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Vorbereitung des Doppelhaushalts 2023/2024

Ohne zusätzliches qualifiziertes Personal keine zusätzlichen Aufgaben

Im Frühsommer begannen die Beratungen zum Doppelhaushalt. Ziel von Ministerpräsident Kretschmann ist es, ab 2023 wieder zur Schuldenbremse zurückzukehren. Die finanziellen Spielräume seien gering, doch so schlecht ist die Haushaltslage nicht.

Die Kritik an der Schuldenbremse aus der eigenen Partei wischte Kretschmann einfach beiseite: Er sehe keine Mehrheiten, die Schuldenbremse zu reformieren. Deswegen beschäftige er sich damit nicht. Es scheint sich aber in der Landesregierung niemand ernsthaft für das Machtwort des Chefs interessiert zu haben. Insgesamt haben die Ministerien fast 9.000 zusätzliche Stellen und 7,75 Milliarden Euro zusätzliche Mittel beantragt. Vor der Sommerpause einigt sich die Haushaltskommission über Investitionsschwerpunkte – die Stellendebatte wurde erst einmal vertagt. 

In den vergangenen Monaten ist viel von „Zeitenwende“ die Rede gewesen. Für eine gerechte Steuer- und Finanzpolitik etwa durch die Einführung einer Vermögens- oder Übergewinnsteuer zur ausreichenden Finanzierung öffentlicher Ausgaben gilt dies offensichtlich nicht.

Unklare Haushaltslage

Kretschmann verweist auf die unsichere wirtschaftliche Situation. Richtig ist, dass derzeit niemand die genauen wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges vorhersehen kann. Unklar ist, ob es zu einer Rezession kommt, die hohe ­Inflation beschert der öffentlichen Hand zwar höhere Steuereinnahmen, aber auch zusätzliche Kosten. Darüber hinaus belasten steigende Zinsen die Haushalte – bislang konnte sich die öffentliche Hand faktisch zinsfrei verschulden.

Richtig ist aber auch, dass Kretschmann und Finanzminister Danyal Bayaz seit einigen Jahren die tatsächliche Finanzlage des Landes verschleiern. Das Finanzministerium weist darauf hin, dass die Verschuldung des Landes von 45  Milliar­den Euro (2019) auf 59,7 Milliarden Euro (2021) gestiegen sei. Davon sind jedoch 20,8 Milliarden Euro nicht valutierte Kredite, für deren Aufnahme es zwar eine gesetzliche Ermächtigung im Haushalt gibt, die jedoch nicht oder noch nicht in Anspruch genommen wurden. Dieser Anteil steigt seit 2012 an und hat sich in der Pandemie noch einmal drastisch erhöht. Tatsächlich liegt die valutierte Verschuldung 2021 noch unter dem Wert von 2014 (Tabelle 1).

Tabelle 1: Quelle: Landesrechnungshof Denkschrift 2022 – Entwicklung des Landeshaushalts

Gleichzeitig erzielt das Land in den letzten 10 Jahren regelmäßig einen kassenmäßigen Haushaltsüberschuss in Milliardenhöhe (Differenz aus Ist-Einnahmen und Ist-Ausgaben), im Corona-Jahr 2021 waren dies 5,227 Milliarden Euro. „Ein Überschuss in dieser Höhe ist einmalig in der bisherigen Landesgeschichte“, schreibt der Landesrechnungshof in der Denkschrift 2022 zur Entwicklung des Landeshaushalts. Ursache sind einerseits die gestiegenen Steuereinnahmen – nach dem Einbruch im Corona-Jahr 2020 übertrafen sie 2021 bereits wieder den Wert von 2019. Andererseits fielen auch die Ausgaben niedriger aus. Zu Buche schlagen hier alleine beim Personal Minderausgaben von 1,1 Milliarden Euro. Dies dürfte auch daran liegen, dass zuletzt mehr als 12.000 Stellen unbesetzt waren! Das Land hat so erhebliche finanzielle Rücklagen angehäuft. Dazu hat auch beigetragen, dass die jährlichen Ausgabenreste in den vergangenen 10 Jahren um mehr als das 3,5-Fache angewachsen sind (siehe Tabelle 2).

Insgesamt dürfte die Haushaltslage des Landes deutlich besser sein, als Kretschmann in seinen öffentlichen Aussagen glauben machen will. Dafür spricht auch, dass Finanzminister Bayaz bei den ersten Abstimmungen mit den Ressorts den „verfügbaren Investitionskorridor“ von ursprünglich 890 Millionen Euro auf 1,38 Milliarden Euro aufgepolstert hat.

Stellenanforderungen des Kultusministeriums – eine Phantomdiskussion

Je nach Betrachtungsweise hat das Kultusministerium (KM) bis zu 4.500 Neustellen im Haushalt beantragt. Im Einzelnen geht es dabei um Maßnahmen, die in Tabelle 3 dargestellt sind.

Auffällig ist, dass das KM mehr als 1.000 Stellen für den Ausgleich der steigenden Schüler*innenzahlen beantragt hat. Tatsächlich sind in Baden-Württemberg die Geburtenzahlen seit 2013 wieder angestiegen. Diese Kinder kommen mittlerweile in der Grundschule an.

Zu den beantragten 2.064 Stellen kommt weiterhin die Verstetigung der Stellen (1.165) aus der Sprachförderung. Diese sind ab 2015 geschaffen worden, sie sind allerdings mit einem KW-Vermerk (künftig wegfallend) versehen, das heißt sie müssten jeweils zum Ende des ­Haushaltsjahres gestrichen werden. Bislang wurde die Finanzierung dieser Stellen immer nur um ein Jahr verlängert – jetzt sollen sie in dauerhafte Planstellen umgewandelt werden.

