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Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrkräften

Systematisch Mehrarbeit erforderlich

Die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte haben sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Corona und die Digitalisierung zeigen, dass Reformbedarf besteht. Für das Unterrichten bleibt immer weniger Zeit, während außerunterrichtliche Tätigkeiten zunehmen.

Verzweifelte Lehrerin im Klassenzimmer
Foto: © imago

Corona und die Digitalisierung haben die seit mehr als fünfzig Jahren kaum veränderten Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte wie in einem Brennglas scharf gezeichnet und den Reformbedarf offengelegt. Für die pädagogische Kernaufgabe des Unterrichtens steht immer weniger Zeit zur Verfügung, während außerunterrichtliche Tätigkeiten deutlich mehr Raum einnehmen.

Die Corona-Pandemie und die dadurch forcierte Digitalisierung des Schulsystems in den zurückliegenden zwei Jahren haben die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften einmal mehr in den Fokus gerückt. Neue Herausforderungen mussten kurzfristig im Sinne der Aufrechterhaltung des Bildungsauftrages angegangen und ad hoc Lösungen gefunden werden. Angesichts teils defizitärer Rahmenbedingungen wurden diese Anforderungen in bemerkenswerter Weise gemeistert.

Lehrkräfte werden im Rahmen ihrer Arbeitszeitordnung für eine bestimmte Anzahl von Unterrichtstunden bezahlt (Pflichtstunden) und müssen darüber hinaus auch eine Reihe von weiteren, außerunterrichtlichen Aufgaben erledigen, deren Aufwand weitgehend unbestimmt bleibt beziehungsweise teils von einschlägigen Regelungen nicht abgedeckt wird. So zum Beispiel Inklusions- und Förderpläne erstellen, Lernstandserhebungen durchführen, ad hoc digitale Lernkonzepte für Hybrid- oder Fernunterricht entwickeln, analoge in digitale Unterrichtsmaterialien überführen, digitale Lernplattformen befüllen, Hygienepläne umsetzen, vermehrt digital mit Schülerinnen und Schülern sowie Eltern kommunizieren, Vergleichsarbeiten und Wettbewerbe organisieren, diverse Dokumentationspflichten erfüllen et cetera. Formal sind Lehrkräfte weitgehend frei in der Steuerung und Planung eines großen Teils ihrer Arbeitszeit. Man kann sich darauf verlassen, dass sie bei Bedarf mit großem Engagement auch einen erheblichen Mehraufwand leisten, um ihre Schülerinnen und Schüler zu unterstützen.

Die Arbeitszeitverordnungen der Länder regeln mit schulformspezifischen Deputatsvorgaben zumeist nur den determinierten Teil der Arbeitszeit von Lehrkräften, der sich aus Unterrichtsverpflichtung (Regelstunden), Funktionstätigkeiten und verpflichtenden Präsenzzeiten zusammensetzt. Den anderen, obligaten Teil der Arbeitszeit überlassen sie den Lehrkräften zur selbstständigen Organisation in eigener professioneller Verantwortung. Bei Änderungen der Unterrichtsverpflichtung oder bei neuen Anforderungen an das Schulsystem kommt damit den Lehrkräften allein die Verantwortung zu, individuell zu entscheiden, welche Anteile ihrer Tätigkeit sie anpassen, das heißt reduzieren müssen beziehungsweise können, um im Arbeitszeitrahmen zu bleiben. Dabei sind sie nicht nur mit einem Wachstum zusätzlicher Aufgaben, sondern im pädagogischen und professionellen Sinne auch mit einer potenziell „grenzenlosen Aufgabenstellung“ (Rothland 2013) bei der Erfüllung des Bildungsauftrags konfrontiert.

Abbildung 1: Vergleich wöchentlicher SOLL- und IST-Werte von Gymnasien und Gesamtschulen auf Basis der bundesweiten Arbeitszeitschätzung 2021, © Kooperationsstelle Universität Göttingen – Digitalisierungsstudie 2021

Von Seiten der Länder wird dieser obligate Teil der Arbeitszeit als nahezu beliebig variabel behandelt. Diesem Selbstverständnis folgend treffen neue (gesellschaftliche) Herausforderungen an das Schulsystem zunächst einmal auf die individuelle Verantwortung der einzelnen Lehrkräfte, die Herausforderungen im obligaten Teil ihrer Arbeitszeit selbst zu bewältigen. Folgerichtig haben sich die Deputatsvorgaben in Deutschland trotz großer Arbeitszeitverkürzungen in anderen Branchen und Berufen und trotz aller Kritik seit über einhundert Jahren als erstaunlich resistent erwiesen.

