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Wandel durch Annäherung

Die Schüler/innen der ersten Gemeinschaftsschulen kommen im nächsten Schuljahr in die 8. Klasse. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, ihnen einen Weg zum Abitur zu ebnen. Zwei Schulen haben dafür ein pragmatisches Konzept entwickelt.

„Bei uns gehen die Uhren anders“, stellt Erich Ege gleich am Anfang klar. Der Gemeinderat von Donzdorf mit CDU-Mehrheit habe seine Gemeinschaftsschule und den Umbau mit Mensa einstimmig beschlossen. In der kleinen Stadt im Lautertal, nur rund 12 Kilometer von der Kreisstadt Göppingen entfernt, scheinen viele an einem Strang zu ziehen. Heraus kam ein kooperatives Bildungszentrum Donzdorf mit einer Einführungsstufe im Gymnasium, ein Modell, das Schüler/innen aus der Gemeinschaftsschule den Weg zum Abitur ermöglichen soll.


An einem Strang ziehen auf jeden Fall die beiden Schulleiter Erich Ege und Franz Fischer. Ege leitet die Messelbergschule, eine Gemeinschaftsschule, Fischer das Rechberg-Gymnasium. Beide leiten ihre Schulen seit rund 15 Jahren, beide sind Jahrgang 56 und freundschaftlich verbunden. Ihre Schulen sind auf demselben Gelände und wachsen zusammen, zumindest teilweise. Seit 2013 sind sie ein kooperatives Bildungszentrum mit gemeinsamer Mensa, gemischten Arbeitsgemeinschaften, die beiden Schulsozialarbeiterinnen sind für beide Schulen zuständig und mit dem Programm „Schüler helfen Schüler“ unterstützen Gymnasiast/innen Schüler/innen der Messelbergschule. Vier Lehrkräfte aus dem Gymnasium sind an die Gemeinschaftsschule mit mehreren Stunden abgeordnet und unterrichten Deutsch, Englisch und Französisch. Im nächsten Schuljahr kommt Mathematik dazu. Die Gemeinschaftsschule startete 2013 zweizügig und ist für diese Größe ausgelegt.
Im Moment beherrscht eine Baustelle das Schulgelände. Die bisherige Aula, der Musiksaal und die Technikräume wurden abgerissen und werden mit einem Neubau ersetzt. Anfang nächstes Jahr müssten Bauzäune, Staub und Dreck verschwunden sein und die Verbindung der Schulen wird auch baulich sichtbar. Eine trennende Betonwand in der Hanglage wurde entfernt. An dieser Stelle entsteht ein Sitzatrium als Treffpunkt für alle Schüler/innen. Ein Steg zwischen den Schulen ist bisher nur in den Plänen eingezeichnet. Die Finanzierung dazu ist offen.


Jetzt sitzt das Rechberg-Gymnasium mit einer sogenannten Einführungsstufe in den Startlöchern. Das ist eine Klasse 10plus am Gymnasium, die extra für Gemeinschaftsschüler/innen und Realschüler/innen konzipiert wurde, und nur mit Einschränkungen auch für Schüler/innen des G8 offen steht. Ziel der Klasse ist, mit individueller Förderung, Berufsvorbereitung und Förderung der Studierfähigkeit auf die Oberstufe vorzubereiten. Der Schulleiter Franz Fischer will mit diesem Konzept eine Schnittstelle zur Gemeinschaftsschule schaffen und die Durchlässigkeit der Schularten verbessern. Spätestens ab dem Schuljahr 2017/18 kann es losgehen. „Ohne dieses Modell wäre meine Arbeit bequemer“, erklärt Fischer, „das Gymnasium muss sich aber verändern, weil sich die Gesellschaft verändert. Wir wollen auch Kinder mit Zuwanderung fördern und dort abholen, wo sie stehen.“ Er erzählt von einem rumänischen Mädchen, das sehr gut in Mathe ist, mit der deutschen Sprache aber noch kämpft. Sie kann an der Gemeinschaftsschule mit ihrer individuellen Geschwindigkeit lernen und später über die Einführungsstufe das Abitur in 9 Jahren schaffen.
Diese Einführungsstufe soll kein G9 durch die Hintertür werden. Diese Feststellung ist Fischer wichtig. Das G8 am Rechberg-Gymnasium funktioniere gut, die Schüler/innen hätten auch noch Zeit für Freizeit. Nur nach Beratung dürfen Schüler/innen des Gymnasiums auf die Klasse 10plus wechseln. „Wir bewegen uns mit diesem Modell innerhalb der KMK-Vorgaben und des Organisationserlasses (Verwaltungsvorschrift des KM zur Eigenständigkeit der Schulen und Unterrichtsorganisation)“, erklärt er. Für Schüler/innen aus Gemeinschaftsschulen ist schon vom Schulgesetz her das neunjährige Gymnasium festgeschrieben, also eine dreijährige Oberstufe mit einer 10. Klasse. Aber auch Realschüler/innen können mit dieser Klasse 10plus aufs allgemeinbildende Gymnasium wechseln. Gibt das nicht unnötige Konkurrenz zu den beruflichen Gymnasien? „Nein“, sagt Fischer, der die Vorbehalte kennt, „wir nehmen nur Schüler/innen auf, die zwei Fremdsprachen mitbringen.“ Realschüler/innen mit einer Fremdsprache und Schüler/innen mit einem klaren Berufsschulbezug seien nach wie vor am beruflichen Gymnasien richtig. Fischer hat sein Modell im Landesschulbeirat vorgestellt und es habe keinen Protest der beruflichen Schulen gegeben.


