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LSBTI*-Vielfalt kompetent an Schulen bringen

Taten statt Worte

Bei einem Fachgespräch der Landtagsfraktion der Grünen ging es darum, wie die Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ im Bereich der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität praktisch umgesetzt wird.

von links: Dr. Magdalena Steiner (ZSL), Brigitte Lösch (Grüne), Ulrich Klocke (Uni Berlin), Maria Schäfer und Daniela Weber (beide GEW)
Foto: © Ulrike Hallenbach

Die Umsetzung der Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ (BTV) im Unterricht war Anfang März Thema eines Fachgesprächs der Landtagsfraktion der Grünen. Drei Jahre nach Einführung des neuen Bildungsplans ging es darum, wie die Leitperspektive im Bereich der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität praktisch umgesetzt wird.

Expert*innen aus Wissenschaft, Kultusverwaltung, pädagogischer Praxis und dem Landeselternbeirat beleuchteten folgende Fragen:

Was erachtet die aktuelle Forschung für notwendig, damit LSBTI*-Schüler*innen und -Lehrkräfte (LSBTI* bedeutet: lesbisch – schwul – bisexuell – transsexuell und sonstige nicht heterosexuelle Lebensweisen) Schulen als sicheren und persönlichkeitsförderlichen Ort erleben können?

  • Welche didaktischen Materialen ­liegen vor?
  • Welche Rolle spielen Aufklärungsprojekte in den Schulen?
  • Welche Ansätze werden vom Kultusministerium verfolgt?

Die neuen Bildungspläne für die allgemeinbildenden Schulen sind im Schuljahr 2016/17 in Kraft getreten. Im Rahmen der Bildungsplanreform 2016 wurde auf Betreiben der GEW die Leitperspektive BTV als verbindliche Vorgabe für die pädagogische Arbeit an Schulen eingeführt. Ihr Kernanliegen ist es, Respekt, gegenseitige Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheit zu fördern. Schule soll ein Ort von Akzeptanz und Weltoffenheit sein und es jungen Menschen ermöglichen, die eigene Identität zu finden und sich frei und ohne Angst zu entwickeln.

Aktuelle Studien belegen Handlungsbedarf

Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Diskriminierungsschutz von LSBTI*-Schüler*innen. Das sind Kinder und Jugendliche, die verschieden sind in Bezug auf ihr Geschlecht, sich als trans*, inter* beziehungsweise nicht-binär einordnen, oder sich selbst als lesbisch, schwul, bi oder queer bezeichnen. Hinzu kommen die Kinder mit LSBTI*-Eltern.

Der Bildungsforscher Prof. Dr. Ulrich Klocke von der Humboldt Universität Berlin belegte durch aktuelle Studien den Handlungsbedarf: Viele LSBTI*-Schüler*innen fühlten sich in der Schule einsam und bedroht und seien einem signifikant erhöhten Suizidrisiko ausgesetzt. LSBTI*-Lebensweisen blieben unsichtbar: Geoutete LSBTI*-Lehrkräfte oder Mitschüler*innen fehlten und als Unterrichtsthema kämen diese Lebensweisen selten vor. Dadurch seien Wissen und Empathie gering. Abwertungen und Schimpfwörter blieben oft unerkannt oder unwidersprochen.

Deutlich besser aber sei die Situation an Schulen mit inklusivem Anti-Mobbing-Leitbild, an denen viele Lehrkräfte zum Thema fortgebildet und sensibilisiert seien und wo das Thema verbindlich im Unterricht behandelt werde. Kontaktpersonen für Vielfalt an der Schule, persönlicher Kontakt zu LSBTI*-Personen im schulischen Kontext und kompetente Intervention bei Diskriminierung sowie das Hinterfragen von Geschlechtsrollenstereotypen seien gute Voraussetzungen dafür, ein wertschätzendes Umfeld für LSBTI*-Schüler*innen zu schaffen.

Für Baden-Württemberg als Bundesland mit traditioneller und religiöser Prägung gab Klocke folgende Ratschläge:

  • Die Forschung zeige, dass bei religiösen Menschen der Kontakt mit LSBTI* besonders wichtig für deren Akzeptanz sei. Indirekter Kontakt sei auch wirksam, zum Beispiel wenn eine Lehrkraft von ihren LSBTI*-Freund*innen erzähle.
  • Durch Fortbildung müsse Lehrkräften konkret vermittelt werden, wie LSBTI*­-Themen in den Unterricht eingebunden werden könnten.
  • Die Thematisierung von LSBTI*-Lebensweisen müsse obligatorisch sein. Das verhindere, was viele Anwesende als Problem nannten: Wenn Lehrkräfte verschiedene Diskriminierungsmerk­male zur Umsetzung von BTV zur Auswahl hätten, wählten sie in der Regel nicht sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität. Denn dazu fühlten sie sich oft nicht in der Lage und auch nicht durch die Haltung des Kultusministeriums (KM) ermuntert.

