Zum Inhalt springen

Mangel an Fachkräften

Untaugliche Maßnahmen, um Lehrkräfte zu gewinnen

Den Vorstoß von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, beamtete Teilzeitkräfte länger arbeiten zu lassen, und das Vorhaben des Kultusministeriums, die Unterrichtszeit der Lehramtsanwärter*innen zu erhöhen, lehnt die GEW eindeutig ab.

Teenager lehnt erschöpft an einem Bücherstapel
Foto: imago

„Die Erhöhung der Arbeitszeit bei den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst ist falsch und schäbig. Falsch, weil das die Ausbildung verschlechtert und weil noch weniger junge Lehrer*innen ihre Ausbildung in Baden-Württemberg erfolgreich abschließen werden. Schäbig, weil man ausgerechnet die überlastet, die sich am wenigsten wehren können.“ (Michael Hirn, stellvertretender GEW-Landesvorsitzender)

Das Kultusministerium erhöht die Unterrichtsverpflichtung für Lehramtsanwärter*innen und Referendar*innen um eine Stunde. Ziel ist, die Unterrichtsversorgung an Schulen zu verbessern. Vermutlich wird die Erhöhung für den Kurs gelten, der ab Februar 2023 mit dem Vorbereitungsdienst beginnt und den selbstständigen Unterricht ab Schuljahres­beginn 2023/2024 halten wird. Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) soll ein Konzept entwickeln, das die Anwärter*innen an anderer Stelle entlastet.

Die Ausbildungsinhalte haben in den letzten Jahren stetig zugenommen. Digitale Medien, Umgang mit Heterogenität, Inklusion, Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache, viele fachübergreifende Themen wie Demokratiebildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, sexuelle Vielfalt und vieles andere mehr sind wichtiger geworden. Worauf soll verzichtet werden?

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erinnert daran, dass vor einigen Jahren die ehemalige Kultusministerin Susanne Eisenmann Wissenschaftsministerin Theresia Bauer kritisierte, weil es in den Lehramtsstudiengängen zu viele Studienabbrecher*innen gebe. Damals wurde vereinbart, dies in einer Studie zu untersuchen und nach Wegen zu suchen, wie mehr Studierende zum Abschluss und in den Lehrkräfteberuf geführt werden können. „Auf das Ergebnis dieser Studie warten wir immer noch. Auch zwischen Studienabschluss und dem Ende des Referendariats und beim Berufseinstieg gehen uns zu viele angehende pädagogische Profis verloren. Mit einer Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung verschärft das Kultusministerium den Mangel, statt ihn zu verringern. Jetzt soll das ZSL mit schlechteren Rahmenbedingungen eine bessere Lehrerausbildung organisieren? Es gibt keine Konzepte der grün-schwarzen Landesregierung in der Bildungspolitik und zum Fachkräftemangel, stattdessen nur Vorhaben, die kopf- und hilflos wirken“, sagte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein.

Auch der stellvertretende Landesvorsitzende Michael Hirn macht deutlich: „Die Erhöhung der Arbeitszeit bei den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst ist falsch und schäbig. Falsch, weil das die Ausbildung verschlechtert und weil noch weniger junge Lehrer*innen ihre Ausbildung in Baden-Württemberg erfolgreich abschließen werden. Schäbig, weil man ausgerechnet die überlastet, die sich am wenigsten wehren können. So handelt keine Landesregierung, die den Schulen helfen will.“

Teilzeit erhöhen löst die Probleme nicht

Bei der Unterrichtsversorgung klemmt es schon lange an allen Ecken und Enden. Um die Folgen der Pandemie aufzuarbeiten oder pädagogische Reformen umzusetzen, arbeiten die Bildungseinrichtungen längst am Limit. „Vielleicht müssen wir auch mehr arbeiten“, dachte Kretschmann Ende April laut bei einer Podiumsdiskussion der „Stuttgarter Zeitung“ nach. Viele Lehrkräfte seien Frauen und viele von ihnen arbeiteten in Teilzeit. „Wenn die alle eine Stunde mehr arbeiten würden, eine Stunde, hätte ich 1.000 Lehrer mehr, die ich dringend brauche“, erklärte Kretschmann. Einen Seitenhieb auf die Gewerkschaften hatte er auch parat. Diese sollen in dieser besonderen Situation nicht ihr „übliches Latein“ abspulen. Einen Tag später relativierte der Regierungschef zwar seine Aussage, in der Sache ändert sich wohl nichts. Die grün-schwarze Landesregierung prüft seinen Angaben zufolge, ob die Mindestarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte in Teilzeit erhöht werden kann.

