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Schulen in der Krise

Schulen brauchen mehr Schulpsychologie

COVID-19, der Ukrainekrieg und der Klimawandel belasten viele Kinder und Jugendliche. Die Probleme der Gesellschaft treffen unvermindert auf die Schulen, immer mehr Schüler*innen landen im Wartezimmer der Schulpsychologie. Doch viele kommen nie dran.

Schulen brauchen mehr Schulpsychologie
Foto: master1305 / iStock

Im Klassenzimmer zeigt sich die Belastung durch existenzielle Fragen bei Schülerinnen und Schülern und bei den Lehrkräften sehr deutlich. In die schulpsychologische Beratung kommen immer mehr Kinder und Jugendliche mit Ängsten gegenüber der Schule allgemein, vor Prüfungen und vor ihrer Zukunft. Besonders herausfordernd für die schulpsychologische Arbeit sind die steigenden Fehlzeiten in der Schule. Während früher die Fälle von Schulabsentismus klar priorisiert wurden und sehr schnell Unterstützung bekamen, gibt es inzwischen keine Ressourcen mehr für die große Zahl von Anfragen.

Die Schulen erleben eine Zunahme von Gewalt, wie in einer Statistik des Innenministeriums für das Jahr 2023 in Baden-Württemberg erfasst wurde. Gleichzeitig lassen sich eine soziale Vereinsamung, Motivations- und Realitätsverlust und stark zunehmende psychische Belastungen – insbesondere Depressionen – beobachten. Die Herausforderungen sind riesig. Der Anstieg minderjähriger Straf­täter*­innen und zunehmende Gewalt unter Jugendlichen macht die Schule für viele zu einem unsicheren Raum.

Die Anzahl der Kriseneinsätze von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen an Schulen hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. Immer häufiger holen sich Schulen bei der Schulpsychologie professionelle Unterstützung bei Amokdrohungen, Gewalttaten, Todesfällen und vielen weiteren belastenden Ereignissen an der Schule. Die Anfragen erhalten höchste Priorität, und Schulpsycholog*innen helfen bei der Nachsorge von Krisenereignissen, damit möglichst bald eine Verarbeitung und wieder ein geregelter Schulalltag möglich wird. Neben der akuten Unterstützung erhalten Schulen Fortbildung in Umgang mit Krisen, herausforderndem Schüler*innenverhalten und Umgang mit Mobbing oder Konflikten. Damit im Klassenzimmer ein gutes Miteinander entstehen kann, hat die Schulpsychologie ein Konzept und Fortbildungsangebote für Lehrkräfte entwickelt. Auch hier kann die große Nachfrage von Schulen nur unzureichend bedient werden.

Viele Lehrkräfte engagieren sich, um diesen Trend aufzuhalten, und sorgen mit ihrem persönlichen Engagement für bessere Bedingungen und Angebote für ihre Schülerinnen und Schüler. Doch der eklatante Lehrkräftemangel macht sich in allen Schularten bemerkbar. Vieles, was nötig wäre an extra Engagement, ist so nicht mehr leistbar.

Beratungssysteme gefordert

All das fordert auch die Beratungssysteme heraus. Um Abhilfe schaffen zu können, mangelt es an Schulpsycholog*innen und Beratungslehrerkräften. Auch die Schulsozialarbeit beklagt das Fehlen der schulpsychologischen Unterstützung. Sie ist auf ein gutes Netzwerk angewiesen, in das es weitervermitteln oder wo professioneller Rat eingeholt werden kann, Sie werden im Stich gelassen.

2011 arbeiteten rund 800 Schulsozial­arbeiter*innen in Baden-Württemberg auf verschiedene Schularten verteilt. Im Fachbereich Schulpsychologie gab es zum gleichen Zeitpunkt 200 Vollzeitstellen an den 28 Beratungsstellen Bis heute blieben die Stellen der Schulpsychologie gleich, während es 2022 bereits 2.000 Vollzeitstellen für Schulsozialarbeit gab.

Die „GUCK-Hin-Studie“ (kurz für „Generation Ukraine-Krieg, COVID-19, Klimawandel“) ist eine Längsschnittuntersuchung mit drei Erhebungszeitpunkten: 2022, 2023 und 2024. Der Ukraine-Krieg, die Coronapandemie und der Klimawandel haben erheblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen. Das berichtet eine Arbeitsgruppe der Einheit Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität des Saarlandes.