Darüber hinaus hat das KM für die Beschulung von Jugendlichen aus der Ukraine für das Schuljahr 2022/2023 Mittel für 900 Stellen und für 2023/2024 für 450 Stellen beantragt.

Diese Stellenanforderungen sind alle notwendig und sinnvoll – sie entsprechen größtenteils langjährigen Forderungen der GEW. Allerdings gerät die Diskussion über zusätzliche Stellen zunehmend zu einer Phantomdebatte. So notwendig diese zusätzlichen Stellen auch sein mögen, sie zeigen nur dann Wirkung, wenn sie auch adäquat besetzt werden können. Im Frühjahr waren allein im Bereich des Kultusministeriums 3.736 Stellen (3,6 Prozent aller Stellen) unbesetzt. Dies ist das Ergebnis des zunehmenden Fachkräftemangels.

Dieser Mangel ist allerdings ein gesamtwirtschaftliches Problem und kein isoliertes Phänomen im Bildungssektor. Er umfasst sowohl Ausbildungsberufe als auch akademischen Berufe, und er ist demographisch bedingt, weshalb wir erst am Beginn dieser Mangelsituation stehen. Bis 2030 werden die Baby-Boomer zunehmend in den Ruhestand gehen, während im gleichen Zeitraum die geburtenschwachen Jahrgänge das Bildungssystem verlassen. Derzeit kommen auf jeden jungen Menschen, der in das Berufsleben einsteigt, circa 1,1 Personen, die in Ruhestand gehen. Im Jahr 2031 wird sich das Verhältnis auf beinahe 1 zu 2 verändern. Dies bedeutet, dass sich der Fachkräftemangel in den kommenden zehn bis 15 Jahren erheblich verschärfen wird und dass das Problem auch nicht durch eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten oder durch zusätzliche Mittel lösen lässt.

Deregulierung als Strategie – keine wirkliche Alternative!

Auch das KM scheint dies mittlerweile erkannt zu haben. Deutlich geworden ist dies im Programm „Lernen mit Rückenwind“. Hier gibt Mittel, aber keine Fachkräfte. Das KM ermöglichte deshalb, „sonstige geeignete Personen“ als Pädagogische Assistent*innen einzustellen. Faktisch sind das nicht oder nicht adäquat ausgebildete Zusatzkräfte, die zudem im Vergleich zu Lehrkräften deutlich schlechter bezahlt werden. Diesen Weg will das KM jetzt fortsetzen. In den Haushaltsanforderungen sind insgesamt 534 Stellen für Pädagogische Assistent*innen vorgesehen. 267 Stellen sind vorgesehen, um Pädagogische Assistent*innen, die bislang auf umgewandelten Lehrkräftestellen geführt werden, auf eigene Haushaltsstellen zu überführen. Weitere 267 Stellen sollen neu geschaffen werden.

Diese Strategie wird auch an anderen Stellen sichtbar: Bis 2026 soll der Rechtsanspruch auf Ganztagesförderung in der Grundschule verwirklicht werden. Bis zu 80 Prozent der derzeitigen Ganztagesangebote haben allerdings keine rechtliche Grundlage, das heißt es gibt weder Qualitätsstandards noch Anforderungen an die Qualifikation des Personals. Die Praxis, in diesem Bereich „sonstige ­geeignete Personen“ einzusetzen, will das Land jetzt mit einer Änderung des Schulgesetzes festschreiben. Und auch im Kita-Bereich will das KM zulassen, dass bis zu 20 Prozent der notwendigen Fachkräfte durch „sonstige geeignete Personen“ ersetzt werden.

Dieses Vorgehen stellt nicht nur die Qualität von Bildung in Frage, sie führt auch zu einer Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen. Die Notwendigkeit einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Voraussetzung für eine Tätigkeit soll nicht nur Qualität sichern, sondern auch eine entsprechende tarifliche Eingruppierung und Bezahlung. Beides wird in Frage gestellt.

Ob diese Strategie aber erfolgreich sein wird, muss angezweifelt werden. Der demographisch bedingte Fachkräftemangel verschwindet nicht, wenn man die Anforderungen an die Ausbildung beziehungsweise die entsprechende tarifliche Bezahlung dereguliert. Eine schlechtere Bezahlung produziert keine zusätzlichen Arbeitskräfte.

Die Regierung Kretschmann irrlichtert durch die Haushaltsberatungen ohne Plan und Antworten auf die Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts – weder finanz- noch personalpolitisch.

Notwendig wäre das Eingeständnis, dass das Schul- und Bildungssystem ohne zusätzliches qualifiziertes Personal nicht permanent zusätzliche Aufgaben erfüllen kann. Schulen und Einrichtungen können nur das leisten, wofür sie mit Personal ausgestattet sind. Wir brauchen deshalb eine Debatte, was Schulen und Einrichtungen unter der Voraussetzung eines demographisch bedingten Fachkräftemangels im kommenden Jahrzehnt leisten sollen und können. Für die Beschäftigten müssen vertretbare Arbeitsbedingungen möglich sein und die Schüler*innen haben Anspruch auf ein qualitativ angemessenes Bildungsangebot. Das zeigt sich auch an der derzeitigen Debatte über die Ganztagesförderung in der Grundschule. Es ist nicht sinnvoll, auf dem Papier Rechtsansprüche zu definieren, wenn in der Realität kein Personal dafür da ist, diese auch umzusetzen. Dies geht am Ende nur zu Lasten der Beschäftigten und der Kinder und Jugendlichen.

Kontakt
Michael Futterer
Telefon:  07131 5945355