Veranstaltungen im Wahlkampf
Umgang mit der AfD an Schulen
Der Bundestagswahlkampf nimmt langsam Fahrt auf. An Schulen und in Medien wird auch über den Umgang mit der AfD diskutiert. Bei der Planung von Podiumsdiskussionen an Schulen gibt es Klärungsbedarf. Die GEW klärt den rechtlichen Rahmen.
Es gibt viele unterschiedliche Meinungen zum Umgang mit der AfD. Es gibt aber eine klare Rechtslage. Die Grundrechte und die Meinungs- und Koalitionsfreiheit gelten für alle. Die Frage ob AfD-Vertreter*innen zu Podiumsdiskussionen eingeladen werden müssen, ist einfach zu beantworten: Nein. Aber sie können eingeladen werden.
Was die Schülermitverantwortung (SMV), auch Schülervertretung genannt, anbetrifft, so gilt (gestützt auf § 14 der SMV-Verordnung): Wenn die SMV an einer Schule eine Podiumsdiskussion plant, entscheidet sie zunächst selbstständig, wen sie einlädt oder nicht. Es gibt weder eine Verpflichtung, alle zur Wahl stehenden Parteien einzuladen, noch gibt es ein Verbot, AfD-Vertreter*innen einzuladen. Es gibt nur ein Verbot von strafwürdigen Äußerungen oder strafwürdigen Symbolen (Hakenkreuze, Hitlergruß und so weiter).
Gemäß § 7 der SMV-Verordnung müssen Veranstaltungen der SMV „allen zugänglich sein und dürfen nicht einseitig den Zielsetzungen bestimmter politischer, konfessioneller oder weltanschaulicher Gruppen dienen“. Das heißt nicht, dass immer alle Parteien eingeladen werden müssen. Eine Veranstaltung ist bereits nicht „einseitig“, wenn mehr als eine Partei vertreten ist. Die SMV könnte mit guten Gründen eine Podiumsdiskussion nur mit Kleinstgruppierungen wie der Klimapartei, Volt und der Partei für Gesundheitsforschung machen. Denn welche Partei wahlrelevant, gesellschaftsrelevant oder repräsentativ ist, hat nicht die Schule zu definieren. Das machen die Wähler*innen.
Ein Kommentar von Michael Rux
Immer wieder wird behauptet, dass die Schule „neutral“ sein müsse. Die Schulen oder auch die einzelnen Lehrkräfte dürften in politischen oder sonstigen „heiklen“ Fragen (zum Beispiel Sexualität) keine Stellung beziehen. Weder dürften sie eine Partei wie die AfD kritisieren noch Klima-Demonstrant*innen loben.
Das stimmt nur insofern, als Lehrkräfte ihre Schüler*innen nicht indoktrinieren dürfen. Das ist klar und deutlich im „Beutelsbacher Konsens“ niedergelegt. Zu dessen Grundsätzen zählt das Überwältigungsverbot. Es ist nicht erlaubt, die Schüler*innen „im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern“. Zudem müsse, „was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, […] auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ (Kontroversitätsgebot). Mehr dazu steht im GEW-Jahrbuch in den Beiträgen „Lernmittel (Zulassung)“ sowie „Wahlkampf und Schule“.
Die Schulen haben einen klaren, durch die Verfassung und das Schulgesetz definierten Auftrag: Sie haben die jungen Menschen unter anderem „zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen“. Gefordert ist nicht blasse, inhaltslose „Neutralität“, sondern ein klares Bekenntnis zu den tragenden Werten des demokratischen und sozialen Rechtsstaates. Das wird im Jahrbuch-Beitrag „Erziehungsauftrag und politische Bildung“ näher ausgeführt.
Deshalb dürfen die Lehrkräfte, solange sie Sachverhalte im Unterricht sachlich behandeln und Kontroverses benennen, selbstverständlich ihre eigene, private Meinung erkennbar werden lassen. Sonst wären sie persönlich nicht glaubwürdig und taugten nicht als Vorbilder bei der Erziehung der jungen Menschen zur Mündigkeit und Selbstverantwortung. Und deshalb dürfen sich Lehrkräfte auch sachlich und kritisch zu politischen Fragen äußern, auch zu einer Partei wie der AfD.
In einem Schreiben an die Schulleitungen vom 21. März 2024 stellte das Kultusministerium (KM) vor den Wahlkämpfen klar: „Die Schülermitverantwortung (SMV) kann außerhalb, aber auch während der Karenzzeit (das sind die letzten acht Wochen vor Wahlen) öffentliche Diskussionsveranstaltungen mit den Kandidaten der Parteien durchführen. Angesichts der Vielzahl der zu den Wahlen zugelassenen Parteien ist es nicht erforderlich, dass bei jeder Veranstaltung grundsätzlich alle in Betracht kommenden politischen Parteien (bzw. deren Jugendorganisationen) berücksichtigt werden. Sofern bei der Einladung der Kandidatinnen und Kandidaten eine Auswahl getroffen werden muss, hat sich diese an der ‚Bedeutung‘ ihrer Partei zu orientieren.