Für die GEW formulierten Daniela Weber und Maria Schäfer die Forderungen an das Kultusministerium: Die GEW begrüße einerseits, dass es zu den anderen fünf Leitperspektiven Beauftragte und Arbeitsgruppen, Homepages, Handreichungen und Fortbildungen gebe, beklagte aber, dass für BTV niemand explizit zuständig sei. Wenn „alle ein bisschen zuständig seien“, würde das Thema immer „hinten runter kippen“. Es gebe bisher fast keine Fortbildungen, keine Handreichungen, die sich dem Thema sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität widmen. Oft würden LSBTI*-Themen allenfalls am Rande erwähnt, wie zum Beispiel im Leitfaden Demokratiebildung des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL). Sie seien außerdem kaum in Beispielcurricula vertreten. In der Broschüre „Stark-stärker-wir“ zur Gewalt- und Mobbingprävention fänden LSBTI* keine Erwähnung, obwohl dies wesentliche Diskriminierungsgründe an Schulen seien.

Ideen, Materalien und Kontakte:

„Schwule Sau darf nicht länger eines der häufigsten Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen sein“, sagte Daniela Weber. „Wir brauchen dringend Lehrkräfte, die das Thema LSBTI*-Lebensweisen kompetent behandeln können – und zwar in allen Fächern.“ LSBTI* sei auch für Lehrkräfte ein schwieriges Thema, zu dem sie ermutigt und verpflichtet werden müssten.

Maria Schäfer kritisierte, dass BTV nicht für die beruflichen Schulen gelte. „Auch diese Schüler*innen haben Anspruch auf eine diskriminierungsfreie, sichere Umgebung!“

Einig waren sich alle Expert*innen beim Fachgespräch, dass den Peer-to-Peer-Schul-Aufklärungsprojekten eine zentrale Bedeutung in der Umsetzung von BTV zukommt. Bastienne Pletat von der Regenbogen.Bildung.Stuttgart, und Andrea Lang von PLUS, Psychologische Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar, erläuterten das Konzept: Oftmals junge, geschulte LSBTI*-Personen gehen in Klassen und informieren über die verschiedenen Lebensweisen. Die persönliche Begegnung mit LSBTI*-Menschen zeigt deren „Normalität“, schafft Empathie und baut Vorurteile ab. Bewährte Übungen zur Reflektion von tradierten Geschlechternormen und zur Intervention im Diskriminierungsfall erhöhen das Wissen und bringen die Schüler*innen zum Nachdenken. So erfüllen Schulprojekte alle Aspekte, die wissenschaftliche Studien für eine erfolgreiche Antidiskriminierungsarbeit fordern.

Auch FLUSS e. V. in Freiburg bietet Schul-Aufklärungsprojekte an. Aber in großen Teilen des Landes gibt es keinerlei Angebote. Deshalb wurden deren flächen­deckende Ausweitung und vor allem eine institutionelle Förderung durch die Kultusbehörde als dringender Wunsch an die Politik formuliert.

Wie fördert das Kultusministerium diese Umsetzung von BTV in den Schulen? Dazu referierte Dr. Magdalena Steiner, Referatsleiterin für Bildungsplanarbeit und Schulbuchzulassung im ZSL. Sie stellte dar, welche Aspekte in die Zuständigkeiten des ZSL fallen. Die Verankerung der Inhalte in der Lehrer*innenaus- und Weiterbildung sei gar nicht explizit vorgesehen, weil die Leitperspektiven fachübergreifend angelegt seien. Sie kämen ja in der Ausbildung und in jeder Fachfortbildung implizit vor. Auch die Schulungen zum Bildungsplan seien fachspezifisch erfolgt. Sie deutete an, dass diese Praxis überdacht werden könne.

Zur Umsetzung im Unterricht führte Steiner Material-Beispiele aus Ethik an. Auf die Frage, ob das Kultusministerium den weiteren Ausbau des Ethikunterrichts forciere, einem der wenigen Fächer, in denen LSBTI* explizit im Bildungsplan stehe, ging sie nicht ein.

Die Handreichung für Schulpsycholog*innen und Beratungslehrer*innen könne zu Beginn des kommenden Schuljahres erscheinen. Sie wertete das Fachgespräch als erwünschte Möglichkeit für das Kultusministerium, Impulse aus Wissenschaft und Praxis aufzunehmen.

Kontakt
Manuela Reichle
Referentin für Hochschule und Forschung und für Frauen-, Geschlechter- und Gleichstellungspolitik
Telefon:  0711 21030-24