Zum Inhalt springen

Stress lass nach

Ab Januar 2019 wird ein Teilzeit-Vorbereitungsdienst für Anwärter/innen mit Kindern unter 18 Jahren, pflegebedürftigen Angehörigen oder einer Schwerbehinderung eingeführt. Die GEW hat sich erfolgreich dafür eingesetzt.

Über die Zusage zu ihrem Referendariatsplatz freute sich Anne zunächst. Als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, fünf und acht Jahre alt, brauchte sie dringend einen Ausbildungsabschluss, um die Familie alleine versorgen zu können. Doch dann das: Obwohl sie in einer baden-württembergischen Großstadt lebte, musste sie für das Seminar in eine 65 Kilometer entfernte Stadt fahren, ihre Ausbildungsschule war 45 Kilometer weit weg. Verwandte zur Unterstützung hatte sie nicht vor Ort, Anne musste alles alleine organisieren. Für ihre kleine Familie versuchte sie es – fünf Monate lang. Die Ausbildungsschule hatte kein Verständnis für ihre Lage und verlangte vollen Einsatz und ständige Präsenz. Ihre Familiensituation sei ihr persönliches Problem und sie sei nicht belastbar genug. Das Seminar sah seine Möglichkeiten beschränkt. Jede Woche legte sie etwa 500 Kilometer zurück – Elternabende, Hospitationen, schulische Pflichtveranstaltungen nicht inbegriffen. Anne wurde noch im ersten Ausbildungsabschnitt krank und konnte den selbstständigen Unterricht nicht antreten.

Ähnlich erging es auch anderen jungen Lehrer/innen, deren Anfragen die Junge GEW in den vergangenen Jahren erreichten. „Für mich ist es einfach unverständlich, wie die zweite Ausbildungsphase so unvereinbar mit der vom Staat gewünschten und geachteten Familie, bzw. mit der Familienplanung gestaltet werden konnte“, schrieb eine junge Mutter. Eine weitere Absolventin mailt uns: „Ich werde wahrscheinlich vor der Entscheidung stehen: entweder Familiengründung oder Referendariat. Das ist eine sehr bittere Wahl. (…) Dass der Staat dies gegeneinander ausspielt, halte ich nicht für legitim.“ In einem anderen Fall wurde eine schwangere Referendarin von einer Fachleiterin darauf hingewiesen, dass man Kinder in der heutigen Zeit doch wohl besser planen könne und sie sich diese erschwerte Situation nun selbst eingebrockt hätte. Das Seminar könne keine Rücksicht nehmen.

Seit mehreren Jahren setzt sich die GEW für die Einführung eines Teilzeit-Referendariats in Baden-Württemberg ein. Immer wieder hat Doro Moritz gegenüber den politischen Verantwortlichen die negativen beruflichen Konsequenzen hervorgehoben. Wenn nach dem ersten Staatsexamen das Referendariat wegen zu hohem Arbeitsaufwand nicht angetreten oder abgebrochen wird, geht nicht nur eine ausgebildete Lehrperson verloren. Auch Steuergelder werden fehlinvestiert, wenn die Lehrerausbildung in der Mitte steckenbleibt. Allein aus bildungsökonomischer Sicht ist die Einführung einer Teilzeit-Ausbildung notwendig und sinnvoll.

Darüber hinaus mutet es sehr verwunderlich an, dass im akademischen Frauenberuf Nummer eins die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund fehlender Teilzeitausbildung bislang nur schwer zu realisieren ist.
Doch nicht nur für junge Frauen mit ersten Staatsexamen stellt sich die Frage, ob ein Vorbereitungsdienst während der Familienphase bewältigbar ist. Auch Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen oder Schwerbehinderte konnten bislang den zeitlichen Anforderungen des Referendariats kaum gerecht werden.

Teilzeitreferendariat dauert voraussichtlich 30 Monate
Umso erfreulicher ist es, dass das Teilzeitreferendariat jetzt realisiert wird. Kultusministerin Susanne Eisenmann schreibt in der Pressemitteilung vom 11. Oktober 2017: „Mit der Einführung des Vorbereitungsdiensts in Teilzeit greifen wir einen berechtigten Wunsch junger Menschen auf, die neben der anspruchsvollen Lehrerausbildung ein Kind großziehen oder einen Angehörigen pflegen. Auf deren individuelle Lebenswirklichkeit wollen wir eingehen und die Vereinbarkeit von Familie und Lehrerberuf verbessern“. Der regulär 18 Monate dauernde Vorbereitungsdienst soll dann im Umfang von 60 Prozent geleistet werden können und verlängert sich dadurch auf 30 Monate (fünf statt drei Schulhalbjahre). Eine weitere Individualisierung durch andere Teilzeitquoten ist nicht vorgesehen.

In der Pressemitteilung heißt es weiter: „Baden-Württemberg gehört bundesweit zu den ersten Ländern, die eine Teilzeitoption für den Vorbereitungsdienst einführen.“ Allerdings existieren bereits in Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Saarland und Sachsen Teilzeitregelungen. Nicht alle Regelungen dieser Bundesländer werden mit der erhofften Entlastung umgesetzt. Vor allem in Bundesländern mit einer 75%-Regelung ist die Unterrichtsverpflichtung nach wie vor zu hoch. Zum Teil wird zwar die Präsenzzeit an der Schule reduziert, die Seminarausbildung muss jedoch im gleichen Umfang wie beim regulären Referendariat absolviert werden. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit bei Anwärterinnen mit Kindern die Ausbildungsvergütung bei einer Teilzeitbeschäftigung ausreicht, um eine Familie adäquat versorgen oder zumindest unterstützen zu können. Die GEW hofft, dass Eisenmann auch auf diese „individuelle Lebenswirklichkeit“, wie sie selbst konstatiert, eingeht.

Geplant ist in Baden-Württemberg, dass Teile des ersten Ausbildungsabschnitts, also das Halbjahr des begleiteten Unterrichts, in der Teilzeit-Ausbildung nach hinten verlagert werden und dadurch den ersten Abschnitt entzerren. Der Stundenumfang des selbstständigen Unterrichts wird reduziert und von einem auf zwei Schuljahre ausgedehnt. Die Seminarleitung muss hierbei sicherstellen, dass die Ausbildungsinhalte und der Ausbildungsumfang dem regulären Referendariat entsprechen. Ab Januar 2019 sollen Teilzeit-Vorbereitungsdienste möglich sein.

Es bleibt zu hoffen, dass das Kultusministerium für das künftige Teilzeit-Modell ein qualitativ hochwertiges Konzept ausarbeitet. Die Betroffenen brauchen ein Modell, das den Druck und die Belastung auf die Referendarinnen und Referendare nicht lediglich zeitlich ausdehnt, sondern eine wirkliche Entlastung darstellt. Die GEW erwartet außerdem eine präzise Evaluation des Teilzeitreferendariats in den ersten Jahren und eine qualitative Nachjustierung, falls Schwächen im neu eingeführten System erkennbar werden.

Annes Geschichte hatte im Übrigen  dank des Einsatzes vieler beteiligter Akteure und ihres eigenen Durchhaltevermögens doch noch ein gutes Ende gefunden: Die Seminarleitung hatte einem Schulwechsel in die Nähe des Wohnorts zugestimmt, die zuständige Mentorin an der Schule hat dafür gesorgt, dass der Stundenplan mit ihrer Lebensrealität vereinbar ist.