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GEW-Umfrage zu Kompass 4

Symptom einer verfehlten Bildungspolitik

Eine Umfrage der GEW belegt: Kompass 4 belastet neben den Schüler*innen die Lehrkräfte an Grundschulen. Damit ist genau das eingetreten, was die GEW in einer Stellungnahme im August 2024 bereits prognostiziert hatte.

Foto: Shutterstock / GEW

Ende November mussten die 2.323 öffentlichen Grundschulen Kompass 4 zum ersten Mal verbindlich durchführen. Schon kurz danach wurde aus Rückmeldungen von zahlreichen Lehrkräften klar: Hier lief etwas schief.

Die GEW wollte es genauer wissen und hat ihre Mitglieder an den Grundschulen Mitte Dezember zu Kompass 4 befragt. Binnen weniger Stunden trafen Hunderte von Rückmeldungen ein – auch das ein Zeichen, dass das Thema bewegt. Insgesamt haben an der Umfrage 1.131 Lehrer*innen teilgenommen.

Ergebnisse der GEW-Umfrage

Schon die Vorarbeiten wurden bemängelt. 44 Prozent der Teilnehmer*innen der Befragung sagten, sie seien nicht früh genug über die Notwendigkeit von Kompass 4 informiert worden, bei über 68 Prozent waren die Testunterlagen nicht rechtzeitig abrufbar. Vor allem mit dem Passwort gab es häufig Probleme. Überlastete Server und komplizierte Downloadprozesse führten zu Verzögerungen.

Die Angemessenheit der Aufgaben wurde je nach Fach auffallend unterschiedlich bewertet. Während die Aufgabenstellung in Deutsch-Lesen und Deutsch-Rechtschreibung hinsichtlich der Bearbeitungszeit, des Inhalts und der Verständlichkeit in hohem Maße als angemessen / teilweise angemessen beurteilt wurden, fiel die Bewertung der Mathematik-Aufgaben genau umgekehrt aus.


Wie bewerten Sie die Aufgabenstellung in Deutsch-Lesen?

 trifft zutrifft teilweise zutrifft nicht zu
zeitlich angemessen50,6 %36,2 %13,2 %
inhaltlich angemessen54,5 %38,5 %7,0 %
verständlich formuliert44,8 %47,5 %7,8 %


Wie bewerten Sie die Aufgabenstellung in Deutsch-Rechtschreibung?

 trifft zutrifft teilweise zutrifft nicht zu
zeitlich angemessen48,1 %39,0 %13,0 %
inhaltlich angemessen43,5 %46,0 %10,5 %
verständlich formuliert36,7 % 51,6 %11,8 %


Wie bewerten Sie die Aufgabenstellung in Mathematik?

 trifft zutrifft teilweise zutrifft nicht zu
zeitlich angemessen10,4 %29,8 %59,8 %
inhaltlich angemessen7,9 %34,8 %57,3 %
verständlich formuliert8,7 %44,9 %46,4 %


In vielen Klassen schaffte ein hoher Anteil der Kinder nicht alle Aufgaben. Nach den Rückmeldungen der Lehrkräfte belastete das die Kinder sehr. Schilderungen aus der Praxis waren zum Beispiel: „Der Zeitdruck führte zu Verunsicherung und Stress.“, „Die Kinder waren sehr schnell fertig, aber nur, weil sie die Aufgaben nicht verstanden haben.“ Oder: „Kinder haben sich beeilt, um fertig zu werden, und dabei viele Fehler gemacht.“ Und: „Die Aufgaben waren deutlich zu schwer, gerade in Mathe.“

Bei manchen Kindern löste das erheblichen Druck aus: „Einige Kinder haben geweint und sind jetzt verunsichert.“, „Der Test führt zu Demotivation und Versagensängsten bei Kindern, Eltern und Lehrkräften.“

So wundert es nicht, dass Lehrkräfte Kompass 4 kaum als sinnvolles Instrument sehen, um beurteilen zu können, welche Schulart das Kind nach Klasse 4 besuchen sollte. Dass daraus zumindest „zusätzliche Informationen“ gewonnen werden, finden immerhin 30 Prozent. 65 Prozent werteten den Test hingegen als wenig nutzbringend oder gar überflüssig.

