Zum Inhalt springen

Systematik im Dschungel der Angebote

Der Bildungsbericht Baden-Württemberg, den das Landesinstitut für Schulentwicklung Ende Juni 2015 herausgegeben hat, liefert umfassende Daten zu allen Bildungsbereichen. Im Oktober berichteten wir über die Entwicklung der Sonderpädagogische Förderung, Inklusion, Ganztagsschulen und Migration. In diesem Teil geht es um berufliche Schulen.

Unter dem Begriff „berufliche Schulen“ verbirgt sich eine Vielzahl an beruflichen und allgemeinbildenden Bildungsgängen sowie die berufliche Fort- und Weiterbildung. Je nach fachlicher Richtung sind unterschiedlicher Ministerien zuständig: Kultusministeriums, Sozialministerium und Ministerium für den ländlichen Raum.


Von den 760 beruflichen Schulen im Land befinden sich 302 in privater Trägerschaft, was einer Verdoppelung der privaten Einrichtungen seit 2000/01 bedeutet. Etwas mehr als 46.000 Schüler/innen besuchen private berufliche Schulen (Gesamtzahl rund 423.500).
Knapp die Hälfte der Schüler/innen besucht eine klassische Berufsschule im Rahmen ihrer Ausbildung. Der Anteil der Schüler/innen, die ein berufliches Gymnasium oder ein Berufskolleg besuchen, beträgt jeweils 15 Prozent (vgl. Abbildung 1)
Berufsfachschulen, Berufskollegs und berufliche Gymnasien ermöglichen allgemeinbildende Abschlüsse. Im so genannten Übergangssystem können Jugendliche ohne Schulabschluss oder ohne Ausbildungsplatz Qualifikationen erwerben, um die Chancen für einen Eintritt in das Berufsleben zu verbessern.


Während die Anzahl der klassischen Berufsschüler/innen seit Jahren abnimmt, verzeichnen zum Beispiel die Berufskollegs mit dem Ziel „Fachhochschulreife“ oder Bildungsgänge mit dem Angebot einer vollschulischen Ausbildung deutliche Zuwächse

Bildungsangebote an beruflichen Schulen
Dem Bildungsbericht 2015 gelingt es sehr gut, eine Systematik in den Dschungel der Angebote der beruflichen Schulen zu bringen. Grundlage dafür ist die integrierte Ausbildungsberichterstattung (iABE), die alle Bildungsgänge einer Erstausbildung erfasst (also keine Weiterbildung oder etwa den 2. Bildungsweg). Sie soll internationale Vergleiche und einen guten Überblick ermöglichen. Die iABE orientiert sich an den Abschlüssen der jeweiligen Bildungsgänge und gliedert sich in vier übergreifende Sektoren (Abbildung 2)


Sektor I: Berufsausbildung
78,3 Prozent der Schüler/innen in diesem Sektor sind klassische Berufsschüler, absolvieren also ihren schulischen Teil der Ausbildung an den beruflichen Schulen. Dies waren im Schuljahr 2013/14 257.439 Schüler/innen. Etwa 50 Prozent der Schüler/innen im dualen System der Berufsausbildung haben zuvor einen mittleren Abschluss erreicht, 27 Prozent verfügen über den Hauptschulabschluss.
Die nächstgrößere Gruppe bilden die Auszubildenden in den Bereichen Gesundheit, Erziehung und Sozialwesen mit 42.536 Schüler/innen (17,3 Prozent), davon 8.593 Erzieher/innen. Deutlich geringere Anteile verzeichnen die vollzeitschulischen Bildungsgänge im oder außerhalb des Berufsbildungsgesetzes oder der Handwerksordnung. In diesen Gruppen findet man Berufsbilder wie Kosmetiker/in, Uhrmacher/in oder Foto-Designer/in und Grafik-Designer/in. In diesen drei Ausbildungsarten wurden 2013/14 insgesamt 11.113 Schüler/innen gezählt.


