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Schulleitungstag 2022 – so viele Fragen, so wenige Antworten

Der Schulleitungstag 2022 stand wieder einmal im Zeichen der Pandemie. Sehr passend also der Titel: „Mangel verwalten – Schule gestalten”.

Der Schulleitungstag 2022 stand wieder einmal im Zeichen der Pandemie. Sehr passend also der Titel: „Mangel verwalten – Schule gestalten”.

Immerhin konnte die Veranstaltung in Präsenz durchgeführt werden – etwa die Hälfte der 200 angemeldeten Schulleitungsmitglieder hatten sich auf den Weg nach Stuttgart gemacht. Sie konnten, Kultusministerin Theresa Schopper, die Landesvorsitzende der GEW Monika Stein und Prof. Dr. Marcel Helbig vom „Leibniz-Institut für Bildungsverläufe”, sowie die nachfolgende Podiumsdiskussion live erleben. Wer nicht vor Ort sein konnte, hatte die Möglichkeit von zu Hause aus das Geschehen online zu verfolgen.

Dass die „Stammgästin” des Vormittags, die jeweils amtierende Kultusministerin, nicht in persona im CVJM-Haus in Stuttgart erscheinen konnte, lag an einem Risiko-Kontakt, dem sich Frau Schopper zwei Tage zuvor ausgesetzt hatte. Nur durch die extrem professionelle und flexible Arbeit der Firma „Neunzehnzoll Eventservice” gelang es trotz kurzfristiger Plan-Änderung binnen weniger Minuten das Zuschalten per Stream möglich zu machen.

Die Ministerin nutzte die Gelegenheit, den Schulleitungen ausführlich und in warmen Worten zu danken – auch dies ein inzwischen gewohntes Ritual am Schulleitungstag. Leider drückte sich dieser Dank an keiner Stelle in konkreten Zusagen für Verbesserungen aus. Frau Schopper gestand, selbst „Sorgenfalten auf der Stirn” zu haben, wenn es um die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung bis zu den Sommerferien gehe.

In ihrem ausführlichen Vortrag streifte sie viele Bereiche: Von der Ukrainekrise über die hohen Krankenstände – verursacht durch die Corona-Pandemie -, das aus den Folgen der Schulschließungen resultierende „Lernen mit Rückenwind” und die Digitalisierung. Es glich schon fast einem Parforce-Ritt durch die ministeriale Arbeit. Jedoch blieb es bei eher oberflächlichen Ausführungen. Konkrete Zusagen oder Ausblicke wurden nicht gegeben.

Etwas ausführlicher widmete sich die Ministerin dem Entlastungspaket für die Schulleitungen. Die 160 Deputate, die einer Erhöhung der Leitungszeit zugute kommen sollen, seien bewusst den größeren Schulen zugeschlagen worden – die kleinen (vor allem: Grundschulen) hätten ja schon durch die Einführung der Konrektorate und die Gehaltsaufstockung profitiert. Dass ursprünglich mehr als 350 Stellen versprochen waren, blieb unausgesprochen.  Für weitere Entlastungen gebe es allerdings wenig Spielraum – sie nehme es aber in die Etatverhandlungen mit; bei Verwaltungsassistenzen und Erhöhungen der Sekretariatszeiten hoffe man, „demnächst in die Zielgerade der Gespräche” mit den kommunalen Verbänden zu kommen, so Frau Schopper.

Geradezu erstaunlich unkonkret angesichts der drängenden Probleme blieb die Ministerin auch, als sie über die Möglichkeiten sprach, die miserable Lehrerversorgung zu verbessern. Vor allem an den SBBZ und in den Grundschulen ist die Versorgungssituation in weiten Landesteilen katastrophal. Über die Aufstockung der Studienplätze und die Möglichkeiten der Nachqualifikation von Quereinsteiger:innen, müsse man mit dem Wissenschaftsministerium sprechen, sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung und multiprofessionelle Teams seien in der Erprobung – konkreter wurde es nicht. Immerhin habe man es geschafft, dass die Reduzierung der PH-Studienplätze, die ursprünglich geplant gewesen sei, zurückgenommen wurde.

