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Vor 90 Jahren

Schulen im Dienst der „nationalen Erhebung“

Im Südwesten wurden Anfang März 1933 von den Nationalsozialisten als Zeichen der neuen Machtverhältnisse auf den Amtsgebäuden die Hakenkreuzfahnen aufgezogen. Nur Wochen später wurde alles der Nazi-Ideologie untergeordnet.

von links nach rechts: Kreisleiter Hermann Oppenländer, Gauleiter Wilhelm Murr und Innenminister Jonathan Schmid
von links nach rechts: Kreisleiter Hermann Oppenländer, Gauleiter Wilhelm Murr und Innenminister Jonathan Schmid (Quelle: Enz-Bote Juni 1935, Kreisparteitag der NSDAP in Vaihingen/Enz, Privatsammlung Roland Straub mit freundlicher Genehmigung aus dem Blog von Günter Bächle)

Am 10. März 1933 setzte eine Verfolgungswelle ein, durch die das KZ auf dem Heuberg zwischen Baden und Württemberg zum vorerst größten Konzentrationslager in Deutschland wuchs.

Noch im Februar hatte die württembergische Regierung Bolz (Zentrum) Listen von Kommunisten anlegen lassen, die von Polizei und SA als „Hilfspolizei“ nun abgearbeitet wurden, häufig mit rabiater Gewalt wie in Öhringen, wo Gefangene durch die Straßen geführt und verprügelt wurden. Hitler bestimmte die Gauleiter Robert Wagner (Baden) und Wilhelm Murr (Württemberg) als allmächtige Reichskommissare.

Hitlers Bild hing seit dem 5. April 1933 in allen Klassenzimmern. Mit dem Hitlergruß begann jeder Unterricht, Lehrkräfte und Schüler*innen hatten morgens zum Hissen der Hakenkreuzfahne anzutreten. „Stillgestanden – rührt euch – Augen geradeaus – hisst Flagge (die Schüler heben den rechten Arm und begrüßen die Flagge mit der ersten Strophe des Horst-Wessel-Lieds) – rührt euch“, verordnete der SA-Führer Christian Mergenthaler als neuer Kultminister und Ministerpräsident in Stuttgart.

Im Mai verkündete er im Amtsblatt, dass allen Schülern und Schülerinnen die „Größe und Bedeutung der nationalen Erhebung“ eindringlich vor Augen zu stellen sei. Die Zeit bis zu den Sommerferien 1933 diente ausschließlich dieser „nationalen Erweckung“, Parlamentarismus, Internationalismus, Pazifismus mussten als Erscheinungen des Niedergangs dargestellt und die Gedankenwelt des Nationalsozialismus auf völkischer Grundlage gelehrt werden: Rasse, Wehrwillen und Führertum.

Lazarus Mannheimer an der Falkenhausenschule Kehl mit seiner Klasse
Lazarus Mannheimer an der Falkenhausenschule Kehl mit seiner Klasse (Foto: Stadtarchiv Kehl)

Geschichtsunterricht sollte zur heldischen Weltanschauung führen, „verbunden mit dem Führergedanken unserer Zeit“. Der Blick sei auf die „Wiedergewinnung“ von ehemals germanisch besiedelten Gebiete Osten zu richten.

Das Schulturnen hatte in Übereinstimmung mit den Befehlsformen der Reichswehr zu erfolgen, angelegt zunehmend als vormilitärische Ausbildung: Keulen dienten nun als Handgranaten, die in feindliche Schützengräben zu werfen waren. Rassenkunde wurde zum Unterrichtsinhalt, und schon im April 1933 begann man, jüdische Schüler*innen auszuschließen.

Die Rolle der meist älteren Lehrkräfte sah der sich als Jugendbewegung gerierende Nationalsozialismus eher negativ, „Vertrauensleute“ der Hitlerjugend an jeder Schule dienten nicht nur der Kooperation, sondern auch der Überwachung.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs­beamtentums vom 7. April bestimmte, dass Beamte zu entlassen seien, „die nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten.“ Der linke und jüdische Hauptlehrer Lazarus Mannheimer aus Kehl wurde entlassen, während sein Kollege Emil Gärtner als alter Kämpfer zum Schulrat aufstieg. Für Lehrerinnen und Lehrer gehörte „Mein Kampf“ nun zur Pflichtlektüre. Eingestellt werden konnte man nun nur noch, wenn man der NSDAP beitrat.

Nach der Machtergreifung wird der langjährige NS-Aktivist Hermann Oppenländer, bisher Volksschul­lehrer in Dörzbach, mit 33 Jahren Leiter der Volksschule Vaihingen/Enz. Tapferkeit, Härte, Entsagungswillen, das Sichaufopfern fürs Vaterland will der neue Rektor der Jugend „einhämmern“. Soldat Adolf Hitlers zu sein, sei das Schönste im Leben eines deutschen Menschen.