Sektor II: Übergangsbereich

Im sogenannten Übergangsbereich werden Bildungsgänge angeboten, die die Integration in eine berufliche Ausbildung im Anschluss an die allgemeinbildende Schule zum Ziel haben. Hier unterscheidet man zunächst zwischen Maßnahmen der beruflichen Schule und der Agentur für Arbeit. In diesem Bericht bleiben die Maßnahmen der Arbeitsagentur ausgeklammert.
Den höchsten Anteil an Schüler/innen des Übergangsbereichs verzeichnen die Berufsfachschulen, die den Erwerb des mittleren Abschlusses zum Ziel haben - 25.227 Schüler/innen waren es im Schuljahr 2013/14. In einer ähnlichen Größenordnung bewegen sich die Zahlen der berufsvorbereitenden Bildungsgänge mit der Option auf Anrechenbarkeit auf eine anschließende Berufsausbildung (24.632 Schüler/innen). Darin enthalten sind auch Ausbildungsgänge in Berufen, in denen das erste Ausbildungsjahr vollzeitschulisch absolviert wird (Landwirte zum Beispiel) Diese beiden Gruppen stellen zusammen etwa 77 Prozent der Schüler/innen im Übergangsbereich.
Mit 17,6 Prozent oder 11.350 Jugendlichen bilden die Teilnehmer/innen an berufsvorbereitenden Maßnahmen den drittgrößten Anteil. Unter diese oft als „Warteschleife“ kritisierten Bildungsgänge fallen zum Beispiel das Berufseinstiegsjahr, das Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf oder das duale Berufskolleg Soziales. Auch an den Sonderberufsfachschulen werden Übergangs-Bildungsgänge angeboten. Rund 2.000 Schüler/innen nahmen 2013/14 dort teil.
Last but not least findet man im Sektor II auch diejenigen, die das obligatorische Praktikum in Vorfeld der Erzieherinnenausbildung absolvieren, das sind 3.463 Schüler/innen in 2013/14.
Die Gesamtschülerzahlen des Übergangsbereichs sind seit Jahren rückläufig. 2013/14 waren es ein Viertel weniger Schüler/innen als im Jahr 2005, dem Jahr mit dem bisherigen Höchststand. Es ist allerdings anzunehmen, dass besonders das Programm Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf, das 2013/14 rund 3.900 Jugendliche ohne Hauptschulabschluss nutzten, künftig höhere Schülerzahlen verzeichnet, da geflüchtete Jugendliche Zielgruppe dieses Bildungsgangs sind. Diese besuchen dann VABO-Klassen mit dem Schwerpunkt „Erwerb von Deutschkenntnissen (VABO = Vorqualifizierung Arbeit/Beruf ohne Deutschkenntnisse).

Sektor III: Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung
Dem Sektor III sind die beruflichen Gymnasien und die Berufskollegs mit Ziel „Hochschulzugangsberechtigung“ zugeordnet. Gut die Hälfte der Hochschulzugangsberechtigungen wurde laut Bildungsbericht 2015 an einer beruflichen Schule erreicht.
Das traditionelle berufliche Gymnasium dauert 3 Jahre. Inzwischen gibt es an 20 Standorten öffentlicher Schulen auch ein 6-jähriges berufliches Gymnasium. Es ist für Schüler/innen gedacht, die sich bereits in der 8. Klasse für einen profilierten Bildungsgang interessieren (naturwissenschaftlich, technisch, sozialwissenschaftlich). Über 1.500 Schüler/innen besuchen diesen Bildungsgang (2013).
Die dreijährigen Bildungsgänge wurden seit ihrem Bestehen kontinuierlich aufgefächert und ausgebaut. Es gibt inzwischen 6 Fachrichtungen (siehe Abbildung 3) und innerhalb dieser Richtungen weitere Profile (zum Beispiel „Mechatronik“ im Technischen Gymnasium).

Entwicklung der Schüler/innenzahlen

Für die Entwicklung der Schüler/innenzahlen spielt in den beruflichen Schulen nicht nur die Demografie eine wichtige Rolle. Wie entwickeln sich die Vorlieben der Schüler/innen für berufliche oder akademische Bildungslaufbahnen? Welche Berufe werden bevorzugt? Wie läuft die Konjunktur? Welche Wege bahnt oder verbaut der technische Fortschritt? All dies sind Unwägbarkeiten, denen eine Prognose nicht gerecht werden kann.
Auf diesem Hintergrund lassen sich laut Bildungsbericht folgende Entwicklungen skizzieren:
•    Demografie:
Der Rückgang der Schüler/innenzahlen wird sich an den beruflichen Schulen erst mit einigen Jahren Verzögerung niederschlagen. Bis 2020 könnte die Zahl von rund 420.000 auf rund 368.000 sinken (-13 Prozent).
•    Berufsausbildung:
Im Dualen System wird ein Rückgang von etwa 16 Prozent erwartet, da weniger Absolvent/innen mit Hauptschulabschluss und mittlerer Reife aus dem allgemeinbildenden System kommen werden. Dies könnte jedoch aufgefangen werden, wenn auch für Abiturient/innen künftig eine Berufsausbildung als Alternative zum Studium in Frage kommt.
•    Berufliche Gymnasien:
Für diese Gymnasien wird zunächst mit einem weiteren Anstieg der Schüler/innenzahl gerechnet. Die zusätzlichen Kapazitäten ziehen auch vermehrt Schüler/innen an die beruflichen Gymnasien. Durch die Demografie wird sich jedoch auch eine relative Steigerung der Zugänge nicht dauerhaft in absoluten Schüler/innenzuwächsen niederschlagen und bis 2020 zu einem Rückgang von rund 63.300 im Schuljahr 2013/14 auf 56.700 führen.
•    Berufskolleg/Berufsfachschulen:
Die Tendenz eines Anstiegs in den nächsten und eines daran anschließenden Rückgangs wird auch für die Berufskollegs und Berufsfachschulen angenommen.