Die Erprobung startete im Schuljahr 2013/14 und ist auf vier Jahre angelegt. Die Schulen warten nun auf eine Zusage, dass sie in zwei Jahren ohne Noten weiterarbeiten können.
In der immer wieder aufkommenden Diskussion um die Effizienz schulischen Arbeitens mit und ohne Noten gibt es zwei Lager: Auf der einen Seite stehen die Verfechter/innen der Notengebung, oft verbunden mit der Forderung nach der Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Sie betonen, dass der Wunsch nach guten Noten Kinder zu Leistungsbereitschaft und somit besseren schulischen Ergebnissen anspornt. Die Vorstellung einer leistungsfreien Kuschelpädagogik in den Grundschulen wird als Ursache geringer Leistungsbereitschaft gesehen. Es gibt massive Forderungen, vor allem vom Philologenverband, dass Eltern die Grundschulempfehlung wieder an den weiterführenden Schulen vorlegen müssen. Damit wird auch die Notengebung in der Grundschule begründet.
Auf der anderen Seite stehen neben den zehn Erprobungsschulen viele Kolleginnen und Kollegen, die mit den Noten für die Schüler/innen Konkurrenz, Angst, Stress und Stigmatisierung assoziieren. Die Notengebung verhindere vor allem bei schwächeren Schüler/innen eine positive Lernhaltung. Lehrer/innen, die auf Noten verzichten wollen, setzen auf eine kompetenzorientierte, auf Stärken schauende Rückmeldung über das Lernen und die Entwicklung der Schüler/innen. Diese Einschätzung wird von den Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen unterstützt. Sie belegen, dass Leistungsdruck die Lernmotivation hemmen und das Lernen behindern kann.
Mit der Einführung der notenfreien Gemeinschaftsschule wurde die Diskussion, auf die Vergabe von Ziffernoten verzichten zu können, in Baden-Württemberg neu entfacht. Viele Kolleg/innen hoffen auf eine Ausweitung des Schulversuches. „Wir sehen die Notengebung in unserer Grundschule kritisch. Ist es auch für uns möglich, zugunsten alternativer Leistungsrückmeldungen darauf zu verzichten?“ Ähnliche Anfragen werden immer wieder an den Hauptpersonalrat GHWRGS gestellt. Oder die Kollegien der interessierten Schulen wenden sich direkt an eine der zehn Erprobungsschulen.
Viele Schulen haben sich mit der Auseinandersetzung über Möglichkeiten alternativer Leistungsmessung auch auf den Weg hin zu individualisierten Lernformen gemacht. Bei den Schilderungen der Erprobungsschulen wird schnell klar, dass es vor allem auch um die Entwicklung einer neuen Lernkultur geht.
„Zurück zu Noten? Das ist überhaupt nicht vorstellbar. Wir haben in den letzten Jahren unsere gesamte Arbeitsweise in unserer Schule verändert. Die Gespräche mit den Kindern und den Eltern über das, was im Unterricht stattfindet, haben eine neue Bedeutung erhalten, seit die Leistungen nicht mehr auf eine Note reduziert werden. Der Unterricht hat sich geöffnet. Das Kollegium hat viel Arbeit und Energie darauf verwendet, aus einer Idee ein umsetzbares Konzept zu entwickeln und die Eltern mit ins Boot zu holen.“ Diese und viele weitere Argumente bringen Timo Haas und Marion Esser von der Gerhart-Hauptmann-Grundschule in Mannheim vor, wenn sie darauf angesprochen werden, dass die Erprobungsphase „Grundschule ohne Noten“ nach 2016/17 nicht verlängert werden könnte. Wenn es nach ihnen ginge, sollten sogar gesetzlich weitergehende Rahmenbedingungen geschaffen werden: „Es wäre toll, wenn Eltern, die unser Konzept gut finden, an unsere Schule kommen könnten. Bisher können Eltern sich zwar gegen eine Teilnahme am Schulversuch entscheiden und dann die Schule wechseln. Umgekehrt geht das aber leider nicht. Wir haben zahlreiche Anfragen von Eltern aus Nachbarschulen, die von unserem Konzept überzeugt sind.“
