Sanierungsfall Universität
Was bringt der Konstanzer Alleingang?
Hoher Druck, unbezahlte Arbeit und unklare Karriereperspektiven machen die Wissenschaft als Berufsfeld zunehmend unattraktiv. Was können einzelne Universitäten verbessern? Einen Versuch unternimmt derzeit die Universität Konstanz.
Besonders bei Wissenschaftler*innen in der Postdoc-Phase ist die Unzufriedenheit an den Universitäten seit Jahren groß und spätestens seit der #ichbinhanna-Kampagne auch laut. Ein Warnsignal sind die Ergebnisse der „nacaps“-Studie vom Mai, wonach sich nur noch etwa 14 Prozent der heute Promovierenden ihren weiteren Berufsweg an Hochschulen vorstellen können. Gleichzeitig ist weder eine große Strukturreform noch eine bessere finanzielle Ausstattung der Universitäten abzusehen. Die Uni Konstanz hat sich vor diesem Hintergrund per Beschluss des Senats im Juli 2023 auf den Weg eines hauseigenen Reformprozesses begeben und das Konzept „Attraktive und verlässliche Karrierewege für exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ entwickelt. Auf Initiative des ehemaligen Prorektors für Forschung, Malte Drescher, wurde ein Rahmenkonzept mit insgesamt 21 Maßnahmenpaketen entwickelt, das nun umgesetzt und ausgestaltet wird.
Das sogenannte „Konstanzer Modell“ soll Reformen in drei Bereichen vornehmen: Zum einen sollen die Arbeitsbedingungen für Promovierende dadurch verbessert werden, dass alle Verträge im Rahmen von Haushaltsstellen eine Laufzeit von mindestens drei Jahren haben. Mit einem Pfandsystem soll es möglich werden, dass auch Drittmittelstellen künftig mindestens dieselbe Dauer haben, und ein „Matching Fund“ soll ermöglichen, für Stipendiat*innen sozialversicherungspflichtige Stellenanteile zu schaffen. Offen bleibt dabei bisher, welchen Umfang die Verträge in dieser Phase haben sollen. In den Geisteswissenschaften werden Doktorand*innen meist nur mit 50 Prozent Arbeitszeit eingestellt, in anderen Fächern mit 65 oder 100 Prozent. Institutionalisierte Feedbackgespräche sollen zur frühzeitigen Orientierung der Promovierenden über ihre Karrieremöglichkeiten beitragen – ein Schritt zu dem erklärten Ziel, die Promotionszeiten zu verkürzen.
Das zweite Ziel des „Konstanzer Modells“ ist, dass Karriereentscheidungen in der Postdoc-Phase früher getroffen werden als bisher. Die kurz angelegte Postdoc-Zeit soll der Vorbereitung eines neuen Forschungsprojekts im Rahmen eines Drittmittelantrags oder die Bewerbung auf Juniorprofessuren dienen. Die Phase wird so zu einer Art Zwischenschritt, denn drittens sieht das Modell explizit vor, langfristige Karrierewege zu schaffen. Dafür sollen etwa Juniorprofessuren möglichst nur noch als „Tenure Track“-Stellen ausgeschrieben werden, die nach sechs Jahren in Lebenszeitprofessuren umgewandelt werden können. Auch Nachwuchsgruppenleiter*innen sollen künftig auf solche Stellen berufen werden können.
Bleibt der klassische Karriereweg, der aber gerade in den Geisteswissenschaften meist immer noch die Norm ist: Die Habilitation. Die entsprechenden Stellen sollen für sechs Jahre vergeben werden, zum Beispiel als Akademische Rät*innen auf Zeit. Statt Lehrstühlen sollen sie den Fachbereichen zugeordnet sein und von einer Kommission vergeben werden. Eine Zwischenevaluation ist dabei vorgesehen – nicht aber die Überführung in eine Festanstellung.
Bei wissenschaftlichen Berufswegen jenseits der Professur bleibt das Konzept vage. Es gibt lediglich vor, dass die Fachbereiche Stellen für spezifische Aufgaben in Forschung, Lehre und Transfer einrichten können; grundsätzlich offen ausgeschrieben und durch Kommissionen besetzt. Wer den anhaltenden Streit darüber, was eigentlich Daueraufgaben an einer Universität sind, kennt, weiß, dass mit dieser Formulierung vieles offen bleibt.
