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Neue Regeln für Abiturprüfung

Niveau des Abiturs hängt nicht von einer Prüfung ab

Die GEW-Landesfachgruppe Gymnasien hat erreicht, dass Schüler*innen im mündlichen Abitur eine zweite Chance erhalten. Endlich schafft das Kultusministerium die Null-Punkte-Regelung im Abitur ab. Aber dann doch nicht so ganz.

Foto: Shutterstock/GEW

Bislang wurde in Baden-Württemberg die Allgemeine Hochschulreife nur dann vergeben, wenn keine der Prüfungen im Abitur selbst mit 0 Punkten absolviert wurde. In vierfacher Wertung mussten immer 4 Punkte erzielt werden (4-Punkte-Regel). Wenn nun Schüler*innen in einer der zwei mündlichen Prüfungen einen Blackout hatten und nur 0 Punkte bekamen, bestanden sie das Abitur nicht. Eine Wiederholungsprüfung war nicht vorgesehen – dies kritisierte die GEW Landesfachgruppe Gymnasien seit Jahren. Schrieb ein Prüfling hingegen 0 Punkte im Schriftlichen, so war es zumindest möglich, diese durch eine zusätzliche mündliche Prüfung auszubügeln. 3 Punkte in dieser mündlichen Prüfung wurden so verrechnet, dass als Gesamtnote 1 Punkt stand, der vierfach gewertet das Bestehen ermöglichte.

Änderung zu Pandemiezeiten

Am 20. Dezember verfügte Kultusministerin Theresa Schopper für das Abitur 2022 eine Änderung dieser Regelungen: Bei den mündlichen Prüfungen ist nun erstmals eine Wiederholungsprüfung möglich und bei einer Zusatzprüfung in einem schriftlichen Fach reicht 1 Punkt zum Bestehen statt der sonst notwendigen 3. Während die GEW-Landesfachgruppe Gymnasien dies uneingeschränkt als längst überfällige Veränderung begrüßte, sahen konservative Bildungspolitiker*innen und Verbände einen Erdrutsch des Niveaus beim baden-württembergischen Abitur und gingen in die Offensive.

Eine halbe Rolle rückwärts

In einem Kompromiss auf politischer Ebene wird die neue Regelung Presseberichten zufolge nach der Pandemie teilweise wieder kassiert. Rechtlich handelt es sich wohl um eine Rückkehr zu den alten Vorgaben: Im Schriftlichen sollen die ursprünglichen Regelungen der Prüfungsordnung (AGVO) wieder gelten: Bei 0 Punkten in der Abi-Klausur müssen also wieder 3 Punkte im Mündlichen erreicht werden.

Die von der GEW geforderte Wiederholungsmöglichkeit der mündlichen Prüfung soll bleiben, doch der Abrechnungsmodus soll verschärft werden. Das Abitur wäre bestanden, wenn der erste mündliche Versuch zwar mit 0, der zweite aber mit mindestens 2 Punkten abgeschlossen wurde: Der resultierende eine Punkt ergibt in vierfacher Wertung die geforderten 4 Punkte.

Änderungen im laufenden Geschäft

Für große Verärgerung sorgte das Hin und Her an den Gymnasien vor Ort, die im laufenden Geschäft einerseits die neuen Regelungen für das Abitur 2022 verkünden – ohne die exakten Berechnungsgrundlagen zu kennen – und gleichzeitig die kommenden Jahrgänge verlässlich informieren mussten. Weder die Oberstufenberater*innen noch die Schulleitungen vermochten in den Veranstaltungen Mitte Februar für die neuen Abi-Jahrgänge definitiv zu sagen, wie denn nun genau die Rahmenbedingungen im Abitur 2023 oder gar 2024 sein werden. Offizielle Vorgaben des Kultusministeriums fehlten. „Die Schüler*innen haben doch ein Anrecht darauf, verbindlich zu wissen, nach welchen Regeln sie die Prüfungen ablegen werden. Und genau das konnten wir nicht liefern“, fasst eine Oberstufenberaterin die Lage zusammen. Den Gymnasien lagen bis Redaktionsschluss Anfang März noch keine verlässlichen Regelungen aus dem Ministerium vor.

Gymnasiale Bildung ist viel mehr

Im Klein-Klein der Regelungen geraten dabei zwei wichtige Punkte völlig aus dem Blick: Zunächst handelt es sich bei der Null-Punkte-Regelung um eine Vorschrift, die verschwindend wenige Schüler*innen überhaupt betrifft. Theresa Schopper geht letztlich von weniger als 0,1 Prozent der Prüflinge aus. An einer solchen Regel die Qualität des baden-württembergischen Abiturniveaus festmachen zu wollen, ist mehr als fragwürdige Symbolpolitik.

Die Reduktion gymnasialer Bildung auf eher peinliche Rechenexempel und Punktejagd passt nicht zu einem umfassenden modernen Bildungsbegriff und zum Ziel der Studierfähigkeit. Eine Bio-Kollegin konstatiert: „Wir wollen doch nicht rausprüfen, sondern die entscheidenden Qualifikationen zur Hochschulreife vermitteln.“

Kontakt
Ute Kratzmeier
Referentin für allgemeinbildende Schulen
Telefon:  0711 21030-25
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