Ein Blick auf die bestehenden Teilzeitregelungen lohnt sich, um die aktuellen Diskussionen bewerten zu können. Teilzeitbeschäftigung – besonders aus familiären Gründen (Kinder unter 18 und Pflege) – ist in § 69 Landesbeamtengesetz geregelt und somit zulässig. Eine Reduzierung bis auf ein halbes Deputat ist, sofern zwingende dienstliche Belange dem nicht entgegenstehen, zu genehmigen. Die Anforderungen an „zwingende dienstliche Belange“ sind so hoch, dass aktuell kein Antrag abgelehnt wird. Eine weitere Reduzierung auf bis zu 25 Prozent kann genehmigt werden, wenn dienstliche Gründe dem nicht entgegenstehen. Während der Elternzeit kann ebenfalls Teilzeit mit mindestens 25 Prozent genehmigt werden, wenn es im Interesse des Dienstherrn liegt. Sonstige, nicht familiäre begründete Teilzeit kann im Umfang von 50 bis 100 Prozent, soweit dienstliche Gründe nicht entgegenstehen, bewilligt werden. Bei Arbeitnehmer*innen ist im Prinzip jede Arbeitszeit zwischen einer Stunde und Vollzeit möglich.

„Die Studien belegen auch, dass eine Entlastung durch Teilzeitarbeit weniger stark ausfällt als erhofft. Relativ zum Deputat arbeiten Teilzeitbeschäftigte mehr als Vollzeitbeschäftigte.“

Die Möglichkeit zur unterhälftigen Teilzeit wurde eingeführt, weil man den Lehrkräfteberuf zeitlich flexibler und damit attraktiver machen wollte. Diese Regelung zu kippen und die Beschäftigten zu höheren Arbeitszeiten zu zwingen, wäre eine Rolle rückwärts und könnte dazu führen, dass sich die Lehrkräfte ganz beurlauben lassen beziehungsweise die Elternzeit voll ausschöpfen. Personalräte berichten, dass unterhälftige Teilzeit schon jetzt nicht immer genehmigt wird, und es – wenn auch nur in einzelnen Schularten – zu einer Ablehnung kommen kann.

Zu bedenken ist auch, dass viele Kolleg*innen ihre Arbeitszeit deswegen senken, weil sie ein volles Deputat als belastend erleben. Das haben nicht zuletzt Arbeitszeitstudien der GEW bestätigt. Die Studien belegen auch, dass eine Entlastung durch Teilzeitarbeit weniger stark ausfällt als erhofft. Relativ zum Deputat arbeiten Teilzeitbeschäftigte mehr als Vollzeitbeschäftigte. Jetzt mit einer strengen Auslegung der bestehenden Regeln zu drohen oder sie gar zu verschärfen, wird dem Engagement der Teilzeitbeschäftigten nicht gerecht. Waltraud Kommerell, erfahrene Personalrätin, sagt: „Ich glaube nicht, dass Lehrkräfte dazu gebracht werden müssen, sich für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen zu engagieren. Das tun sie schon jetzt weit über das hinaus, was man nach Corona erwarten kann. Mit Regulierungen vergrault und demotiviert man sie eher.“

Vorschläge der GEW liegen vor

Seit 2018 schlummern Vorschläge der GEW zur Lehrkräftegewinnung in den Schubladen des Kultusministeriums. 2017 und 2018 lagen die Lehrkräftebedarfsprognosen für Grundschulen und alle Schularten der Sekundarstufe I vor und wurden seither von der Landesregierung weitgehend ignoriert. „Viele Lehrkräfte arbeiten aus guten Gründen in Teilzeit. Wenn Winfried Kretschmann jahrelang Vorschläge zur Lehrkräftegewinnung unbeachtet lässt, und dann in einer Zeit, in der alle Beschäftigten in Bildungseinrichtungen völlig am Limit sind, über Mehrarbeit nachdenkt, kennt er den Alltag der Lehrkräfte nicht“, sagte die Landesvorsitzende Monika Stein.

Die Erhöhung der Stunden von Lehrkräften in Teilzeit war schon unter Kultusministerin Susanne Eisenmann mit wenig Erfolg versucht worden. Die GEW schlägt stattdessen unter anderem vor, durch eine wesentlich höhere Altersermäßigung zu erreichen, dass Lehrkräfte ein oder mehrere Jahre später in den Ruhestand gehen können. Das würde schnell zu deutlich mehr Stunden an den Schulen führen. Auch ein anderer Umgang mit befristet eingestellten Lehrkräften würde dazu führen, dass die eingearbeiteten Kolleg*innen den Schulen nicht wieder verloren gehen. Mit Qualifizierungsmaßnahmen könnten sie auf Dauer eingestellt werden. Sie in den Sommerferien zu entlassen, damit sie in der Zeit nicht bezahlt werden müssen, ist unwürdig.

Da die Landesregierung nicht genug junge Lehrer*innen ausbildet, fehlen Bewerber*innen. Für diese freien Stellen werden Vertretungslehrer*innen eingesetzt. So ist die ständige Vertretungsreserve schon zu Beginn des Schuljahrs aufgebraucht. Die GEW setzt sich bereits seit Jahren dafür ein, dass die Landesregierung über eine mittel- und langfristige Lehrkräftebedarfsplanung, die auch künftige Bedarfe für pädagogische Reformen beinhaltet, dafür sorgt, dass Schulen solide Bildung gestalten können.

Kontakt
Martin Schommer
GEW Referent für Tarif- und Beamtenpolitik