an einem Lehrstuhl, weil sie sich von dem Aufgabenmix aus Lehren, Prüfen und Lehrstuhlaufgaben so überfordert fühlt, dass sie mit ihrer Dissertation nicht vorankommt. Ein Professor kündigt seine verbeamtete Position und pendelt ins Ausland, weil er Keine Lust mehr hat, bis ans Ende seiner Dienstzeit einen Drittmittelantrag nach dem nächsten zu schreiben. Zwei Verwaltungsangestellte kündigen, weil ihnen keine beruflichen Entwicklungsperspektiven angeboten werden. Mehrere Mitarbeiter/innen, die an der immer mehr an Bedeutung gewinnenden Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Verwaltung arbeiten, gehen aus Frustration über ihre sehr veränderten Arbeitsbedingungen in Folge eines Rektoratswechsels.

Diese Geschichten sind echt! Und es sind keine Einzelfälle. Sie machen keine Schlagzeilen, aber es zeichnen sich darin drei Problemkomplexe ab: 1. die katastrophalen Arbeitsbedingungen im Mittelbau, die wissenschaftliche Qualifizierung blockieren statt unterstützen, 2. die Kontraproduktivität der zunehmenden wettbewerblichen Finanzierung hochschulischer Forschung und 3. die Destruktivität der Unprofessionalität in Hochschulleitung und Management.

Seit vielen Jahren macht die GEW auf diese Probleme aufmerksam und hat klare Forderungen formuliert: Im wissenschaftspolitischen Programm von 2009, im Templiner Manifest von 2010, in den Weissenhäuser Eckpunkten von 2011 und im Herrschinger Kodex von 2012. Insbesondere auf den jährlichen Wissenschaftskonferenzen werden diese und weitere Positionen kontinuierlich weiterentwickelt. Das hochschulpolitische Programm der Landesregierung ist in vielen Punkten an die GEW-Forderungen des Templiner Manifests angelehnt. Nach bald drei Jahren ist gut erkennbar, was davon inwiefern umgesetzt wird. Die GEW begleitet diesen Prozess kritisch und äußerst sich z. B. durch Diskussionsbeiträge auf Anhörungen oder durch Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen.

Im akademischen Mittelbau der Universitäten sind auch in Baden-Württemberg deutlich mehr als 80 Prozent der Arbeitsverträge befristet, ungefähr die Hälfte mit Laufzeiten unter einem Jahr. Der bürokratische und damit auch finanzielle Aufwand, der rund um diese Verträge betrieben wird, steht in keinem Verhältnis zum Effekt. Die Betroffenen sind gezwungen, bei Stellenantritt gleich nach der nächsten Stelle zu suchen und darauf viel Zeit und Energie zu verwenden, die für die eigene Forschung dann fehlt. Halbe Stellen sind die Regel, bedeuten aber oft Arbeitsbelastung für zwei Drittel. In vielen Disziplinen ist das Anfertigen einer Dissertation ein unbezahltes Freizeitvergnügen. Trotzdem werden Mittelbaustellen gerade mit dem Argument, sie dienten der Qualifizierung, befristet. Übersehen wird dabei, dass die wissenschaftlichen Angestellten existenziell für die Funktionsfähigkeit der Universitäten bezüglich ihrer Kernaufgaben sind: Sie tragen insgesamt den überwiegenden Teil der Lehraufgaben, sie tragen mit ihrer Forschung zum Erfolg ihrer Abteilung bei, und sie werben die Mittel, aus denen sie finanziert werden, oft auch noch selber ein.

