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Weniger Zeit, mehr Druck

Das Kultusministerium hat in der Verwaltungsvorschrift über das Aufnahmeverfahren in weiterführende Schularten zwei Punkte geändert: Die Grundschulempfehlung muss ab diesem Schuljahr zwischen dem 1. und 10. Februar erstellt und den Eltern übergeben werden (bisher bis Ende Februar). Die Eltern müssen nun die Grundschulempfehlung bei der Anmeldung an der weiterführenden Schule wieder vorlegen. Beide Änderungen verursachen Probleme.

Die Erstellung der Grundschulempfehlung (GSE) wurde auf Anfang Februar vorgezogen. Dadurch müssen die Lehrkräfte an den Grundschulen die Beratungsgespräche wesentlich früher führen. Der Erstellungszeitraum wurde zwar faktisch nur um vier Wochen nach vorne verlegt, der Beurteilungszeitraum verkürzt sich durch die Weihnachtsferien aber real um mehrere Wochen. Bereits an den Elternabenden zu Schuljahresbeginn mussten die Klassenlehrer/innen die Eltern darüber informieren, dass die ersten Gespräche bereits im Dezember geführt werden. Die Leistungen der ersten drei Monate des Schuljahres sind damit ausschlaggebend für die Empfehlung für die weiterführenden Schulen.

Viertklässler/innen machen oft gerade zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres noch erhebliche Entwicklungen. Eine Verkürzung des Beurteilungszeitraums kann deshalb nicht im Sinne der Schüler/innen sein. Das KM möchte mit der Vorverlegung erreichen, dass die weiterführenden Schulen früher Planungssicherheit haben. Die Grundschulen und vor allem die Schüler/innen stehen nicht im Fokus. Im Prinzip sind die Noten der Halbjahresinformation nun die ausschlaggebenden, während bisher im Februar noch Klassenarbeiten geschrieben, beobachtet und dokumentiert werden konnte, wie sich die Arbeitshaltung und die Leistungen der Schüler/innen weiterentwickeln. Dieser Prozess muss nun vor den Weihnachtsferien beendet sein.
Der Hauptpersonalrat GHWRGS hat diese Bedenken gegenüber dem KM sehr deutlich geäußert. Die Verantwortlichen des KM sehen grundsätzlich kein Problem, da vier Wochen „nicht entscheidend sein können“. Ähnlich wie bei anderen Entscheidungen für die Grundschulen (z.B.: Verschiebung des Fremdsprachenunterrichtes) scheinen eher die Interessen und Anliegen der weiterführenden Schulen im Vordergrund zu stehen.

Während der Vorweihnachtszeit und in den wenigen Wochen zwischen den Herbst- und Weihnachtsferien finden in den Grundschulen zahlreiche Projekte und außerunterrichtliche Veranstaltungen statt. Deshalb ist es für die beteiligten Lehrkräfte mit einem großen Zeitdruck verbunden, die erforderlichen Arbeiten und Leistungsnachweise, vor allem in den Fächern Deutsch und Mathematik, spätestens bis Weihnachten einzuplanen und umzusetzen. Die Anzahl der bis dahin geschriebenen Klassenarbeiten reduziert sich unter Umständen. Somit wird die GSE auf der Basis von reduzierten Leistungsnachweisen erstellt.

Eltern verunsichert
Durch die Entscheidung, dass die Grundschulempfehlung bei den weiterführenden Schulen wieder vorgelegt werden muss, werden Eltern zwar formal nicht daran gehindert, ihr Kind an einr Schulart anzumelden, für die es nicht empfohlen wurde, aber der Schritt wird gerade für Eltern aus bildungsfernen Schichten oder mit Migrationshintergrund deutlich erschwert. Diese Eltern fühlen sich durch die Ankündigung verunsichert, dass die Gymnasien und Realschulen ein verpflichtendes Beratungsgespräch führen können, wenn die GSE nicht der gewählten Schulart entspricht.
Auch im Hinblick auf die Kinder und die Einschätzung ihres Leistungsvermögens ist so ein verpflichtendes Beratungsgespräch fragwürdig. Welche Erkenntnisse sollen die Grundlage für das Gespräch sein, die die Grundschullehrkräfte, die das Kind kennen, nicht bereits mit den Eltern erörtert haben? Das Elternwahlrecht bleibt formal erhalten, indirekt wird es in der Praxis durch diese Vorgaben eingeschränkt.
Die KM argumentiert, dass das Beratungsgespräch den weiterführenden Schulen helfen soll, die Heterogenität und das individuelle Leistungsvermögen der zukünftigen Schülerschaft bei der Klassenbildung zu berücksichtigen. Sie können so angeblich frühzeitig gezielte Fördermaßnahmen anbieten. Das ist aus Sicht der GEW nicht schlüssig. Hierzu sind formative und testbasierte Verfahren wesentlich besser geeignet, als die Vorlage der Empfehlung. Die GSE kann diese diagnostische Funktion nicht erfüllen. Z.B. kommen 40 Prozent der zu einem Hochschulstudium Berechtigten in Baden-Württemberg nicht aus dem gymnasialen Bildungsgang.

Übrigens sind die Befürchtungen, viele Eltern würden nach dem Wegfall der Verbindlichkeit, unabhängig von der Beratung der Grundschullehrkräfte und der Bildungsempfehlung, ihre Kinder auf dem Gymnasium anmelden, nicht eingetroffen. Es wäre also angebracht, dem Beratungsprozess an der Grundschule und dem Urteil der Eltern mehr zu vertrauen. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich das Verhalten der Eltern mit den neuen Vorgaben verändern wird.