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Abitur in Zeiten von Corona

Verwirrung und Unruhe bis zuletzt

Die Abiturprüfungen 2021 standen unter keinem guten Stern: Lehrer*innen und Schüler*innen haben eineinhalb Schuljahre lang unter erschwerten Bedingungen unterrichtet und gelernt. Vertreter und Vertreterinnen von vier Schulen berichten.

Innerhalb kürzester Zeit mussten neue Prüfungsräume bestuhlt werden.
Innerhalb kürzester Zeit mussten neue Prüfungsräume bestuhlt werden. (Foto: © napri/Photocase)

Alles war vorbereitet. Die Prüfungspläne standen, ebenso die Raumverteilung und die Einteilung der Aufsichtslehrkräfte. Nichts schien dem Auftakt des schriftlichen Abiturs am 3. Mai im Weg zu stehen. Da erreichte die Schulleitungen am 28. April ein Schreiben aus dem Kultusministerium mit der ­Betreffzeile: „Ergänzende Informationen zu den Abschlussprüfungen“. Darin hieß es, die Schulen seien verpflichtet, den Prüflingen „Testangebote zu unterbreiten“ und „eine räumliche Trennung von den übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern – das heißt: die Einrichtung gesonderter Prüfungsräume – vorzusehen“.

Dieses Schreiben empfanden viele Schulen als Grenze des Zumutbaren, als Höhepunkt einer missglückten Kommunikationskultur, ausgerechnet in der sensiblen Phase der Abiturvorbereitungen. „Innerhalb kürzester Zeit mussten die Schulleitungen die fertigen Prüfungspläne umschmeißen und weitere Räume und Aufsichten aus dem Hut zaubern“, berichtet Katya von Komorowski, die am Otto-Hahn-Gymnasium in Ostfildern unter anderem das Fach Deutsch unterrichtet. Zudem musste man die Abiturientinnen und Abiturienten über das Testangebot umgehend informieren.

Der Deutschlehrerin taten in dieser stressigen Phase vor allem die Prüflinge leid. „Dieses kurzfristige Testangebot hat eine enorme und unnötige Unruhe ausgelöst. Die Abiturientinnen und Abiturienten waren ohnehin schon furchtbar nervös“, berichtet die Lehrerin. Viele wollten von ihren Lehrkräften wissen, was sie tun sollten. „Ich habe dann versucht, ihnen bewusst zu machen, dass das Angebot freiwillig ist und ein Test zusätzlichen Stress verursachen könnte, wenn er, wie nicht selten der Fall, ­fälschlicherweise positiv ausfällt.“ Denn dann muss innerhalb von 24 Stunden ein PCR-Test mit negativem Ergebnis her, damit man trotzdem noch an der Prüfung teilnehmen kann. Um besser planen zu können, entschied sich das Otto-Hahn-Gymnasium für eine umfassende Schülerinformation vor der Prüfung, mit der sie über alle Vor- und Nachteile einer Testung aufklärten. Am Ende entschieden sich aus den drei Deutsch-Leistungskursen nur drei Schüler*innen, das Testangebot tatsächlich in Anspruch zu nehmen, wie Katya von Komorowski berichtet. So musste am Ende nur ein weiterer Raum geöffnet werden.

Auch am Gymnasium, an dem ­Birgit Breunig unterrichtet, fühlte man sich von den neuen Vorgaben überrumpelt. „Der Brief erreichte uns ja unter der Woche. Nach unserem Stundenplan und wegen der Verpflichtung zum Fernunter­richt für die Abiturient*innen war es uns nicht mehr möglich, den ganzen Jahrgang über die Lehrkräfte zu kontaktieren“, erzählt Breunig. „Also mussten wir kurzfristig eine Stufenversammlung über BigBlueButton einberufen.“ Dabei habe man die Schüler*innen informiert, ohne eine Empfehlung auszusprechen. „Das sahen wir nicht als unsere Aufgabe. Das hieß aber natürlich, dass wir mit jedem Szenario rechnen und sowohl zusätzliche Räume als auch Aufsichten vorhalten mussten.“ Die Schule hat jedoch das Glück, über eine große Sporthalle zu verfügen. „Den größten Stress hatten wohl die Hausmeister, die mit Hilfe ihres Zollstocks die gesamte Halle neu bestuhlen und Trennwände aufstellen mussten“, so Breunig. „Ich weiß aber von anderen Schulen, die sich äußerst schwer taten, zusätzliche Räume und Aufsichten zu organisieren“, berichtet sie weiter. Dort hätten komplette Klassenstufen auf den ohnehin knapp bemessenen Präsenzunterricht verzichten müssen.

Prüfungen an beruflichen Schulen

Recht deutlich in ihrer Empfehlung war dagegen die Schulleitung der it.schule in Stuttgart, eine berufliche ­Schule mit 1.800 Schüler*innen, bei denen die rund 70 Abiturient*innen nur eine kleine Gruppe von insgesamt mehr als 500 Prüflingen in diesem Frühjahr ausmachen. „Wir haben zwar ausdrücklich auf das Angebot hingewiesen, aber durch die Blume von der Testung abgeraten, mit dem Hinweis, was für gravierende Folgen ein positives Testergebnis haben kann“, sagt der Schulleiter Florian Leopold. Dazu muss man wissen, dass die Prüfungen bei Berufsschüler*innen weitgehend computergestützt sind. „Eine Verdoppelung der Prüfungsräume wäre schlicht nicht möglich gewesen, auch personell nicht.“ Zumal sich in diesem Frühjahr aufgrund von Corona die Prüfungen im gewerblich-technischen Bereich mit dem schriftlichen Abitur zeitlich überschnitten.

