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Elterninitiative startet Volksantrag

Rückkehr zu G9 am allgemeinbildenden Gymnasium?

Eltern versuchen, eine Volksabstimmung zur Einführung des neunjährigen Gymnasiums als Regelform in Baden-Württemberg zu forcieren. Ob das Vorhaben bildungspolitisch sinnvoll ist, scheint eher fraglich zu sein. Ein Kommentar von Michael Futterer.

Eine Lehrerin unterrichtet eine 12. Klasse im Fach Deutsch.
Foto: © imago

Im November startete eine Elterninitiative für einen Volksantrag zur Einführung des neunjährigen Gymnasiums als Regelform in Baden-Württemberg, um eine Volksabstimmung zu erreichen. Dieses Vorgehen ist sicher legitim – ob dies aber bildungspolitisch sinnvoll ist, scheint eher fraglich zu sein.

Die Eltern fordern zwar ein neunjähriges Gymnasium – die genaue Ausgestaltung bleibt aber unklar und die Begründung eher widersprüchlich.

Beklagt werden einerseits die hohe zeitliche Belastung und die fehlenden Freiräume für die Schüler*innen. Dies könnte man durch eine zeitliche Streckung des Bildungsganges, also eine andere Verteilung der Schülerwochenstunden auf ein zusätzliches Schuljahr erreichen. Auf der anderen Seite wird jedoch deutlich mehr Unterricht zum Beispiel in den Gesellschaftswissenschaften und Informatik gefordert, der dieses Ziel letztlich konterkariert. Für die hinzugefügte Klassenstufe werden 20 zusätzliche Schülerwochenstunden gefordert, lediglich zwölf davon sollten aus anderen Klassenstufen umverteilt werden.

Die Eltern verweisen zudem auf coronabedingte Lernrückstände, die es aufzuholen gelte. Diese gibt es sicher in allen Schularten – aber eben nicht nur am allgemeinbildenden Gymnasium. Warum nun ausschließlich dort die Schulzeit verlängert werden soll, bleibt undurchsichtig.

Berufliche Gymnasien sind Erfolgsmodell

Die Elterninitiative fordert zudem eine Alternative zum G8, was man in Frage stellen kann. Das allgemeinbildende Gymnasium hat sein Monopol bei der Vergabe einer Hochschulzugangsberechtigung (Abitur und Fachhochschulreife) längst verloren. Mehr als 50 Prozent erwerben diese in anderen Bildungsgängen. Baden-Württemberg hat ein hochdifferenziertes System, zu einer Hochschulzugangsberechtigung zu kommen (neben den Beruflichen Gymnasien zum Beispiel Berufskollegs, ausbildungsbegleitende Fachhochschulreife, Einjähriges Berufskolleg zur Fachhochschulreife, Berufsoberschule und so weiter). Die Beruflichen Gymnasien wurden zudem in den letzten Jahren weiter ausgebaut und sind ein Erfolgsmodell. Zudem existiert die Möglichkeit des Studiums für beruflich Qualifizierte. Warum nun ein weiterer Weg eröffnet werden soll, wird an keiner Stelle begründet.

Fragwürdig ist auch der zusätzliche Bedarf an Lehrkräften. Die Elterninitiative geht von circa 1.400 zusätzlichen Deputaten aus. Nicht berücksichtigt wird dabei eine mögliche Erhöhung der Übergangsquote auf das Gymnasium (2023 erhalten 51,4 Prozent der Grundschüler*innen eine Gymnasialempfehlung, 45 Prozent wechseln auf das Gymnasium, davon circa 90 Prozent mit Gymnasialempfehlung). Das Problem ist dabei weniger die Frage der Finanzierung, sondern der Lehrkräftemangel, der sich in den kommenden zehn Jahren noch verschärfen wird. Wir sollten diskutieren, ob diese Stellen woanders nicht dringender gebraucht werden.

Der Bildungsforscher Thorsten Bohl kritisiert zurecht, dass hier eine isolierte G9-Diskussion geführt werde, welche die Nebenwirkungen ausblende. Er fordert eine Gesamtstrategie, die das gesamte Bildungssystem in den Blick nehme.

Dem kann man nur beipflichten.

Kontakt
Michael Futterer
Vorsitzender Fachgruppe Gewerbliche, Haus- und Landwirtschaftliche, Sozialpädagogische und Pflegerische Schulen