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Evaluierung des Chancengleichheitsgesetzes

Wird Baden-Württemberg gleichstellungspolitisches Musterländle?

Im Sozialministerium wird derzeit die Evaluierung des Landesgleichstellungsrechts für den öffentlichen Dienst – das Chancengleichheitsgesetz (ChancenG) – vorbereitet. Dies ist bundesweit einzigartig.

Tagung mit Manuela Reichle, Erika Bock, Daniela Weber, Ute Cardinal von Widdern (von links)
Tagung mit Manuela Reichle, Erika Bock, Daniela Weber, Ute Cardinal von Widdern (von links)

Schlechte Nachrichten sind wir aus der Gleichstellungspolitik in Baden-Württemberg gewöhnt. Der aktuelle Stand sieht so aus: Nur gut jedes vierte Mitglied im Landtag ist eine Frau. Damit steht Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich am schlechtesten da. Eine Wahlrechtsreform für Baden-Württemberg, eigentlich Bestandteil des Koalitionsvertrags, hat die CDU verhindert. Die Forderung des Landesfrauenrats nach Einsetzung eines Bürger*innenforums zur Ausarbeitung eines Vorschlags für eine Wahlreform wurde vom Landtag nicht umgesetzt. In der Kommunalpolitik ist ebenfalls nur etwa jedes vierte Mandat mit einer Frau besetzt. Nur die Grünen schaffen Geschlechterparität. Bei der SPD ist jedes dritte Mitglied eine Frau. Die anderen Parteien liegen deutlich dahinter. Die CDU stellt zwar mit fast 5.000 weitaus die meisten Gemeinderatsmitglieder in Baden-Württemberg, aber nur jeder fünfte Platz ist mit einer Frau besetzt. Besonders im ländlichen Raum muss man Frauen mitunter mit der Lupe suchen.

In den Bildungsberufen sind Frauen zahlenmäßig stark vertreten. Drei Viertel der GEW-Mitglieder sind Frauen. Bei Funktionsstellen in Schulen sind die Zahlen gleichwohl rückläufig – vor allem dort, wo man in Funktionsstellen mehr Geld verdient. Beim Anteil der Professorinnen ist Baden-Württemberg ebenfalls Schlusslicht im Ländervergleich. Nicht einmal jede fünfte Professur ist mit einer Frau besetzt. Nur eine der fünf pädagogischen Hochschulen im Land wird von einer Frau geleitet. Die Unterrepräsentanz in Forschung und Lehre zu reduzieren, ist Aufgabe des Wissenschaftsministeriums, kommt aber nur langsam voran.

Dort, wo Frauen auch führen, ist Führung vergleichsweise schlecht bezahlt und ausgestattet – sei es an Grundschulen oder in der Kita. Die Aufwertung der Leitungstätigkeit an Grundschulen und die Besserstellung von Kita-Leitungen sind längst überfällige Schritte. Und nun betritt Baden-Württemberg mit der bundesweit einmaligen Evaluierung seines Landesgleichstellungsrechts gleichstellungspolitisches Neuland. Wie passt das zusammen und wie kam es dazu?

Was in Sachen Evaluierung des ­Chancengleichheitsgesetzes geplant ist

Dass es eine Evaluierung überhaupt gibt, geht auf die Novellierung des Gesetzes unter der grün-roten Landesregierung zurück. Im ChancenG ist geregelt, dass die Neuregelungen dieses Gesetzes drei Jahre nach Inkrafttreten zu evaluieren sind. Den Verfasser*innen der Novellierung war wohl klar, dass der Weisheit letzter Schluss im Landesgleichstellungsrecht noch nicht gefunden ist. Einschränkend sieht der grün-schwarze Koalitionsvertrag vor, dass geprüft werden solle, inwieweit die Beteiligungsrechte effizienter gestaltet werden können.