Seit langem berichten Lehrkräfte darüber, dass ihr Bildungs- und Arbeitsauftrag die Einhaltung einer Vierzig-Stunden-Woche in der Praxis nicht ermöglicht, sondern systematisch Mehrarbeit erforderlich mache, um alle dienstlichen Verpflichtungen und pädagogischen Anforderungen zu erfüllen. Solche Beschwerden wurden regelmäßig mit dem Argument zurückgewiesen, dass es keine Möglichkeiten gebe, Arbeitszeiten angemessen zu bestimmen. Die Arbeitszeit von Lehrkräften wurde jahrzehntelang für unbestimmbar gehalten. Lehrkräfte seien nicht nur selbst für die Einhaltung ihrer Arbeitszeit verantwortlich, die individuellen und schul(form)spezifischen Einflussgrößen seien insgesamt zu vielfältig und die methodischen Herausforderungen einer angemessenen Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften zu groß.

Studien zur Arbeitszeit von Lehrkräften

Dies hat sich in den letzten Jahren durch eine Mischung aus vereinfachter (digitaler) Zeiterfassung, juristischen Weiterentwicklungen und konzeptionellen Methodeninnovationen geändert. Inzwischen liegen eine Reihe normenkonformer Zeiterfassungsstudien vor, die sich konsistent in die Befunde und Erkenntnisse aus historischen Vorgängerstudien der letzten sechzig Jahre einreihen (Mußmann und Riethmüller 2014; Mußmann et al. 2016; Mußmann et al. 2020). Zudem liegen erstmals seit langem bundesweit repräsentative Orientierungswerte zur Arbeitszeit von Lehrkräften vor.

Zum einen die unvollständig veröffentlichten Werte einer Erhebung gymnasialer Oberstufen aus dem Jahr 2018. Sie ermittelte eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit je nach Erhebungsverfahren zwischen 42 : 48 (Schätzverfahren) und 45 : 12 Stunden : Minuten (Arbeitszeitdokumentation) für Vollzeitkräfte (Kreuzfeld et al. 2022). Da die SOLL-Arbeitszeit nicht kontrolliert wurde, legt die Autorengruppe 40 Stunden als allgemeinen Vergleichswert für die Ermittlung von Mehrarbeit nahe. Neben den SOLL-Werten bleibt allerdings die Arbeit von Lehrkräften in Ferien und die relative Mehrarbeit von Teilzeitkräften ebenso unberücksichtigt wie unterschiedliche Beamtenarbeitszeiten in den Ländern.

Abbildung 2: Vergleich zur Arbeitszeitverpflichtung von Verwaltungsbeamt*innen (Hardwig und Mußmann 2018, S. 64)

Die aktuelle Studie „Digitalisierung im Schulsystem 2021“ ermittelt auf Basis der Spezifika der Arbeitszeitverordnungen der einzelnen Bundesländer zunächst eine SOLL-Arbeitszeit von 46 : 48 Stunden: Minuten pro Schulwoche bei einer 100-Prozent-Stelle (einschließlich der Arbeitszeit in den Ferien; Mußmann et al. 2021 a). Anschließend wurden SOLL- und geschätzte IST-Zeiten von 2.202 Lehrkräften an Gymnasien und Gesamtschulen (inklusive vergleichbarer Schulformen) auf individueller Ebene bilanziert und aggregiert analysiert. Einschließlich der in analoger Weise auf Schulwochen umgerechneten Arbeiten in Ferienzeiten standen im Jahr 2021 der SOLL-Arbeitszeit von 46 : 48 Stunden:Minuten durchschnittlich 49 : 56 Stunden : Minuten (IST) pro Schulwoche gegenüber. In diesen Wert geht normenkonform die tatsächliche Arbeitszeit (IST) von Vollzeit- und auch Teilzeitkräften anteilig, vergleichbar und normiert auf Vollzeitlehreräquivalente ein (VZLÄ, 100 %) (vergleiche Abbildung 1).

In der Bilanz ergibt dies deutschlandweit eine durchschnittliche geschätzte Mehrarbeit von +3 : 08 Stunden:Minuten. Der Gesamtwert liegt konsistent um circa 30 bis 60 Minuten über früheren Vergleichsstudien (Mußmann und Riethmüller 2014; Mußmann et al. 2016; Mußmann et al. 2020). Der Überschuss muss wohl als Effekt der aktuellen Herausforderungen gewertet werden, ohne dass detailliert zwischen Corona- und Digitalisierungs-Folgen unterschieden werden könnte.