Die im Vergleich zur Grundfinanzierung mittlerweile relativ hohe Drittmittelfinanzierung der Hochschulen bringt viele Probleme mit sich. Eines davon ist, dass es von den Interessen des jeweiligen Geldgebenden abhängt, was von wem wie und zu welchen Bedingungen erforscht werden kann. Die DFG bevorzugt Mainstream-Forschung, und das BMBF bringt seinen politischen Willen ebenso in die Vorgaben seiner Förderprogramme ein, wie alle anderen Financiers. Ein zweites Problem ist der immense Aufwand, der auch hierfür betrieben wird: Für die sachgerechte Beantragung von EU-Fördermitteln gibt es Spezialist/innen, die sich mit nichts anderem befassen, als Wissenschaftler/innen dabei zu unterstützen, an diese begehrten Mittel zu kommen. Um einen Sonderforschungsbereich zu beantragen, beschäftigen sich ganze Gruppen von Wissenschaftler/innen mit eigens zu diesem Zweck angestellten Mitarbeiter/innen ggf. über Jahre damit, ein dickes Buch zu verfassen, das dann nur den Antrag darstellt – der dann aber abgelehnt werden kann, z. B. weil er gerade nicht in das Gesamtförderszenario passt. Ein drittes Problem ist langfristig, dass die wettbewerbliche Drittmittelabhängigkeit eher Unternehmens- und Managementcharaktere als Forschungs- und Lehrpersönlichkeiten auf Professuren begünstigt.

 Statt auf diese Weise immer mehr Milliarden an wenigen Elite-Universitäten zu konzentrieren, brauchen wir gute Studien- und Arbeitsbedingungen an allen Hochschulen. Zur Sicherung der Kontinuität und Qualität von Forschung und Lehre wird eine längerfristige Planungssicherheit durch eine nachhaltige Finanzierung in der Fläche und auf Dauer benötigt.

Die GEW fordert daher schon lange die Rückkehr zu einer ausreichenden Grundfinanzierung mit einem sinnvollen Prozentsatz fester Stellen. Hierarchisierung und Wettbewerbsorientierung unter den Hochschulen weiter voran zu treiben, ist kontraproduktiv. Ein Wettbewerb unter den Hochschulen, der ihre Kernaufgaben Forschung, Lehre und Weiterbildung in ihrer Ermöglichung betrifft, widerspricht deren Erfüllungsbedingungen. Er raubt dieser Arbeit ihre Ernsthaftigkeit, denn es sollte dabei nicht um Konkurrenz und Sieg, sondern um Erkenntnis und deren geeignete Weitergabe gehen. An den Hochschulen wird von mehreren Wissenschaftsdisziplinen zu Themen wie Arbeit, Personal und Organisation geforscht und gelehrt. Professor/innen treten als Expert/innen auf und beraten Politik und Wirtschaft. Trotzdem dauert es oft Jahrzehnte, bis die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus diesen Bereichen auch an den Hochschulen selbst praktisch umgesetzt werden. Es wird Zeit, deren Personalpolitik einmal gründlich auf Funktionalität und Vertretbarkeit zu überprüfen: Wenn Sekretärinnen mehrere Fremdsprachen und komplexe EDV-Anwendungen beherrschen müssen, aber immer noch als Schreibkräfte nach E 5 oder 6 bezahlt werden, wenn geprüften Hilfskräften, also Akademiker/innen, die zu außertariflichen Dumping-Löhnen arbeiten, eigenverantwortlich die Studiengangentwicklung übertragen wird, wenn wissenschaftliche Angestellte regulär Zeit mit Putzen von Büros verbringen müssen und neue Hochschulleitungen die über Jahre mühsam aufgebauten funktionalen Strukturen der Vorgängerrektorate mit einem Handstreich vernichten können, dann ist einiges nicht in Ordnung.

Eine Reform der Leitungsstrukturen an Hochschulen will die Landesregierung bis 2014 umgesetzt haben. Sie ist dringend nötig. Gemäß Koalitionsvertrag sollte dabei eine Abkehr vom Leitbild „unternehmerische Hochschule“ der Vorgängerregierungen vollzogen werden. Ein zentrales Element sollte die Umwandlung der überproportional mit Wirtschaftsvertretern besetzten, entscheidungskräftigen Aufsichtsräte in rein externe, beratende Hochschulbeiräte werden. Nun ist leider eine Abkehr von der Abkehr geplant: Die Hochschulräte sollen weiterhin über die Zukunft der Hochschulen entscheiden. Unter dieser Bedingung müsste dann wenigstens dafür gesorgt werden, dass auch arbeitnehmerseitige und weitere gesellschaftliche Interessen in diesen Gremien systematisch repräsentiert sind. Das ist aber auch nicht der Fall. Ein Kernanliegen der GEW besteht vor allem auch in der Stärkung demokratischer Strukturen in den Hochschulen. Zu diesem Thema sind noch gar keine wirklich überzeugenden Ansätze in Sicht.