Die Gewerkschaftsfrauen haben im Vorfeld der Evaluierung des ChancenG dem Sozialministerium einen Fragenkatalog mit zehn Fragekomplexen vorgelegt: Grundlegendes/Ausstattung der BfC – Stellvertretung – Zusammenarbeit mit dem Personalrat – Beteiligung – Beanstandungen – Chancengleichheitsplan – ­Fortbildungen – Unterstützungsan­gebote – ­Kommunale Gleich­stellungsbeauftragte (GleiB) – ­Verschiedenes. Das ­Sozialministerium hat die Fragen des DGB für die Evaluator*innen frei gegeben.

Was für DGB und GEW besonders wichtig ist

DGB und GEW finden es für die Qualität der Evaluierung wichtig, dass sich die Gesetzesanwender*innen aus der Praxis intensiv Zeit nehmen, um Fragen zu beantworten. Der Vorschlag des DGB sieht vor, dass Personalratsmitglieder, Dienststellenleitungen und BfCs differenziert befragt werden. Für die BfCs, schlägt der DGB folgende Fragen vor: Wie oft nahmen BfCs an Besprechungen der Dienststellenleitung oder der Führungskräfte teil? Wie oft wird die BfC bei Besprechungen nach § 19 Abs. 3 ChancenG aufgrund mangelnden Bezugs zu den Aufgaben aus dem ChancenG ausgeschlossen? Wer legt fest, ob ein Thema Chancengleichheitsrechtsbezug hat? Wer bewertet die Auswirkung von Veränderungen auf die weiblichen Beschäftigten und die genderspezifische Betroffenheit?

Für Frauenpolitiker*innen in den Gewerkschaften steht außer Frage, dass der Evaluierung eine Novellierung folgen muss: Ausweitung des Geltungsbereichs, Aufnahme eines Organklagerechts und Aufhebung der Unvereinbarkeit des Mandats als Beauftragte für Chancengleichheit und Personalrätin oder Schwerbehindertenvertretung. Was darüber hinaus nötig wird, zeigt die Evaluierung.

Auf der BfC-Tagung der GEW im Herbst 2019 hat Erika Bock, Vorsitzende des DGB-Frauenausschusses, dafür geworben, dass sich die BfCs intensiv mit der Evaluierung auseinandersetzen. „Es ist eine Chance, eine Novellierung des ChancenG auf den Weg zu bringen“, betonte sie.

Im Plenum wurde immer wieder angesprochen, dass die wachsenden Spannungen zwischen Teilzeitbeschäftigten und Vollzeitbeschäftigten an Schulen mit der schlechten personellen Ausstattung in Schulen zusammenhängen. Die BfCs können dem gesetzlichen Auftrag, für Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Schulen zu sorgen, wegen Personalmangel bzw. hoher Deputatsverpflichtungen oft nur unzureichend nachkommen. Weil die Unterfinanzierung im Bildungsbereich der Umsetzung des ChancenG entgegensteht, wurde bei der Tagung eine Resolution an die Kultusministerin Susanne Eisenmann verabschiedet. Die zentralen Forderungen lauten:

  • Ausstattung der Schulen mit ausreichend Stellen, die es ermöglichen, dass Lehrkräfte Fortbildungen besuchen und Elternzeit nehmen, ohne dass deswegen Unterricht ausfällt oder die vorhandenen Lehrkräfte über Gebühr belastet werden
  • Ausweitung der Vertretungsreserve
  • Unbefristeter Vertrag für befristet Beschäftigte mit guten Leistungen, Bezahlung über die Ferien
  • Bereitstellung von ausreichenden (personellen) Ressourcen für die Durchführung der Digitalisierung

In ihrer Antwort hat die Kultusministerin darauf verwiesen, dass im Doppelhaushalt bereits einige Forderungen berücksichtigt seien und es der Ministerin ein Anliegen sei, die Krankheitsreserve auszubauen. Außerdem hat sie den GEW-Erfolg der Einführung eines Teilzeitreferendariats als Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität des Lehrer/innenberufs angeführt. Bei der nächsten BfC-Tagung im Oktober 2020 wissen wir, ob die Maßnahmen gegriffen haben.

Kontakt
Manuela Reichle
Referentin für Hochschule und Forschung; für Frauen-, Geschlechter- und Gleichstellungspolitik; gewerkschaftliche Bildung
Telefon:  0711 21030-24