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Tarifrunde der Länder

Verteilungskonflikt in einer auslaufenden Pandemie steht bevor

Die Tarifrunde bei den Ländern im Herbst dürfte zu einem harten Verteilungskampf werden. Dann wird sich zeigen, ob eine dauerhafte Aufwertung des öffentlichen Diensts gelingen kann. Die Gewerkschaften bereiten sich auf eine besondere Tarifrunde vor.

Nur streitbare und streikbereite Gewerkschaften können am Verhandlungstisch Erfolge erzielen (©iStock)i
Nur streitbare und streikbereite Gewerkschaften können am Verhandlungstisch Erfolge erzielen (©iStock)

Die Pandemie hat viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme und einen allgemeinen Modernisierungsbedarf der öffentlichen Infrastruktur und der Wirtschaft offengelegt. Um die Lösung dieser Probleme und den richtigen Modernisierungsweg wird sich ein veritabler Verteilungskonflikt entfalten, umso mehr die Pandemie in den nächsten Monaten hoffentlich ihrem Ende zuläuft.

Offenkundig ist, dass die Pandemie enorme Kosten für den Fiskus und die Sozialkassen verursacht. Ausbleibende Steuer- und Sozialabgaben und hohe Ausgaben um Wirtschaft und Bürger*innen zu helfen, haben zum höchsten Anstieg der Staatsverschuldung seit der Wiedervereinigung geführt. Der Bundesfinanzminister bezeichnet diese Schulden zwar noch für schulterbar, dennoch wird sich die Frage stellen, wer sie zurückzahlen soll. Dies wird umstritten sein, ebenso die Frage, wie die Modernisierung aussehen soll. Notwendig wären Sozial- und Wirtschaftsreformen, die die weit auseinanderklaffende soziale Schere schließen, Armut bekämpfen und endlich Bildungschancen für alle gewährleisten. Dass solche Reformen kommen, ist längst nicht ausgemacht.

Entscheiden werden hier die großen Konflikte in der Steuer-, ­Sozial- und Bildungspolitik, die die kommenden Wahlen prägen. Aber auch der Ausgang vieler kleiner Verteilungskonflikte und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen fallen in die Waagschale. Hierzu zählt die im Herbst anstehende Tarifrunde der Länder, in der es um die Gehälter von mehr als zwei Millionen Kolleg*innen geht. In der Tarifrunde selbst wird zwar „nur“ über den Gehaltsanstieg der mehr als einer Millionen Tarifbeschäftigten der Länder verhandelt, aber letztlich gibt der Tarifabschluss auch die Vorlage für die Besoldungserhöhung von circa 1,3 Millionen Beamt*innen. Es ist zu erwarten, dass dann das hohe Lied der Politik auf den öffentlichen Dienst nicht mehr gesungen, sondern eher ein Klagelied angestimmt wird. Die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) wird auf ihre enormen finanziellen Kraftanstrengungen in der Pandemie und dadurch bedingte leere Kasse verweisen und einer Nullrunde das Wort reden. Die Gewerkschaften sollten sich da­rauf einstellen. Ihre Argumente sind stark.

Ökonomische Eckdaten und Staatsfinanzen

Die im Frühjahr vorgelegten Wirtschaftsprognosen rechnen mit einer schnellen wirtschaftlichen Erholung und damit steigenden Steuereinnahmen. Trotz des verlängerten Lockdowns und des schleppenden Starts des Impfprogramms erwartet das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung(IMK) in seiner Ende März vorgelegten Studie für die deutsche Wirtschaft für 2021 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 4,9 Prozent und 2022 um 4,2 Prozent. In einer Gemeinschafts­diagnose anderer führender deutscher Forschungsinstitute wird für 2021 ein Wachstum von 3,7 Prozent und für 2022 von 4,0 Prozent prognostiziert. Die Bundesregierung war Ende April etwas verhaltener, erwartet aber für 2021 einen Anstieg von 3,5 Prozent und für 2022 von 3,6 Prozent. Für die Verbraucherpreise rechnet das IMK mit einem Preisanstieg von 1,7 Prozent in 2021 und für 2022 mit 1,5 Prozent. Die Gemeinschaftsdiagnose prognostiziert für 2021 einen Anstieg von 2,2 Prozent und für 2022 von 1,6 Prozent.

Im Zuge des Aufschwungs sollten sich ­die Staatsfinanzen erholen. Das IMK rechnet für 2021 zwar noch mit einem staatlichen Budgetdefizit von 3,8 Prozent. In den nächsten beiden Jahren konnte es dann aber deutlich fallen. Nach IMK-Berechnungen sollte es 2023 nur noch 1,3 Prozent des BIP betragen und damit wieder deutlich unterhalb des von der EU erlaubten Defizits von 3,0 Prozent liegen. Durch eine Reform wie der Vermögenssteuer, einer höheren Besteuerung von Spitzeneinkommen (weit oberhalb der Gehaltstabellen im öffentlichen Dienst), einer besseren Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerflucht ließe sich zusätzlich die Einnahmeseite des Staats stärken.

Starker öffentlicher Dienst braucht gute Gehälter

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind den Gewerkschaften also wohlgesonnener, als die Diskussionen um die ökonomischen Folgen der Pandemie häufig vermuten lassen. Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Die Pandemie hat etwa für viele Einzelhändler*innen, Künstler*innen sowie andere Berufe und Wirtschaftszweige dramatische Folgen, die jede kluge staatliche Unterstützung rechtfertigen. Auf der volkswirtschaftlichen Ebene sieht das Bild dagegen beherrschbarer aus. Die Erholung der Wirtschaft und damit der Staatsfinanzen wird Spielräume für die Stärkung des öffentlichen Dienstes schaffen. Wenn die Gewerkschaften und die Beschäftigten in der Tarifrunde für Gehaltserhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, streiten sie dafür, dass die Arbeit an den Schulen und Hochschulen und in den anderen Landeseinrichtungen aufgewertet und attraktiver wird und helfen damit den öffentlichen Dienst zu verbessern.

