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Syrien war das Bildungsland der arabischen Welt

Syrien läuft Gefahr, eine ganze Generation von Akademiker/innen und Fach- und Führungskräften zu verlieren. Mehr als 4,5 Millionen Syrer/innen sind ins Ausland geflohen, während im Land selbst fast 7,5 Millionen ebenfalls auf der Flucht sind – bei einer Einwohnerzahl von 21 Millionen. Die Menschen auf der Flucht sind weitgehend von Schul-, Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten abgeschnitten.

Bis zum Ausbruch des Krieges gehörte Syrien zu den Staaten der arabischen Region, in denen das Schul- und Hochschulsystem vergleichsweise gut entwickelt war. In Syrien besteht allgemeine Schulpflicht, die für alle Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren gilt (Schulpflicht bis zur 9. Klasse). Die Einschulungsrate liegt bei 99 Prozent (Jungen) bzw. 98 Prozent (Mädchen). Die Analphabetenrate ist auf 17 Prozent gesunken und liegt in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen bei 5,5 Prozent (Männer: 4 Prozent, Frauen: 7 Prozent). Englisch und Französisch sind Pflichtfächer in den Schulen. Rund 26 Prozent eines Jahrganges absolvierten eine Hochschulbildung, vor allem in den Natur- und Ingenieurswissenschaften. Auch die internationale Vernetzung vor allem der Hochschulen war fortgeschritten. In Syrien gibt es vier staatliche Universitäten (Damaskus, Aleppo, Homs und Latakia), an denen über 200.000 syrische (davon knapp 50 Prozent Frauen) und über 8.000 ausländische Studierende (überwiegend aus arabischen Ländern: Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten) immatrikuliert sind. Die vier staatlichen Universitäten bieten unter anderem auch Deutschkurse an. Deutsche Bildungseinrichtungen gehörten zu den wichtigsten Partnerinstitutionen. Das syrische Hochschulministerium finanzierte gemeinsam mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ein Regierungsstipendium, mit dem ab 2007 pro Jahr ca. 60 Stipendiat/innen in Deutschland postgraduale Studien betreiben konnten.


Als Antwort auf den Krieg und die Angst, dass wie in Afghanistan eine verlorene Generation heranwächst, haben das Auswärtige Amt sowie einige Bundesländer Stipendienprogramme für syrische Flüchtlinge entwickelt. Seit September 2014 wurde vom Auswärtigen Amt ein Stipendienprogramm mit dem Titel „Leadership for Syria“ für Syrische Flüchtlinge eingerichtet. 100 Studierende können mit dem Programm ihr Studium in Deutschland absolvieren und an einem gesellschaftspolitischen Begleitprogramm teilhaben.
Auch das Land Baden-Württemberg legte in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) im März/April 2015 ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge auf. Allerdings für Flüchtlinge, die bereits in Baden-Württemberg sind. Gefördert wird eine elitäre Gruppe „besonders Begabter“ von 50 Personen. Für das Programm stehen jährlich 1,65 Mio. Euro aus Sondermitteln des Landes zur Verfügung. Einer kleinen Elite von syrischen Studierenden wurde die finanzielle Förderung gewährt, damit sie eines Tages einen Beitrag für ein neues friedliches Syrien leisten können, auch wenn der Tag im Moment nicht absehbar ist. Für das Jahr 2016 soll es neue Stipendien für Flüchtlinge geben.


Die Lage in Syrien ist infolge des Krieges so katastrophal, dass eine verlorene Generation heranwächst. Nach Informationen des Auswärtigen Amts sind im einstigen Bildungsvorzeigeland Syrien die Bildungschancen mittlerweile eine der schlechtesten weltweit. Ein Einschulungsrate ist unter 50 Prozent gesunken. In Bezug auf die Flüchtlinge wird zu den Hauptaufgaben Deutschlands zählen, syrischen Kindern und Jugendlichen die verlorenen Bildungschancen zurückzugeben. Gerade die jungen Syrer/innen sind entscheidend für den Wiederaufbau und die Zukunft ihres Landes, wenn dieser schreckliche Krieg einmal zu Ende geht.


Die GEW setzt sich für einen Ausbau dieser Stipendienprogramme ein. Die vorhandenen Angebote reichen nicht aus. Das zeigten die Bewerbungen von syrischen Flüchtlingen im Frühjahr. Von knapp 300 Bewerbungen erhielten lediglich 50 ein Stipendium. Die Programme dürfen auch nicht nur auf syrische Flüchtlinge begrenzt werden. Flüchtlinge aus dem Balkan und anderen Ländern sollen ebenfalls eine faire Chance auf das Bewerbungsverfahren haben. Auch darf die humanitäre Ausrichtung des Stipendienprogramms nicht fehlen, sonst droht ein solches Programm jene Eliten zu fördern, die schon vor Ausbruch des Krieges (finanziell) besser gestellt waren. Mit der Auswahl werden soziale Ungleichheiten und Ausschlüsse reproduziert, die mitursächlich für die Entwicklung des Konflikts sind.