Entscheidend für die Bedeutung einer Partei in diesem Sinne sind nach der Rechtsprechung:
- die Ergebnisse ‚vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen‘,
- die aktuellen Prognosen beziehungsweise die damit verbundenen konkreten Aussichten für die Wahlen.
Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass diese Kriterien nicht nur die bereits im Parlament vertretenen Parteien erfüllen können.“
Ein Kommentar von von Inge Goerlich und Michael Rux
Noch ist die AfD nicht verboten. Abgeordnete dieser Partei sitzen im Bundestag und in Landtagen, auch in Baden-Württemberg.
Die Gegendemos haben der AfD möglicherweise mehr genützt als geschadet, denn sie werden von den Rechtsradikalen als Beleg dafür missbraucht, dass die Mehrheitsgesellschaft oder die „Altparteien“ rechte Meinungen unterdrückten.
Wir leben in einer Demokratie, in der gleiches Recht für alle gilt – solange sie sich an dieses Recht halten, ob uns deren Weltanschauung passt oder nicht. Wir finden die folgenden Sätze aus der KM-Bekanntmachung richtig und wichtig: „Schülerinnen und Schüler müssen sich ein selbstständiges Urteil bilden können. Und dazu zählt auch, unterschiedliche Meinungen zuzulassen, sofern sich diese im Rahmen unserer Verfassung bewegen.“ Wer sich auf einer Podiumsveranstaltung verfassungswidrig äußert, kann von der Schulleitung, die das Hausrecht hat, des Raumes verwiesen und übrigens auch postwendend angezeigt werden. Das wäre doch wunderbares praktisches Lernen!
In der Vorbereitung und im Nachgang zu einer Podiumsdiskussion könnte man bildungsplankonform mit den Schüler*innen das Thema vertiefen. Das ist hundert Mal besser als jedes Verbot. Beispielsweise könnte man gemeinsam mit den Schüler*innen die Programme der AfD und anderer Parteien analysieren. Wenn die Schüler*innen dann lernten, warum die AfD gegen das Wahlrecht ab 16 Jahren ist, wer von Steuern verschont werden oder wer noch anständige Bildung bekommen würde, dass die AfD das Bürgergeld kürzen will und was mit unseren Amazon-Lieferanten und Footlocker-Verkäufer*innen passieren würde, wenn es nach der AfD ginge – all das könnte bei vielen Jugendliche zu wichtigen Einsichten führen.
Und es gibt die – leider viel zu wenig genutzte – Möglichkeit, Sachverhalte im Rahmen der pädagogischen Freiheit im Unterricht zu behandeln. Selbst im Fach Physik könnte man am Beispiel des Einstein-Zitats „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher“ darstellen, dass die Wissenschaft, anders als die Mythologie der Rechten, keine absoluten Wahrheiten kennt.
Unter bestimmten Umständen muss die Schulleitung der Schulveranstaltung unter Angabe von Gründen widersprechen. Das gilt, wenn:
- Inhalt und Ziel der Veranstaltung gegen die bestehende Rechtsordnung gerichtet sind,
- die Veranstaltung mit einer besonderen Gefahr für die Schüler*innen verbunden ist,
- eine schwere Beeinträchtigung der Aufgaben der Schule oder eine unzumutbare Belastung des Schulträgers zu befürchten ist,
- für hinreichende Aufsicht nicht gesorgt werden kann,
- eine ordnungsgemäße Finanzierung nicht gesichert erscheint.
Daraus lässt sich ableiten: Die Tatsache, dass ein AfD-Mitglied auf dem Podium sitzt, kann und darf für eine Absage der Veranstaltung oder das Ausladen einer Person nicht ausreichen.
Eine Schulleitung kann auch nicht argumentieren, dass sie die Schüler*innen vor Aussagen der AfD schützen müsse. Das käme einer Überwältigung gleich, die nach dem Beutelsbacher Konsens nicht vorkommen soll. Dazu führt das KM in seinem Brief an die Schulleitungen aus: „Ganz wesentlicher Teil der politischen Bildung in der Schule ist auch, dass Themen, die in unserer Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, im Unterricht kontrovers dargestellt werden. Schülerinnen und Schüler müssen sich ein selbstständiges Urteil bilden können. Und dazu zählt auch, unterschiedliche Meinungen zuzulassen, sofern sich diese im Rahmen unserer Verfassung bewegen.“