Sechs zentrale Befunde

Die bundesweiten Arbeitszeitdaten bestätigen, dass seit langem bekannte Probleme der Arbeitszeitbelastung von Lehrkräften in den letzten Jahren keineswegs gelöst wurden. Der Forschungsstand lässt sich in sechs zentralen Befunden zusammenfassen:

  1. Deutschlands Lehrkräfte gehören international zur Spitzengruppe bei den verordneten SOLL-Arbeitszeiten:
    Im internationalen Vergleich sind die SOLL- oder Regelarbeitszeiten für Lehrkräfte in Deutschland („Pflichtstunden“) ebenso wie die gesetzlich geltenden Jahresarbeitszeiten seit Jahrzehnten hoch (Mußmann et al. 2020, Seite 81). Werden sie vollständig im Unterricht eingesetzt, sind deutsche Lehrkräfte im Primar- und Sekundarbereich für 717 bis 800 Zeitstunden Unterricht im Jahr verantwortlich, Lehrkräfte im OECD-Durchschnitt für zwischen 667 bis 783 und im EU23-Durchschnitt für zwischen 643 bis 754 Zeitstunden (Stand 2018). Bei den Jahresarbeitszeiten insgesamt fallen für deutsche Lehrkräfte abhängig von der Schulstufe zwischen 155 (OECD) und 250 (EU 23) Zeitstunden pro Jahr mehr an (Spanne zwischen 1.539 Stunden / EU 23 und 1.769 Stunden / Deutschland). Deutsche Lehrkräfte haben also besonders lange SOLL-Vorgaben: sie stehen nicht nur bei den verordneten Unterrichtsverpflichtungen (SOLL), sondern auch bei den verordneten Jahresarbeitszeiten (SOLL) an der Spitze in Europa.
  2. Deutschlands Lehrkräfte erreichen ausgesprochen lange IST-Arbeitszeiten:
    Ausgehend von diesem Spitzenplatz bei den Arbeitszeitvorgaben (SOLL) wundert es nicht, dass deutsche Lehrkräfte auch bei den tatsächlichen Arbeitszeiten (IST) im Durchschnitt ausgesprochen lange Arbeitszeiten erreichen. Lehrkräfte sind aufgrund der hohen Arbeitszeitvorgaben im Deputatssystem gegenüber vergleichbaren Beschäftigten im Öffentlichen Dienst schlechter gestellt, auch wurden Arbeitszeitverkürzungen erst mit Verzögerung realisiert (vergleiche Abbildung 2).
  3. Für die pädagogische Kernaufgabe des Unterrichtens steht immer weniger Zeit zur Verfügung:
    Es wäre falsch, die zeitliche Belastung der Lehrkräfte allein an der Nettounterrichtszeit festzumachen, denn in den letzten sechzig Jahren zeigt sich eine schwerwiegende strukturelle Verschiebung von Unterricht und unterrichtsnaher Lehrarbeit hin zu den außerunterrichtlichen Tätigkeiten. In den Grundschulen reduzierte sich der Anteil reinen Unterrichts von circa 50 Prozent auf heute circa 40 Prozent, in den Gymnasien von circa 40 Prozent auf heute circa 30 Prozent. Gleichzeitig hat sich der außerunterrichtliche Zeitanteil in beiden Schulformen mehr als verdoppelt (vergleiche Abbildung 3). Das professionelle Anforderungsprofil von Lehrkräften hat sich über die Jahrzehnte ebenso schleichend wie nachhaltig verändert, so dass pädagogische Kerntätigkeiten quantitativ immer weniger Raum einnehmen.
  4. Die auf die Schulzeit verdichtete Arbeitszeit birgt aufgrund von Mehrarbeit, Spitzenbelastungen und fehlenden Erholzeiten erhebliche Gesundheitsgefährdungen:
    Der Berufsalltag von Lehrkräften ist gekennzeichnet durch fehlende Erholzeiten an Schultagen (Schulpausen häufig ohne Erholungsmöglichkeiten) beziehungsweise während der Schulwochen (Arbeit an Wochenenden häufig die Regel) und wiederkehrende Phasen mit Spitzenbelastungen. Bei den qualitativen, psychosozialen Belastungsmerkmalen fallen insbesondere hohe emotionale und psychische Beanspruchungen, ein Qualitätsdilemma unter Zeitdruck sowie generell Entgrenzungserfahrungen (beziehungsweise fehlende Work-Life-Balance) auf.
    Auch andere Studien aus den letzten Jahren bestätigen diese Befunde: Nübling et al. (2012) konnten im Rahmen einer landesweiten Gefährdungsbeurteilung in Baden-Württemberg und einer weiteren Erhebung psychosozialer Faktoren bei der Arbeit von Lehrkräften in Nordrhein-Westfalen (Nübling et al. 2018) eine Vielzahl bekannter Befunde replizieren. Zusätzlich zu schon genannten Faktoren fielen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen (leicht) erhöhte Burnout-Werte sowie ein höherer Anteil von Rollenkonflikten auf. Weitere einschlägige Ergebnisse finden sich in einem Gutachten der vbw – Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e. V. (2014) zu psychischen Belastungen und Burnout beim Bildungspersonal.