Auch die anschließende Fragerunde, die vertiefend auf die Themen einging, konnte der Ministerin keine konkreten Aussagen entlocken.

Die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein, ging kurz auf die Ausführungen der Ministerin ein. Insbesondere die geplanten Umschichtungen aus dem VAB-0-Bereich der Berufsschulen in die VKL-Klassen der Grundschulen, widersprach sie aufs Heftigste: „Die Klassen existieren ja, da kann nichts umgeschichtet werden!” Es müsse hier neues Personal gefunden werden. Die Erwartung, dass viele Kinder gar nicht ins deutsche Schulsystem integriert zu werden bräuchten, sei ein Trugschluss und nicht statthaft: Viele Menschen blieben erfahrungsgemäß in Baden-Württemberg und wenn man hier abwarte, verschenke man wertvolle Zeit und Gelegenheit zur Integration.

Danach ging die GEW-Landesvorsitzende auf die Situation der Schulleitungen ein und gab grundsätzlich zu bedenken: „Viele [Schulleitungen] sind am Ende ihrer Kräfte. Schule ist ein Lebens- und Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche, die fürs Leben lernen und auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben begleitet werden sollen. Schule ist ein Arbeitsplatz für viele Menschen unterschiedlichster Profession, denen gute Arbeitsbedingungen geboten werden müssen, damit wir den Kindern und Jugendlichen gute Begleiter und gute Vorbilder sein können. Schule ist aber auch ein Arbeitsplatz für Schulleitungen, die nicht verheizt werden dürfen, weil sie ihre Aufgaben so ernst nehmen, dass sie für ihre eigenen Bedürfnisse nicht lautstark eintreten. Die Aufgabe des Landes als Arbeitgeber der Schulleitungen ist es, ihnen Fürsorge entgegen zu bringen und sie nicht zu überfordern mit Aufgaben und Ansprüchen, die nicht erfüllbar sind. Daher brauchen Schulleitungen jetzt schnellstmöglich Entlastungen durch mehr Freistellung von der Unterrichtsverpflichtung.” Sie forderte die Umsetzung des ursprünglich geplanten Umfangs der Entlastung von 356 Deputaten, die Wiedereinführung des allgemeinen Entlastungspool für die Grundschulen und eine deutliche Erhöhung der Sekretariatszeiten und Verwaltungsassistenzen.

Folgenbekämpfung im Blindflug

Nach der Mittagspause ging Professor Marcel Helbig vom „Leibniz-Institut für Bildungsverläufe” in Bamberg auf einen proklamierten Mangel ein und wie mit ihm umgegangen wird: „Corona-Schuljahre – und wie weiter?”. Herr Helbig forscht vor allem über Bildungsverläufe unter Aspekten sozialer Ungleichheit. Und hat in diesem Zuge die verschiedenen Aufholprogramme nach den coronabedingten Schulschließungen und Teilschließungen betrachtet.

Zuallererst fällt auf, dass die proklamierten Rückstände kaum wissenschaftlich untersucht wurden. Vor allem die überall annoncierte Zahl von 20-25% aller Schüler, die von coronabedingten Lernrückständen betroffen seien, sei völlig aus der Luft gegriffen. Die Zahl stammt aus der PISA-Studie und beschreibt die Menge an Schüler:innen, deren Lernniveau in Deutsch oder Mathematik unterhalb des Basisniveaus liegt.

Dennoch bemühen sich die Kultusministerien auffallend wenig, Untersuchungen anzustellen, die sich mit den konkreten Auswirkungen der Lockdowns beschäftigen. Die Untersuchungen, die es gibt, finden kaum Beachtung und sind wesentlich weniger plakativ einsetzbar, als die 20-%-Zahl, die sich hartnäckig hält. Die Ergebnisse zusammengefasst: es gibt in Teilbereichen feststellbare Lernrückstände, die aber je nach Studie unterschiedlich sind.

Völlig außen vor bleibt die Frage nach den Rahmenbedingungen, unter denen es zu den Lernrückständen gekommen ist – Helbig spricht hier von „Diversität der Lernrückstände“.

