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Schule in Zeiten von Corona

Sonderpädagogik unter Pandemiebedingungen ermöglichen

Die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren und andere inklusive Settings stehen vor großen Herausforderungen. Abstandsregeln, Homeschooling und andere Pandemie-Maßnahmen greifen dort nicht. Es ist Zeit für neue Konzepte.

Nach vielen Wochen der Unsicherheit und sich ständig ändernder Voraussetzungen und Vorgaben stehen die Schulen in Baden-Württemberg nach durch Lernbrücken verkürzten Sommerferien vor einem ungewissen Neustart.

Ein klarer Organisationsrahmen und Konzepte für den Fall eines erneuten Lockdowns fehlen ebenso wie konkrete, über Qualitätskriterien hinausgehende, Vorgaben für erneuten Fernlernunterricht. An den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und in inklusiven Settings stellt das die Schulen vor große Herausforderungen.

Fernlernen bei Schüler*innen mit sonderpädagogischem Bildungsanspruch

Viele Schüler*innen mit sonderpädagogischem Bildungsanspruch (SBA) können im Fernlernen kaum Lernfortschritte machen. Die spezifischen Lernvoraussetzungen dieser Schüler*innen erfordern einen individuell abgestimmten und die verschiedenen Aneignungsebenen ansprechenden Unterricht. Die Verantwortung für das Lernen kann weder auf beruflich eingebundene Eltern oder Geschwister übertragen werden, noch können diese Schüler*innen sinnvoll digital oder analog (zum Beispiel mit Arbeitsblättern) aus der Ferne erreicht werden. Gerade die Schüler*innen mit SBA haben ein Recht darauf, dass die Lerninhalte ihren Bedürfnissen entsprechen und durch didaktische und pädagogische Methoden angepasst vermittelt werden.

Das Kultusministerium muss bei erneuten Schulschließungen die Bildungsmöglichkeiten dieser Schüler*innen berücksichtigen und Konzepte entwickeln, wie Unterricht unter Pandemiebedingungen für diese Kinder und Jugendliche gestaltet werden kann.

Wenn Bildung vom Schulbus abhängt

An vielen SBBZ werden die Schüler*innen mit Bussen zur Schule gebracht. Der Infektionsschutz muss dort gewährleistet werden und die Schüler*innen sollten mit Abstand und Maske befördert werden. Für die Schüler*innenbeförderung sind die Schulträger zuständig. Dass die Schulen mangels klarer Vorgaben durch das Kultusministerium (KM) mit ihren Schulträgern klären müssen, welche Schüler*innen wie oft oder überhaupt befördert werden können, ist eine Zumutung.

Die Bildungsmöglichkeiten der Schüler*innen mit SBA dürfen nicht von den Ressourcen der Schulträger abhängen. Kultusverwaltung und Schulträger müssen für ausreichende Schutzausrüstung und Beförderungskapazität sorgen.

Inklusion und Kooperative Organisationsformen

Sonderpädagogische Lehrkräfte arbeiten im Rahmen von inklusiver Bildung in allgemeinen Schulen. Dies geschieht derzeit vor allem durch (Teil-)Abordnungen vom SBBZ. Die inklusiv beschulten Schüler*innen sind der allgemeinen Schule zugeordnet. In Kooperativen Organisationsformen werden Schüler*innen mit und ohne SBA gemeinsam unterrichtet, manchmal findet auch Unterricht getrennt statt. Während der Schulschließung konnten Lehrkräfte nur an einer Schule arbeiten. Deshalb konnten die unterhälftig abgeordneten sonderpädagogischen Lehrkräfte nur in den SBBZ eingesetzt werden. Sie konnten die inklusiv beschulten Schüler*innen nur über Fernlernangebote erreichen. Im Präsenzunterricht mussten die Lehrkräfte an den allgemeinen Schulen ohne die Unterstützung der sonderpädagogischen Lehrkräfte arbeiten. In den Kooperativen Organisationsformen mussten die Schüler*innen der allgemeinen Schulen und die der SBBZ getrennt unterrichtet werden. Eine Kooperation oder gemeinsamer Unterricht konnte nicht mehr stattfinden. Die Probleme in beiden Formen des gemeinsamen Lernens wurden vom Kultusministerium kaum erwähnt. Dies zeigt, dass das gemeinsame Lernen im Kultusministerium nicht die notwendige Bedeutung hat.

Bei Pressemitteilungen und Neuregelungen wurden inklusiv beschulte Schüler*innen und die Kooperativen Organisationsformen kaum explizit erwähnt. Dies wäre für die Erziehungsberechtigten und die Lehrkräfte, die mit diesen Schüler*innen arbeiten, sehr wichtig gewesen. Die Lösungen waren so jeweils den schulindividuellen Möglichkeiten geschuldet.

Das Kultusministerium muss sicherstellen, dass die Interessen der Schüler*innen und Lehrkräfte in inklusiven Bildungsangeboten und in Kooperativen Organisationsformen bei kommenden Schulschließungen besser beachtet werden. Das Bildungsrecht der Schüler*innen mit SBA muss in beiden Formen des gemeinsamen Lernens auch unter Pandemiebedingungen eingelöst werden.

Digitalisierung am SBBZ

Digitale Medien haben in den SBBZ als Unterrichtsmedium, das neue Zugänge zu Bildungsinhalten bieten oder Kommunikationswege eröffnen kann, schon lange einen hohen Stellenwert. Mit großem Einsatz und vielen Überlegungen, wie die Schüler*innen der SBBZ und in den inklusiven Bildungssettings mit ihren Besonderheiten in das digital-pädagogische-Notprogramm eingebunden werden können, haben sich die Kolleg*innen während der Schulschließungen an die Arbeit gemacht. Konzepte oder Softwarelösungen wurden vom Kultusministerium und den angegliederten Institutionen für die sonderpädagogische Bildung nicht zur Verfügung gestellt. Die Lernplattform Moodle, die kurzfristig landesweit ausgerollt wurde, passt kaum zu den Bedürfnissen der SBBZ und der inklusiv beschulten Schüler*innen.

Lehrkräfte brauchen in SBBZ und in inklusiven Settings digitale Endgeräte und angemessene, barrierefreie Software, die vom Kultusministerium oder den Schulträgern bereitgestellt werden. Es müssen Konzepte entwickelt werden, wie Unterricht für Schüler*innen mit SBA im SBBZ und in inklusiven Bildungsangeboten unter Pandemiebedingungen didaktisch und methodisch sinnvoll stattfinden kann. Zudem müssen diese Erkenntnisse zur Digitalisierung in der Sonderpädagogik in die Fortbildung für alle Lehrkräfte einfließen.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Abstandsgebote in Schulen fallen zu lassen ermöglicht den Schulen, möglichst viele Schüler*innen im Präsenzunterricht unterrichten zu können. An den SBBZ, den Schulkindergärten und in inklusiven Bildungsangeboten müssen die Beschäftigten in besonderem Maß vor Infektionen geschützt werden. Die Schüler*innen mit Anspruch auf ein SBA sind selbst häufig besonders vulnerabel. Und bei ihnen besteht oft die Gefahr, dass sie die Hygiene- und Abstandsregeln nicht beachten können.

Das Land muss bei fallendem Abstandsgebot den Schutz der Lehrkräfte beim Unterricht von Schüler*innen mit SBA stärker berücksichtigen. Die dauerhafte Trennung von Gruppen und Dienstplänen, bei denen Lehrkräfte keine Pausen haben, sind keine gute Lösung.

Kontakt
Ruben Ell
Vorsitzender Fachgruppe Sonderpädagogische Berufe