Auch Jörg Fröscher von der Theodor-Heuglin-Gemeinschaftsschule in Hirschlanden betont immer wieder, dass die Erprobungsschulen eine Ausweitung der gesetzlichen Regelungen brauchen. So gelten ab dem Halbjahr in Klasse vier die üblichen Vorschriften. Ziffernoten sind unerlässlich: „Für Kinder einer Gemeinschaftsschule ab Klasse eins sind die Noten in Klasse vier die einzigen Noten in ihrem Schulleben. Das lässt sich den Eltern wirklich schwer vermitteln und uns phasenweise unglaubwürdig wirken. Wir erleben aktuell, dass die Kinder einem „Vergleichswahn“ verfallen, da sie ja überhaupt nicht gewöhnt sind, damit umzugehen. Das belastet den Klassenverband ungemein. Hier muss es zu einer Klärung kommen!“
Dass in der 4. Klasse Noten gegeben werden müssen, liegt an den Notengrenzen, die für die Grundschulempfehlung relevant sind. Außerdem behauptet das Kultusministerium, dass das Abschlusszeugnis einer Schulart Ziffernoten erfordern würde. Die Schulleitungen der Erprobungsschulen fordern, dass der Erprobungsauftrag auf eine alternative Grundschulempfehlung ausgeweitet werden sollte. Sie sind sich einig, dass eine differenzierte Darstellung der Arbeitshaltung und Leistungsbereitschaft ausreichend wäre.
Sehr bedauerlich ist, dass eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der Erprobung nicht finanziert wurde. So fehlen belastbare Ergebnisse der Erprobung. Ein Problem ist auch, dass zwar Vergleichsschulen eingerichtet wurden – das Verhältnis zwischen Erprobungs- und Vergleichsschulen wurde aber nicht geklärt. Teilweise hatten die Erprobungsschulen nicht einmal Kontakt zu den Vergleichsschulen. Es gab Irritationen, was genau verglichen und evaluiert werden solle, wer die Rahmenbedingungen benennt und die Initiative ergreift.
Daher setzt sich die GEW dafür ein, dass für eine Erprobung neuer pädagogischer Konzepte klare Ziele und Rahmenbedingungen definiert werden. Auch ein Untersuchungs- und Auswertungsinstrument muss vorliegen. Es ist unsinnig, dass die einzelnen Schulen mit der Auswertung allein gelassen werden. Nur mit Begleitung können die Ergebnisse einer Erprobung nachvollziehbar dokumentiert werden. Und die GEW erwartet, dass der Modellversuch „Grundschule ohne Noten“ für interessierte Schulen geöffnet wird.
Die Erprobungsschulen arbeiten seit Jahren erfolgreich ohne Noten. Sie sorgen sich allerdings, wie es nach den vier Jahren weitergehen soll. Bei der diesjährigen Arbeitstagung haben die Erprobungsschulen einstimmig um eine verbindliche Zusage für die Fortführung des Schulversuches gebeten. Der Zwischenbericht des Referats Grundschule im Kultusministerium soll nun Kultusminister Andreas Stoch vorgelegt werden und hierfür stichhaltige Argumente liefern. Eine Ausweitung des Modells „Grundschule ohne Noten“ will das Kultusministerium derzeit nicht.
In der aktuellen Situation müssen viele Lehrer/innen auch Wege finden, die Leistungen von Flüchtlingskindern zu dokumentieren. Ziffernoten sind, gerade in der Phase des Zweitspracherwerbs, nicht das richtige Instrument. Die Landesfachgruppe Grundschule der GEW setzt sich kontinuierlich mit dem Thema auseinander.