Zustimmung gibt es von mehreren Seiten. Nicht nur der Vorstand des Landesschulbeirats zeigt sich angetan, auch der Tübinger Erziehungswissenschaftler Thorsten Bohl findet es bemerkenswert, dass das Gymnasium systematisch mit einer Gemeinschaftsschule kooperiere. „Das Gymnasium übernimmt Verantwortung für die gymnasiale Bildung in den Klassenstufen 5 bis 10 auch außerhalb der Schulart Gymnasium – das ist zukunftsweisend. Der geschmeidige Übergang von der zweiten Säule ins Gymnasium wird leichter möglich, das stärkt das Gymnasium und die zweite Säule gleichermaßen und damit auch das Schulsystem insgesamt“, lobt Bohl.
Einen Bruch der Lernkultur, wenn Schüler/innen der Gemeinschaftsschule aufs Gymnasium wechseln, soll es nicht geben. „Im Konzept für die Übergangsstufe haben wir teilweise Methoden der Gemeinschaftsschule übernommen. Es wird neben dem klassischen Fachunterricht ein sogenanntes Lernzeitband mit Lernstandsdiagnosen, Coaching-Gesprächen und Lerntagebüchern geben“, erläutert Fischer. Das ist Neuland für die gymnasialen Lehrkräfte. Lehrkräfte der Gemeinschaftsschule dürfen in der Einführungsstufe nicht unterrichten. Über 90 Prozent der Lehrkräfte seines Gymnasiums trügen das Modell mit, versichert der Rektor. „Die Kolleg/innen sehen, dass unsere Schüler/innen heterogener werden und wir alle profitieren von der Arbeit mit der Gemeinschaftsschule.“
Stephan Arnold nickt. Er gehört zu den Lehrkräften, die an die Gemeinschaftsschule abgeordnet sind. Der Deutschlehrer kennt also beide Schularten und zwei verschiedene methodische Ansätze. Er hat schon im Gymnasium Wochenpläne ausprobiert und die Schüler/innen befragt, wie sie das erleben. „Schüler/innen finden es angenehm, innerhalb einer abgesteckten Zeit selbst entscheiden zu können, wann sie was abarbeiten. Sie sind froh, nicht an den Gleichtakt gebunden zu sein. Sie können sich beim eigenständigen Lernen nicht verstecken und warten bis die Ergebnisse von anderen oder von der Lehrkraft kommen“, beschreibt er die Unterschiede aus Schülersicht. Für ihn selbst bedeutet das individuelle Lehren mehr Vorbereitungszeit, er empfindet den Unterricht aber als stressfreier. Er schätzt es, dass er mehr Zeit für einzelne Schüler/innen hat und auch mal nur einem Schüler oder einer Schülerin etwas erklären kann. Arnold arbeitet gerne an beiden Schulen. Wenn er nur noch an der Gemeinschaftsschule unterrichten würde, fehlte ihm die Oberstufe und die möchte er nicht missen.


Erich Ege freut sich, dass das Gymnasium die Einführungsstufe konzipiert hat. Er hält Kooperationen für die Lösung der Zukunft. Als zweizügige Gemeinschaftsschule kann seine Schule keine eigene Oberstufe anbieten, aber die enge Kooperation mit dem Gymnasium auf demselben Campus erleichtert seinen Schüler/innen den Wechsel und gibt den Eltern Sicherheit, dass ihren Kindern an der Gemeinschaftsschule tatsächlich alle Wege offen bleiben. „Eltern wünschen sich optimale Chancen für ihre Kinder, Kontinuität und Zuverlässigkeit“, sagt Ege. Die bevorstehenden Landtagswahlen verunsichern viele. Die Schulen würden zum Spielball der Parteien, ärgert er sich. Er wünscht sich dringend einen Schulfrieden und hält es für nahezu ausgeschlossen, dass bei einem Regierungswechsel das Rad zurückgedreht werden könnte. „Das gäbe einen Aufstand der Bürgermeister“, sind sich die Rektoren einig. Bei allen Chancen, die Gemeinschaftsschulen für die Schüler/innen bieten, verhehlt Ege nicht, dass die Standortfrage auch ein Motiv war, aus der Werkrealschule eine Gemeinschaftsschule wachsen zu lassen. Als Werkrealschule müsste er wohl schließen. Jetzt ist er aber vom Konzept der Gemeinschaftsschule überzeugt. Trotz dem Berg an Arbeit. Früher seien die Prüfungen der Arbeitshöhepunkt gewesen. Heute übernehme das der Konrektor und er ist mit dem Umbau, Kooperationen und Konzepten weit mehr beschäftigt, als er es früher je war. Seine Frau erinnere ihn immer mal wieder daran, mit wem er verheiratet sei.
Gerne würde Erich Ege als Schulleiter erleben, wie einige seiner ersten Gemeinschaftsschüler/innen das Abitur ablegen. Dazu müsste er seine Pension um ein Jahr verschieben. Diese Entscheidung kann warten.