Gelder wurden dennoch freigegeben – immerhin je nach Bundesland 112-134 Euro pro Schüler:in – und mit diesen Mitteln wurden Aufholprogramme gestartet.

Dazu formuliert Helbig Fragen bzw. Herausforderungen, die den Sinn all dieser Programme in Frage stellen:

- Ist die Zielgruppe der Programme – diejenigen, „die es am schwersten hatten” – überhaupt unter den vier bis fünf Prozent der Kinder, die in den Genuss der Programme kommen? Angesichts der Freiwilligkeit sind gerade die Kinder aus den gerne als „bildungsfern” beschriebenen Milieus häufig nicht im Teilnehmerkreis zu finden.

  • Wie kommt es, dass ausgerechnet in den Coronajahren die Übergangsquoten auf das Gymnasium und die Abiturnoten bislang ungeahnte Höhen erreichen?
  • Warum macht sich fast kein Bundesland die Mühe, die Mittel bedarfsgerecht einzusetzen, sondern verteilt sie „mit der Gießkanne”?
  • Warum wird in keinem Bundesland versucht, Personal langfristig zu rekrutieren, sondern ausschließlich mit befristeten Verträgen jongliert? So könne nirgendwo ausreichend Personal gewonnen werden.
  • Wie ist es zu rechtfertigen, dass die verschiedensten Angebote ohne geeignete Messinstrumente verteilt wurden und dass nie zwischen coronabedingten Lernrückständen und systemisch bedingten Problemlagen unterschieden wurde?
  • Warum werden nirgendwo bereits bestehende Unterstützungssysteme in die Aufholprogramme miteinbezogen, sondern Doppelstrukturen aufgebaut?

Aktuell ist festzustellen, dass die nächste Krise im Bildungssystem – die Aufnahme einer großer Menge Schüler:innen aus der Ukraine dazu führt, das der Umgang mit den Corona-Aufholprogrammen völlig aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten wird.

Podiumsdiskussion – Klare Worte

In der anschließenden Diskussionsrunde mit Herrn Helbig, der GMS-Schulleiterin Angela Keppel-Allgaier aus Tübingen und Michael Hirn, Leiter des Helene-Fernau-Horn-SBBZ in Stuttgart, wurde deutlich, dass die aufgezeigten Widersprüche in den Aufholprogrammen und die bestehenden Problemlagen in den Schulen sich gegenseitig verstärken und so dazu führen, dass sich Schulen je nach Lage und sozialem Umfeld komplett unterschiedlich entwickeln. Gleichzeitig geraten pädagogische Standards grundsätzlich in Gefahr, wenn bislang verbindliche Größen nicht mehr gehalten werden können und in großem Umfang fachfremdes Personal eingesetzt werden muss. Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass es immer noch einen Numerus Clausus auf pädagogische Fächer gibt. Michael Hirn merkte an: „Der Fachkräftemangel an den Schulen ist zu 100 % politisch verantwortet!” Angela Keppel-Allgeier beschrieb eindrücklich die Belastungen, die der andauernde Krisenmodus für Lehrkräfte und Schulleitungsmitglieder mit sich bringt. Mit klaren Worten fasste sie zusammen: „Wir lassen es uns immer wieder gefallen, dass man uns immer mehr aufsattelt, einfach, weil es um die Kinder geht!”

Weniger klar waren die Worte zur seinerzeit noch geltenden Kohortenregelung, die am Ende des Tages von Kultusministerin Schopper per Text-Nachricht übermittelt wurde. Diese Antwort war sie den Anwesenden am Vormittag schuldig geblieben: „Wenn schulorganisatorisch nicht gut machbar, dann ist möglich keine strikte Marge.” Die Überbringerin der Nachricht, GEW-Landesvorsitzende Monika Stein, deutete diesen doch recht kryptischen Text dahingehend, dass eine Kohortierung wegfallen kann, wenn sie nicht gut umsetzbar ist.

Mit diesem ministerialen Rätsel endete ein Tag, der zwar wenig Antworten zu bieten hatte, aber die Probleme deutlich benennen und in einen Zusammenhang bringen konnte und der zeigte, wie Lösungen zu den Problemen angegangen werden könnten.