80 Prozent der Lehrkräfte stellen größere Abweichungen der Testergebnisse zu ihren persönlichen Einschätzungen der Schüler*innen fest. Kommentare wie diese verdeutlichen das: „Einige ‚Gymnasialkinder‘ erreichten nur Stufe G in Mathematik. Das spiegelt überhaupt nicht die echten Leistungen wider.“, „Die Ergebnisse stimmen besonders in Mathematik in keinster Weise mit den Leistungen der Kinder im Unterricht überein.“ Eine verpflichtende Einführung lehnen 37 Prozent (eher) und 22 Prozent völlig ab. Kompass 4 ist für viele Lehrer*innen vor allem auch deshalb überflüssig, weil ihrer Meinung nach die Beurteilung der Klassenkonferenz ausreicht. Eine Lehrkraft schreibt: „Was soll ein Test am Anfang der 4. Klasse mehr aussagen als drei Jahre und ein paar Monate Grundschule?“

Erste Ergebnisse der Kompass 4-Tests

Dass die Lehrkräfte mit dieser Einschätzung richtig liegen, zeigte auch eine erste Einschätzung, die das Kultusministerium vor Weihnachten vorgelegt hat. In Mathematik erreichten nur sechs Prozent der Schüler*innen die notwendige Punktzahl, um eine Zulassung für das E-Niveau zu bekommen. Die Ergebnisse von acht Prozent der Schüler*innen entsprachen dem M-Niveau. 86 Prozent der Schüler*innen würden nach den Ergebnissen von Kompass 4 in Mathematik eine Empfehlung für das G-Niveau bekommen. Da aus Deutsch und Mathematik ein Schnitt gebildet wird, können rechnerisch nur 14 Prozent der Schüler*innen aus Kompass 4 eine Zugangsberechtigung für das Gymnasium erreichen.

Zum Glück ist Kompass 4 nicht das einzige Kriterium. Die Klassenkonferenz der Grundschule kann unabhängig vom Ergebnis aus Kompass 4 eine Empfehlung für das E-, M- oder G-Niveau aussprechen.

Weitere Leistungsvergleiche

Der Vergleich zu den anderen Diagnose- und Förderinstrumenten zeigt, dass Lernstand 2 und Starke Basis deutlich positiver bewertet werden als Kompass 4.

Die Vergleichsarbeiten (VERA) kommen hingegen nur unwesentlich besser weg als Kompass4.

Verbesserungsvorschläge der GEW

Was aus diesen Erfahrungen folgen könnte oder sollte:

  • Abschaffung des Tests: Viele Lehrkräfte wünschen sich die Abschaffung von Kompass 4, da er als überflüssige Belastung für Kinder, Eltern und Lehrkräfte empfunden wird.
  • Anpassung der Aufgaben: Mathe sollte weniger textlastig sein und mehr Rechenaufgaben enthalten.
  • Verbesserung der Bewertung: Lehrkräfte fordern eine flexiblere Bewertung mit der Möglichkeit, Teilpunkte zu vergeben. Dazu schrieb eine der Befragten: „Die Bewertung muss fair sein. Es geht überhaupt nicht, wenn Kinder einen Rechenfehler machen, aber der Rechenweg stimmt und es gibt null Punkte.“
  • Frühzeitige Bereitstellung der Materialien: Materialien sollten früher bereitgestellt und besser zugänglich sein.
  • Reduzierung der Belastung: Weniger Aufgaben und mehr Zeit für die Bearbeitung.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Es gibt eine große Unzufriedenheit mit der Organisation, der technischen Umsetzung und der inhaltlichen Gestaltung des Tests. Besonders die knapp bemessene Zeit, die Schwierigkeit der Mathematikaufgaben und der emotionale Stress für die Kinder werden als gravierende Mängel benannt. Viele Lehrkräfte fordern die Abschaffung oder eine grundlegende Überarbeitung des Tests. Es gibt zudem den Wunsch nach einem gerechteren Bewertungssystem sowie der besseren Unterstützung von Kindern mit Sprachdefiziten.