Gleichzeitig beruft ihn die NSDAP zum Vaihinger Kreisleiter, dessen Aufgabe es ist, das Leben im Kreis nationalsozialistisch zu durchdringen. Waren Lehrer prädestiniert für die Tätigkeit als höhere NS-Funk­tionäre? 16 von gut 60 Kreisleitern in Württemberg waren Lehrer, junge Pädagogen aus der Kriegsgeneration, geprägt von Tätigkeiten in Freikorps wie Otto Bosch, Kreisleiter in Schwäbisch Hall oder Otto Trefz in Ludwigsburg (Arbogast 1998). Junglehrer und -lehrerinnen waren häufig arbeitslos, oder „unständig“ beschäftigt, lebten also in prekären Lebensverhältnissen. Der NS-Staat bot neue Chancen. Oppenländers Tagebuch zeigt, wie sehr es seinem Ego schmeichelte, mit Offizieren Paraden abnehmen und ein repräsentatives Haus bauen zu können. Der größere Teil der Kollegen stehe allerdings „auf der anderen Seite“, bedauerte der gleichaltrige Ludwigsburger Kreisleiter Otto Trefz von seiner Kornwestheimer Schule.

Als hauptamtlicher Kreisleiter in Gmünd ab 1937 hetzte der Kirchenkämpfer 1938 gar zu einem „Pfarrhaussturm“, bei dem seine Anhänger katholische Pfarrhäuser verwüsteten. Seine Kolleg*innen im NSLB verpflichtet er zu einem Unterricht, der von der Überlegenheit des deutschen Soldaten kündet. In diesem Sinn mischte er sich auch in Personal­angelegenheiten ein. Der Lehrer sei in Ordnung, „in dessen Wirken man nicht nur den Erzieher, sondern auch den nationalsozialistischen Führer erkennt.“ Die Jugend müsse dem Führer die gläubigen Herzen und Leben zu Füßen legen.

Affäre Oppenländer

Eine Woche, bevor er mit einem voll­bepackten LKW flüchtete, ließ er am 13. April 1945 zwei Zivilisten erschießen, die betrunken „Hitler verrecke! Es lebe Oberst Stauffenberg! Es lebe die Freiheit!“ gerufen hatten. Das Landgericht verurteilte ihn deshalb 1948 zu zwölf Jahren Gefängnis. Doch schon 1951 wurde er begnadigt.

Eine Wiedereinstellung lehnte das Regierungspräsidium 1954 noch ab: „Er war einer der gewalttätigsten Kreisleiter, der sich in alle möglichen Angelegenheiten durch Drohungen einmischte.“ „Persilscheine“, auch aus der Schulverwaltung, bescheinigten ihm nun, der Prototyp eines biederen schwäbischen Volkschullehrers zu sein. 1953 wurde das Beschäftigungsverbot für Hauptbelastete aufgehoben, die Kreisleiter kehrten zurück in den Schuldienst. Oppenländer bildete wegen der Gefängnisstrafe zunächst die Ausnahme.

Das Oberschulamt Stuttgart zeigte sich trotzdem verständnisvoll. Justizminister Haußmann hob auf dem Gnadenweg das Berufsverbot auf, und so konnte das Kultusministerium 1956 seiner Wiederverwendung zustimmen.

Doch 1959 fragt der Stuttgarter SPD-Abgeordnete Fritz Helmstädter beim Kultusministerium an, ob der wegen Mordes verurteilte Kreisleiter tatsächlich Kinder unterrichtet (Merkle 2018). Die Presse berichtet von einer „Affäre Oppenländer“. Der lässt sich krankschreiben, dann darf er im Schulamt Mühlacker Rundschreiben versenden.

Der Kultusminister teilt dem Oberschulamt mit, dass es nicht angehe, Oppenländer nach dreijähriger zufriedenstellender Tätigkeit auf die Straße zu setzen. Als Helmstädter, dessen Vater 1945 im KZ umgebracht worden war, nachbohrt, bringt man Oppenländer bis zur Pensionierung 1964 in der Württembergischen Landesbibliothek in Ludwigsburg unter. Ganz in der Nachbarschaft seines SA-Kameraden Kultminister Christian Mergenthaler, der schon seit 1951 seine Studienratspension genießen darf.

Dem Lehrkräftenachwuchs war die Rolle einer „geistigen SA“ zugedacht, in „Aufbauschulen“ ausgelesen nach nationalsozialistischen Grundsätzen.

Abgeschafft wurden auch die bescheidenen Mitbestimmungsorgane der Lehrerschaft, die Lehrerverbände in den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) eingegliedert. Im März 1933 bekundeten auch die demokratisch orientierten badischen und württembergischen Lehrer­vereine, die Vorläufer der GEW, „am Aufbau des nationalen Erziehungswesens mitzuwirken“.

Trotzdem schlossen die Nazis „im Beisein der SA“ die Geschäftsstelle in Heidelberg, bedrohten demokratische Lehrervereinsfunktionäre wie den BLV-Vorsitzenden Oskar Hofheinz, enthoben sie ihrer Funktionen als Schulleiter oder Schulräte oder versetzten sie mit Kürzungen in den Ruhestand, wie Elisabeth Zundel vom Württembergischen Lehrerinnenverein.

Die Erholungsheime der Lehrervereine wie das Löchnerhaus auf der Reichenau wurden beschlagnahmt und zu Einrichtungen des NSLB umfunktioniert. In Schulungsheimen sollte mit militärischem Drill eine „Überholung“ der Lehrkräfte im Geiste des Führers erfolgen. Widerstand, so mussten jetzt viele erkennen, hätte man rechtzeitig leisten müssen.


Zum Weiterlesen:

  • Erhard Korn: Lehrerbewegung und Nationalsozialismus
  • Christine Arbogast: Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP. Funktion, Sozialprofil und Lebenswege einer regionalen NS-Elite, 1998
  • Franz Merkle: Hermann Oppenländer. Politik mit dem Hammer. In: Proske (Hrsg.), Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. Bd. 8, 2018
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