    In einer Literaturstudie kommen Scheuch et al. (2015) zu dem Ergebnis, dass „psychische und psychosomatische Erkrankungen (...) bei Lehrkräften häufiger vor(kommen) als in anderen Berufen, ebenso unspezifische Beschwerden wie Erschöpfung, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Angespanntheit. Zwar wird bei 3 – 5  Prozent der Lehrkräfte ein Burnout angenommen, allerdings gibt es keine verlässlichen Daten“. (Scheuch et al. 2015, Seite 347)
    Dies bestätigte sich in einer Erhebung 2018: „Teachers are at increased risk of stress-related illnesses and burnout symptoms“ (Seibt und Kreuzfeld 2021, Seite 1). Den wesentlichen Treiber für psychische Gesundheitsgefährdungen stellen die Persönlichkeitsfaktoren „Überengagement“ und die „Unfähigkeit, sich zu erholen“ dar (ebenda). Allerdings ist aufgrund der individuellen Regulationsmöglichkeiten der Lehrkräfte bei der Arbeitszeit der statistische Zusammenhang zwischen der Länge der Arbeitszeit und dem Gesundheitszustand erklärlicherweise nicht sehr stark ausgeprägt (Kreuzfeld et al. 2022; Seibt und Kreuzfeld 2021).
    Den Trend zur Mehrarbeit von Lehrkräften mit Deputatsmodell bestätigt die Schweizer „Arbeitszeiterhebung 2019“ (Brägger 2019). Dabei wird insbesondere der Trend bestätigt, in Teilzeit auszuweichen, wenn Belastungen als zu hoch eingestuft werden. Die Arbeitssituation von Berufsschullehrkräften in Baden-Württemberg hat eine forsa-Studie im Auftrag des Berufsschullehrerverbands Baden-Württemberg (BLV) Anfang 2019 untersucht (forsa 2019, Seite 12 – 15). Herausgestellt wird, dass für 77 Prozent der Berufsschullehrkräfte die außerunterrichtlichen Aufgaben inzwischen zu viel Zeit in Anspruch nehmen und dass darüber hinaus für 79 Prozent der Lehrkräfte die dafür gewährten Anrechnungsstunden etwas (30 Prozent) oder deutlich (49 Prozent) zu niedrig bemessen sind.
  5. Die Komplexität der Einflussfaktoren führt zu einer extremen Streuung der individuellen Arbeitszeiten:
    Die wesentlichen Einflussfaktoren auf die Dauer der Arbeitszeit sind bekannt und grob quantifizierbar. Einen bedeutenden Einfluss in individuell verschiedenen Kombinationen haben sowohl Schulformen, Fächer, Jahrgangsstufen, Klassenstärke, verschiedenste Funktionsaufgaben zum Beispiel in Schulleitungen, als auch Alter, Teilzeittätigkeit, professionelle Einstellungen, Kompetenzen sowie Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM). Es existieren teils extreme Streuungen in der Arbeitszeit zwischen einzelnen Lehrkraftgruppen. Als Folge von Corona und Digitalisierung sind die Bandbreiten noch gewachsen.
  6. Qualitative Beanspruchungen sind unabhängig von der reinen Zeitbelastung ein eigenständiges Gestaltungsfeld:
    Zwar steigen mit der Länge der Arbeitswoche (IST) auch die Beanspruchungen durch die Arbeit, doch die subjektive Bewertung der Arbeitsbedingungen hängt nicht mechanisch von der absoluten Länge der Arbeitszeit ab. Vielmehr entspricht es dem Stand der Diskussion, dass auch die qualitativen Belastungen in  ihrer Vielfalt beachtet und arbeitspolitisch gestaltet werden müssen.
    Bei einer Analyse der Daten der Frankfurter Arbeitszeit- und Arbeitsbelastungsstudie 2020 zeigten sich für alle ­Lehrkräfte besondere Belastungen aus der Zunahme außerunterrichtlicher Aufgaben. Eine große Mehrheit fühlte sich durch das Ausmaß der außerunterrichtlichen Verpflichtungen überfordert, 73 Prozent empfanden es als (eher) stark beanspruchend, dass dadurch ihre Vor- und Nachbereitung des Unterrichts zu knapp war, 63 Prozent dass die Qualität ihres Unterrichts darunter litt. Außerunterrichtliche Tätigkeiten waren neben dem Unterrichten in großen Klassen und höheren Unterrichtsanteilen in höheren Klassenstufen die dritte identifizierte Hauptquelle für eine starke Überschreitung der SOLL-Arbeitszeiten. Konkret kritisierten Frankfurter Lehrkräfte auch die Zunahme von Verwaltungsaufgaben und Dokumentationsverpflichtungen sowie die steigende Zeit für Konferenzen und Sitzungen (Mußmann et al. 2020).