Die erste Befragung fand von Juni bis Oktober 2022 an 58 weiterführenden Schulen des Saarlandes in den Klassenstufen 7 bis 9 statt. Insgesamt nahmen 4.001 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen zehn und 18 Jahren daran teil. Die Ergebnisse beziehen sich auf diese Erhebungswelle. Mehr als die Hälfte der befragten Jugendlichen berichteten über klinisch auffällige Angstsymptome wie die Sorge davor, was in Zukunft geschehen werde. 41 Prozent berichteten über auffällige Depressionssymptome, etwa das Gefühl von Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit oder Schwermut. 37 Prozent der Jugendlichen gab eine verminderte Lebensqualität an, was sich häufig durch das Empfinden von Einsamkeit oder ein geringeres Erleben von Spaß mit Freunden ausdrücke.

Die befragten Jugendlichen nahmen von den Krisen die Corona-Pandemie als stärksten Belastungsfaktor wahr. Hier gaben 28 Prozent an, äußerst belastet zu sein und 31 Prozent waren sehr belastet. Es folgten der Ukraine-Krieg und der Klimawandel. Bezogen auf den Ukraine-Krieg gaben fünf Prozent an, äußerst belastet zu sein und 22 Prozent waren sehr belastet. Der Klimawandel belastete zwei Prozent äußerst und 15 Prozent der Jugendlichen sehr.


Quelle: Deutsches Ärzteblatt

Während die Schulsozialarbeit aus unterschiedlichen Töpfen (Bund, Land, Gemeinde) finanziert wird, ist die Schulpsychologie ausschließlich beim Land verortet. Das Sozialministerium ist für die Schulsozialarbeit zuständig. Die Schulpsychologie untersteht dem Kultusministerium. Eine strukturelle Zusammenarbeit auf Schulebene ist bisher nicht vorgesehen. Das Ungleichgewicht zwischen Schulpsychologie und Schulsozialarbeit wird von beiden Seiten beklagt. Für die Zusammenarbeit an Schulen, zum Beispiel in multiprofessionellen Beratungsteams, benötigen alle mehr schulpsychologische Expertise. Dazu gehören Kenntnisse zur Einschätzung klinischer Symptome, Kompetenzen bei der Krisennachsorge oder die Unterstützung bei Konfliktklärung.

Eine Schulpsychologin „versorgt“ in Baden-Württemberg circa 8.000 Schüler*innen. Viele andere Bundesländer sind längst bei einer Versorgung von 1:3.000 bis 1:5.000.

Mit dieser eklatanten Unterversorgung in der Schulpsychologie ist es unmöglich, ganzheitlich und nachhaltig auf die ständig neuen Krisenlagen mit verändertem Schülerverhalten zu reagieren.

Was Schulpsychologie erreichen kann

Eine schulpsychologische Beratung kann mit ihrem Wissen und Handeln alle Menschen in den Schulen unterstützen. Hilfreich sind Angebote, welche dazu beitragen, die eigenen Reaktionen und Verhaltensweisen besser zu verstehen, gesundheitsförderliche Verhaltensweisen zu entwickeln und den Blick nach vorn zu richten. Die schulpsychologische Beratung kann durch ihre systemische, ressourcen- und lösungsorientierte Beratung zur Förderung der Resilienz beitragen.

Niedrigschwellige, kurzfristige Beratungsangebote vor Ort und neue Formate wie Chats oder Gruppenangebote vermeiden Chronifizierungen von psychischen Erkrankungen und können schneller zu geeigneten Lösungen führen. Die psychologische Lern- und Leistungsdiagnostik der ­Beratungslehrkräfte und Schulpsycholog*innen kann mit schulischen Förderangeboten verknüpft werden und die Sorgen, Ängste und Nöte schneller beseitigen. ­Schulleitungen aller Schularten wünschen sich ­dringend gut aufgestellte Beratungsteams mit Schulpsycholog*innen, Schulsozialarbeiter*innen und Beratungslehrkräften.

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
Telefon: 0711 21030-36