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Wie Schule besser werden kann

Das Kultusministerium lud am 18. Februar zu einer Veranstaltung nach Stuttgart ein. Mit Schulen, Lehrerverbänden und Beratungsgremien sollten die Ursachen für das Abschneiden Baden-Württembergs beim IQB-Bildungstrend 2015 analysiert werden. Und es waren Lösungen gefragt. Doro Moritz benannte viele Schwachstellen im System Schule und machte Verbesserungsvorschläge.

Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) stellte auf der KM-Veranstaltung im Haus der Wirtschaft die Ergebnisse der Studie für Baden-Württemberg vor. Danach konnten Vertreter/innen von Verbänden und beratenden Gremien des Kultusministeriums Stellungnahmen abgeben. Doro Moritz, die für 50.000 GEW-Mitglieder sprechen konnte, führte aus:
„Die Steigerung der Qualität schulischer Bildung ist auch für die GEW ein zentrales Anliegen. Wir machen Beobachtungen und können Anregungen weitergeben. Wir können aber die Arbeit von Wissenschaftler/innen, die sich mit Unterrichts- und Schulentwicklung befassen, nicht ersetzen. Auch die GEW hat in den vergangenen Jahren immer wieder wissenschaftliche Expertisen eingeholt, um Antworten auf drängende Fragen zu bekommen. Ich nenne die Gutachten zur regionalen Schulentwicklung, die Expertise Gemeinschaftsschulen, das Gutachten von Klaus Klemm zum Lehrerbedarf, das wir derzeit in Bezug auf die Grundschule zur Aktualisierung in Auftrag gegeben haben.

Die Aufregung um die Qualität schulischer Bildung ist zurzeit groß. Trotzdem warne ich vor zu schnellen Entscheidungen. Ich habe bereits im Sommer 2016 vorgeschlagen, dass alle, die an der Lehrerfortbildung beteiligt sind, zusammen mit dem Landesinstitut für Schulentwicklung (LS), unterstützt von wissenschaftlicher Expertise, über neue Wege nachdenken sollten. Ich erneuere auch den Vorschlag, eine Enquêtekommission „Qualitätsentwicklung an allgemeinbildenden Schulen“ einzurichten. Für die gewaltige Aufgabe, die Qualität der Arbeit an den Schulen grundlegend zu verbessern, sollte der Landtag die Verantwortung übernehmen, wie er das für die berufliche Bildung bereits erfolgreich gemacht hat.
Die Schulen im Land kämpfen mit vielen Problemen:
•    Unsere Fortbildungsangebote stehen unverbunden und wenig nachhaltig nebeneinander. Wir brauchen mehrteilige, auch ganztägige Angebote für professionelle Lerngemeinschaften an Schulen.
•    Die Unterrichtsentwicklung muss systematisch angegangen werden. Ich empfehle dem KM, die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Unterrichtsentwicklung in allen Schularten zu nutzen. Seit Jahren weist der Bildungsbericht des LS wenig erfreuliche Befunde zur Differenzierung, Abgestimmtheit der Leistungskriterien und Rückmeldekultur aus. Die Kompetenzen des LS sollten deutlich stärker in die Qualitätsentwicklungsprozesse einbezogen werden.
•    Die zusätzlichen Stunden für die Realschulen werden alleine nicht sicherstellen, dass sich die Qualität des Unterrichts in der heterogensten weiterführenden Schulart verbessert und sich die Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte erhöht. Wir brauchen dringend Konzepte zur Förderung der Schüler-Risiko-Gruppe (20 Prozent) und zur Befähigung für den Umgang mit Heterogenität. Auch die Übergangsquote in die Gymnasien ist in den vergangenen 25 Jahren um zehn Prozent angestiegen – auch als die Grundschulempfehlung noch verbindlich war.
•    Eine Teamentwicklung und Begleitung von Schulen findet nicht systematisch statt. Die Fachberater/innen Schulentwicklung und Unterrichtsentwicklung müssen zusammengeführt werden und den Schulen zur Begleitung zur Verfügung stehen.
•    Fortbildner/innen müssen bezüglich ihrer Kompetenz und Ausstattung professionalisiert werden. Die monatliche Vergütung der Fachberater/innen im GHWRGS-Bereich mit 38,81 EUR brutto bei Vollbeschäftigung ist lächerlich. Für die gleiche Aufgabe gibt es im höheren Dienst eine Funktionsstelle mit A15. Für 378 Gymnasien gibt es dafür 922 Stellen, die 3.287 GHWRGS-Schulen haben 1.108 Zulagen in Höhe von 38,81 Euro. Auch deshalb ist die Fluktuation der Fortbildner/innen sehr hoch.
•    Unterschätzt und vernachlässigt wird die Bedeutung der Schulleitung für die Qualitäts- und Personalentwicklung.
•    Für neue Aufgaben (Inklusion, Ganztag, Flüchtlinge, Zieldifferenz in der Realschule und Gemeinschaftsschulen, große Heterogenität in allen Schularten, Digitalisierung, …) fehlen klare Konzepte und zusätzliche Zeit.
•    Auch für die Schulverwaltung gibt es kein Konzept der Qualitäts- und Personalentwicklung.
Ich erinnere daran, dass die Personalvertretungen bei der Einführung der Fremd-
evaluation großen Wert darauf legten, dass die Fremdevaluation ein von Aufsicht freies Institut durchführt. Das ist das LS und sollte es bleiben. Die Fremd-
evaluation sollte weiterentwickelt und nicht gestrichen werden. Es gibt in der Schul- und Kultusverwaltung kein Konzept, das einen produktiven Umgang mit den Fremdevaluationsergebnissen sichert. Auf einen Wunschkurs nach der Fremdevaluation wartet eine Schule 2 bis 3 Jahre.
Wir empfehlen eine datengestützte Schulentwicklung bzw. Entwicklungsberatung, wie sie Schleswig-Holstein, Hamburg und das erfolgreiche Kanada praktizieren. Sie stellt die Qualitätsentwicklung und nicht die Kontrolle in den Mittelpunkt. Sie bezieht sich auf die Einzelschule und blendet deren sozioökonomischen Zusammenhang nicht aus. Datengestützte Schulentwicklung zielt im Unterschied zum Bildungscontrolling darauf, den Schulen und der Schulaufsicht Daten zur Verfügung zu stellen, aus denen in einem dialogischen Prozess Entwicklungsziele abgeleitet und verfolgt werden. Und er nimmt die Unterstützungssysteme in den Fokus, die aufgrund sorgfältiger Analyse von den Schulen angefordert werden können.