Druck auf Nachwuchswissenschaftler*innen nimmt zu
Auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Mittelbauinitiative Konstanz und der GEW Ende April in Konstanz wurde das Modell diskutiert. Auf dem Podium und im Publikum wurden die Pläne der Uni kontrovers beurteilt. Sibylle Röth von der Konstanzer Mittelbauinitiative sah das Konzept kritisch: In der Umsetzung in den einzelnen Fachbereichen könnten substanzielle Fortschritte gemacht werden. Es fehlten jedoch Mitbestimmung und Transparenz, da die vormals offene und breite Debatte über das Modell sich inzwischen hinter die Türen der Gremien zurückgezogen habe. Es mangle an überprüfbaren Kriterien für die Umsetzung, etwa an Zielquoten für die Schaffung entfristeter Stellen. Manche Fachbereiche könnten das Modell als Chance nutzen, doch bestehe die Gefahr, dass in anderen überhaupt nichts passieren werde. Letztlich wäre für Röth noch mehr Mut erforderlich gewesen.
Zentrale Maßgabe für das „Konstanzer Modell“, so Malte Drescher, sei der nationale und internationale Wettbewerb der Universitäten untereinander. Bei der Konkurrenz um Drittmittel und „exzellente“ Wissenschaftler*innen gehe es darum, die „besten Köpfe“ an die Universität zu locken und dort zu binden. Und dieser Wettbewerb setze den Möglichkeiten Grenzen. Beispielsweise sei die Ausstattung von Professuren mit Mitarbeiter*innenstellen ein wichtiger Teil von Berufungsverhandlungen. Wer konkurrieren wolle, habe nur begrenzte Möglichkeiten, Qualifikations- und Dauerstellen zentral und transparent zu vergeben.
Eben das monierte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Bundesvorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung. Denn es seien genau diese alten Strukturen, in denen Mitarbeitende als „Ausstattung“ der Professuren gelten, die den Aufbau von Dauerstellen behinderten. Wer aber wirkliche Verlässlichkeit wolle, könne nicht weiter mit Modellen von befristeten Vertragslaufzeiten operieren, sondern müsse unbefristete Beschäftigung in ernsthaften Größenordnungen ausbauen. Auch er hält dafür eine Zielquote für sinnvoll, gegebenenfalls auch mit unterschiedlichen Vorgaben je Fachbereich.
Aus Sicht des Autors ist das Modell auch aus anderen Gründen problematisch: Durch das Ziel, die Qualifikationszeiten in der Promotions- und Postdoc-Phase zu verkürzen, wird der Druck auf die Nachwuchswissenschaftler*innen wohl eher noch zunehmen. Und von den anschließenden verlässlichen Karrierewegen zeigen sich einige bei genauem Hinsehen als nicht so verlässlich, wie man denken sollte: Die Zeit für die Habilitation wird durch die Kombination von Postdoc-Phase und sechsjähriger Habilitationsphase zwar länger – die Zeit der befristeten Beschäftigung ohne jede Anschlusszusage dadurch aber auch. Die Hauptkritik des #ichbinhanna-Protests scheint damit nicht angekommen zu sein.
Vielmehr besteht die Gefahr, dass die „verlässlichen Karrierewege“ in erster Linie denen vorbehalten sein werden, die Drittmittel einwerben, um diese in Entfristungszusagen umzusetzen. Das würde die „Bestenauslese“ faktisch in das ausufernde Vergabewesen auslagern. Stromlinienförmige Lebensläufe und die Bevorzugung von Gruppen mit finanzieller Sicherheit und ohne familiäre Verpflichtungen könnten durch die im „Konstanzer Modell“ angelegte Intensivierung von Wettbewerb unterstützt werden. Ob am Ende die innovativsten und klügsten Köpfe im deutschen Wissenschaftssystem beziehungsweise am Bodensee bleiben werden, ist zumindest zweifelhaft.
In jedem Fall wird man in Konstanz einen langen Atem brauchen. Die Umsetzung kann zehn bis zwölf Jahre dauern. Herauskommen könnte eine Generalsanierung oder einige Instandhaltungsreparaturen.