Ein Kommentar von Ricarda Kaiser, Hauptpersonalrat GHWRGS

Schon als Kompass 4 auf freiwilliger Basis eingeführt wurde, hat der Hauptpersonalrat (HPR) GHWRGS befürchtet, dass das Verfahren eines Tages verpflichtend sein würde und dies nicht befürwortet.

Nach der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung konnten Eltern ihr Kind an der Schulart anmelden, die sie für richtig hielten. In der Regel folgten die Eltern der Grundschulempfehlung und konnten bei Verunsicherung das Beratungsverfahren in Anspruch nehmen. Hier wurden die Kinder gegebenenfalls von einer neutralen Beratungslehrkraft und mit sprachfreien Schulleistungs- oder IQ-Tests nochmals eingehend diagnostiziert und die Eltern weitergehend beraten. Das war aus Sicht des HPR GHWRGS ein gutes und bewährtes Verfahren. Ein zusätzliches Instrument einzuführen, um Eltern valider beraten zu können, ist nicht notwendig. Dass Kompass 4 zu einem verpflichtenden und damit zu einem entscheidenden Modul für die Bildungsempfehlung wurde, ist der Einführung von G9 geschuldet.

Diese Umstellung hat, wie unsere Umfrage gezeigt hat, weitreichende und nicht gerade positive Auswirkungen auf die Arbeit der Kolleg*innen in den Grundschulen. Sie beeinträchtigt vor allem die Beratungsgespräche zwischen Eltern und Lehrkräften und die Beziehungen und die Kommunikation zwischen Eltern, Lehrkräften und Schüler*innen.

Es ist bedauerlich, dass das Kultusministerium trotz der Rückmeldungen aus den Schulen und den fragwürdigen Ergebnissen des ersten Durchgangs nicht umgehend eine Rückkehr zum bisherigen Verfahren ankündigt, sondern „nachbessern“ möchte. Was soll das heißen? Sollten die Tests nächstes Jahr besser ausfallen, heißt es, sie seien zu einfach. Fallen sie erneut in einem Fach schlecht aus, wird wieder die Qualität der Arbeit an Grundschulen in Frage gestellt. Es kann keine gute Lösung geben und alle Maßnahmen werden zu einer Verschlimmbesserung führen.

Die konservativen politischen Kräfte, die die verbindliche Grundschulempfehlung wieder einführen wollen, halten sich fein raus und schauen gelassen zu, wie das grün geführte Ministerium in Erklärungsnot kommt. Schade, dass Kultusministerin Theresa Schopper nicht den Mut hatte, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen.

Die GEW hat das Kultusministerium aufgefordert, das übereilt eingeführte Verfahren zu stoppen. „Frau Schopper, hören Sie auf tausende pädagogische Profis in Ihren Grundschulen, vertrauen Sie deren Beratungskompetenz. Wir brauchen kein neues Grundschul-Abitur, das Kinder und Eltern mit fragwürdigen Inhalten unnötig unter Druck setzt“, sagte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein.

Das Kultusministerium will nach der massiven Kritik an Kompass 4 den Test überarbeiten. Konsequenter wäre es, die „Optimierung der Auslese“ generell zu überdenken. Ziel von G9 ist, Druck aus den Gymnasien zu nehmen und den Schüler*innen mehr Zeit fürs Lernen und für die Freizeit zu geben. Damit nicht zu viele Kinder aufs neu strukturierte Gymnasium strömen, wird jetzt die Auslese verstärkt und Druck und Stress auf die Grundschulen verlagert. Diesen Belastungen sind in der Grundschule alle Schüler*innen ausgesetzt.

Auf die vielfältigen Herausforderungen des Bildungssystems muss pädagogisch und mit gerechten Maßnahmen reagiert werden. Das wäre ja eigentlich das Selbstverständlichste, was man von den Gestalter*innen von Schule erwarten dürfte. Maßnahmen wie Kompass 4 sind ein Irrweg.

Kontakt
Ute Kratzmeier
Referentin für allgemeinbildende Schulen
Telefon:  0711 21030-25