Zahlreiche Daten sind heute bereits vorhanden. Sie müssen für die Einzelschule aufbereitet werden. Dafür brauchen die Schulen, die Schulverwaltung, die Fortbildungseinrichtungen und das LS genug Zeit und Geld. Stattdessen wird 2017 das Geld für Lehrerfortbildung schon wieder drastisch gekürzt. Lehrgänge im GHWRGS-Bereich, die sich mit Heterogenität, Schulentwicklung und anderen aktuellen Herausforderungen befassen, sind extrem überbucht. Der hohe Anteil fachfremden Unterrichts, vor allem in der Grundschule und anderen kleinen Schulen und an den Gemeinschaftsschulen gefährdet die Qualität der Arbeit. Die fehlende Zeit im Studium der Grundschullehrer/innen verschärft diese Problematik. Es ist ein Skandal, dass sie zwei Semester kürzer studieren als alle anderen wissenschaftlichen Lehrer/innen. Zwei Semester mehr würde ihnen die Zeit für ein zusätzliches Fach geben. In der Kontingentstundentafel der Grundschule stehen in erfolgreichen Bundesländern mehr Stunden als in Baden-Württemberg. Unsere Grundschulen haben als einzige Schulart keine Poolstunden in der Pflichtstundenzuweisung. Wir erleben eine deutlich spürbare Verschlechterung der Unterrichtsversorgung. Für Inklusion und für geflüchtete Schüler/innen in Regelklassen, für Sprachförderung und Integration gibt es eindeutig zu wenig Ressourcen.
Wer die Qualität des Unterrichts verbessern will, muss zunächst dafür sorgen, dass er stattfindet. Die Streichung von 1.074 Lehrerstellen im Jahr 2017 ist angesichts dieser Aufgaben und der Arbeitsbedingungen an den Schulen absolut kontraproduktiv.

Wichtig ist aber auch, dass gute fachliche Leistungen in den Unterrichtsfächern nur ein Teil dessen sind, was Schule zu leisten hat. Wir brauchen Studien, die die Gelingensbedingungen für eine Schule herausarbeiten, die allen Kinder und Jugendlichen umfassende Bildung auch der Persönlichkeit, zu Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit und einer demokratischen Grundhaltung ermöglicht. Wir stehen durch rechtspopulistische und nationalistische Entwicklungen vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Wir müssen ihnen mit einer Schule begegnen, in der Vielfalt, Solidarität und Toleranz ihren Platz haben und gelebt werden. Schule muss Zeit und Raum bieten für Erfahrungen und die Auseinandersetzung mit Werten und Orientierungen.“