Hinzu komme, so Leopold, dass die Folgen einer positiven Testung für Berufsschüler*innen vielleicht noch schwerer wiege als für Abiturient*innen, die auf den Nachschreibetermin ausweichen können. „Die Abschlussprüfungen an der Berufsschule finden zwei Mal im Jahr statt“, erklärt Leopold. Ein positives Testergebnis hätte zur Folge, dass Schüler*innen erst wieder im Herbst zur Prüfung antreten können. „Das wiederum bedeutet, dass das Ausbildungsverhältnis verlängert werden muss und die Azubis erst ein halbes Jahr später in den Beruf einsteigen können. Das wirkt sich nicht zuletzt auf das Personal im Ausbildungsbetrieb aus.“

„Wir haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es keine negativen Auswirkungen hat, wenn man sich nicht testen lässt.“ (Petra Niederberger, stellvertretende Schulleiterin)

Die Kommunikation wirkte: Nur eine Handvoll Berufschüler*innen ließ sich testen. Von den Abiturient*innen nahmen sieben das Testangebot wahr, wie Tanja Schmon, Abteilungsleiterin des Technischen Gymnasiums, berichtet.

Schulleiter Leopold kommt zu dem Schluss, dass nur Jurist*innen diese Regelung getroffen haben können, die „wenig Gespür für die Realität an der Schule und die Belange von Schüler*innen“ haben. „Ich bin mir sicher, dass diese Vorgaben nicht alternativlos waren.“

Ähnlich deutlich kommunizierte die kaufmännische Schule in Schwäbisch Hall das Testangebot an die Schüler*innen, als die Schulleitung erkannte, dass sie Gefahr läuft, an Grenzen zu stoßen. „Wir haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es keine negativen Auswirkungen hat, wenn man sich nicht testen lässt“, sagt Petra Niederberger, stellvertretende Schulleiterin. Trotzdem hielt die Schule zur Sicherheit Räume mit Raumteiler vor. Das war nur möglich, weil der Jahrgang aus vier kleinen Abitursklassen bestand.

Prüfungsvorbereitung lief ­überwiegend gut

Während viele Schulen die Kommunikation des Kultusministeriums bemängeln, scheint die Kommunikation zwischen Lehrenden und Abiturient*innen gut funktioniert zu haben. „Unsere 13er waren bestens vorbereitet“, stellt Niederberger fest. Bei allen ­Unzulänglichkeiten des Fernunterrichts sieht sie in der Technik auch Vorteile für die älteren Absolvent*innen. „In einem Break-Out-Room mit zwei Personen trauten sich Schüler*innen eher, Lehrkräften ihr Problem zu schildern, als wenn die Lehrkräfte vor der Klasse stehen.“

Birgit Breunig hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Für ältere Schüler*innen sind Videokonferenzen bestens geeignet, wenn die Klasse nicht zu groß ist“, sagt sie. „Dieser Abi-Jahrgang hat gelernt, sich selbst zu organisieren, sich zu disziplinieren, mit  Frust umzugehen. Das sind Kompe­ten­zen, die ihn von früheren Jahrgängen ­unterscheidet.“ Katya von Komo­row­ski hat allerdings auch miterlebt, wie Schü­ler*­­innen, die nicht zu den Stärksten zählen, hinterm Bildschirm abzutauchen versuchen. „Die bekomme ich online kaum zu fassen“, berichtet sie. „Ich sehe nicht mal deren Mimik. Die Kameras und Mikros sind während des Unterrichts ja überwiegend aus, damit die Verbindung nicht zusammenbricht.“ Auch in ihrer Online-Abi-Vorbereitung habe sie ausgerechnet die schwachen Schüler*innen nicht dazu bewegen ­können, ihre Probleme zu schildern. „Das war für mich natürlich sehr unbefriedigend“, sagt sie.

Hinter der sonst weitgehend erfolgreichen Vorbereitung der Prüflinge stehen allerdings viele Lehrerinnen und Lehrer, die sich verausgabt haben. „Da sind die etwas Älteren, die sich mit der ganzen Technik teilweise schwertun“, berichtet Petra Niederberger. Da seien aber auch viele junge Kolleg*innen, die alles perfekt und nichts falsch machen wollen.“ Man müsse sich klar machen, dass die Lehrkräfte neben den Abiturient*innen noch andere Klassen unterrichten und insgesamt drei Formen von Unterricht – Präsenz-, Wechsel- und Fernunterricht – vorbereiten müssen. „Wer bei so einer Belastung nicht in der Lage ist, seine Grenzen zu erkennen, geht irgendwann am Stock.“

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Maria Jeggle
Redakteurin b&w
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