Die Länderrunde wird daher mehr sein als eine einfache Tarifrunde. Ihr Ausgang wird eine Signalwirkung haben. Eine gute Lohnerhöhung und weitere Verbesserungen wie beispielsweise bei der Eingruppierung der tarifbeschäftigten Lehrkräfte oder einer wirksamen Beschränkung der Befristungen an den Schulen und Hochschulen würde dafür stehen, dass die Politik die Lehren aus der Pandemie gezogen hat und ernst macht mit der Stärkung des öffentlichen Dienstes.

Logik der Tarifrunden im öffentlichen Dienst hilft nicht weiter

Damit dies gelingt, muss den Gewerkschaften auch eine Umkehr der eingespielten Logik der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gelingen. Seit dem Ende des für den gesamten öffentlichen Dienst geltenden Bundesangestelltentarifs (BAT) und seiner Ablösung durch den Tarifvertrag für die Kommunen und den Bund (TVöD) sowie den Tarifvertrag für die Länder (TV-L) Mitte der 2000er-Jahre war der TVöD die Lokomotive im Tarifgeschehen des öffentlichen Dienstes. Im TVöD erkämpften die Beschäftigten der Kommunen und des Bundes seit 2010 gute Tariferhöhungen, die als Vorlage für die Länderrunde galten. Das ist jetzt anders. Im letzten Jahr konnten die Gewerkschaften in der ­TVöD-Runde nur eine geringe Lohnerhöhung – plus 1,4 ­Prozent zum 1. April 2021 und 1,8 Prozent zum 1. April 2022 erreichen. Angesichts der Lage im Herbst 2020 und der völligen Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung war dieser Abschluss zwar für die Gewerkschaften respektabel. Mit Blick auf die Wirtschaftsprognosen und die zu erwartende Erholung der Staatsfinanzen kann der Abschluss aber kein Vorbild für die Tarifrunde bei den Ländern sein. Die Gewerkschaften und die Beschäftigten müssen jetzt mehr erreichen als in der TVöD-Runde möglich war. Mit einem guten Abschluss helfen die Landesbeschäftigten sich selber, geben aber auch einen Impuls für die nächste Tarifrunde bei den Kommunen. Frei nach dem Motto – Mein guter Abschluss wird dir einen guten Abschluss bringen.

Ob es den Tarifbeschäftigten der Länder gelingt, im Verteilungskampf ein gutes Stück des Kuchens zu bekommen und damit zur dringenden Aufwertung des öffentlichen Dienst beitragen zu können, wird der Herbst zeigen. Die GEW bereitet sich gemeinsam mit ihren Schwestergewerkschaften im DGB in den nächsten Monaten auf die Tarifauseinandersetzung vor. Denn das Tarifhandwerk lehrt: nur streitbare und streikbereite Gewerkschaften können am Verhandlungstisch Erfolge erzielen.

Tarifverträge lohnen sich

Tarifverträge lohnen sich. An der Gehaltsentwicklung der letzten Jahre wird das deutlich. Ohne Tariferhöhungen hätten die tarifbeschäftigten Arbeitnehmer*innen in Deutschland zwischen 2007 und 2018 aufgrund der Teuerungsrate circa 14 Prozent an Kaufkraft verloren. Den regelmäßigen Tariferhöhungen ist es zu verdanken, dass die tatsächliche Kaufkraft im gleichen Zeitraum jedoch um circa 14 Prozent gestiegen ist. Durch die Übertragung der Abschlüsse auf die Beamtinnen und Beamten, profitieren auch sie von den Entgelt­erhöhungen. Jeder kann sich leicht ausrechnen, was es für das Monatsbudget bedeuten würde, wenn heute circa ein Viertel des Einkommens fehlen würde.

Tarifverträge machen einen Unterschied. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte in Betrieben ohne Tarifvertrag im Durchschnitt länger arbeiten und weniger verdienen als Beschäftigte mit Tarifbindung. In Baden-Württemberg beträgt der Unterschied bei der Arbeitszeit 79 Minuten in der Woche, bei der Vergütung beträgt der Unterschied 21,5 Prozent insgesamt. Bereinigt man den Vergleich um Struktureffekte (Betriebsgröße, Branche), dann beträgt der Unterschied bei der Vergütung immer noch 12,1 Prozent.

Vorbereitungen laufen auf Hochtouren

Bereits im März hat der Landesvorstand eine Landesarbeitskampfleitung eingesetzt. Dort wurden Aktionsideen beraten. Im April fanden zwei Online-Mitgliederversammlungen statt. Vertrauensleute der SBBZ treffen sich im Mai. Im Juni sind weitere Mitgliederversammlungen und eine Veranstaltung speziell für Beamt*innen geplant. Beschäftigte an Hochschulen können sich im Juli einbringen. Bis August wird die GEW Baden-Württemberg eine gute Basis haben, um ihre Mitgliederinteressen in die bundesweite Tarifkommission einzubringen, die dann die Forderung der GEW in der Tarifrunde beschließt.

Kontakt
Martin Schommer
Referent für Tarif-, Beamten- und Sozialpolitik
Telefon:  0711 21030-12