Zukünftige Herausforderungen

Nach dem Ende der Corona-Pandemie wird es ganz wesentlich um die Gestaltung des viel beschworenen „neuen Normals“ an deutschen Schulen gehen. Der Digitalisierungsschub war pandemiegeprägt. Vielfach wurden digitale Lösungen ad hoc und zur kurzfristigen Aufrechterhaltung der Unterrichtsverpflichtung realisiert, folgten aber nicht einer fachlich und partizipativ entwickelten digitalen Schulstrategie oder wohldurchdachten Medienbildungskonzepten. Nicht alles, was zur Realisierung von Homeschooling, Hybrid- und Wechselunterricht sinnvoll war, wird dauerhaft zur digitalen Schulpraxis gehören.

Abbildung 3: Strukturelle Verschiebung von Unterricht hin zu außerunterrichtlichen Tätigkeiten (Expertengremium Arbeitszeitanalyse 2018b) © 2018 Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen

Aber wichtige Erfahrungen mit digitalen Medien und Formen digitalen Lehrens und Lernens liegen vor. An sie gilt es anzuschließen. Soll ein Rückfall in den Status quo ante vermieden werden, geht es zukünftig um (Weiter-)Entwicklung und Etablierung zeitgemäßer professioneller und pädagogisch sinnvoller Formen digital unterstützten Lehrens und Lernens – am besten schulspezifisch.

Zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen im Schulsystem sind Lehrkräfte notwendig, die sich engagiert und mit ausreichenden Zeit- und Handlungsspielräumen versehen den neuen Herausforderungen widmen können. Die Spielräume sind jedoch erkennbar eng oder nicht vorhanden.

Belastbare und konsistente Erkenntnisse zu den Stellgrößen der notwendigen Belastungsreduktion und eine Vielzahl von Maßnahmenempfehlungen liegen vor. Mit Blick auf die bislang nur bundesweit vorliegenden aktuellen Befunde im Rahmen der Studie „Digitalisierung im Schulsystem 2021“ ist es darüber hinaus sinnvoll, durch Sonderauswertungen den spezifischen Merkmalen und Besonderheiten einzelner Bundesländer nachzugehen.

Eine Mehrheit der Lehrkräfte in Deutschland arbeitet seit Jahrzehnten oberhalb arbeitszeitrechtlicher und tariflicher Normvorgaben. Sie leisten Mehrarbeit, sowohl bezogen auf Schulwochen als auch auf Jahresarbeitszeiten. Teilzeitkräfte bringen überproportional hohe Mehrarbeitsanteile ein.

Für die pädagogische Kernaufgabe des Unterrichtens steht immer weniger Zeit zur Verfügung, während außerunterrichtliche Tätigkeiten deutlich mehr Raum einnehmen.

Relevante Teilgruppen hochbelasteter Lehrkräfte verstoßen gegen gesetzliche Arbeitsschutznormen, indem sie regelmäßig mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten. Das hat deutliche Auswirkungen auf das Belastungserleben und verschärft bekannte gesundheitliche Risiken des Berufsstandes.

Kontakt
Dr. Frank Mußmann
Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften, Georg-August-Universität Göttingen