Schulstruktur
Was eine neue Sekundarschule bewirken kann
Die dritte große Schulgesetzänderung binnen zwei Jahren steht an. Formen die neuen Paragrafen eine stabile neue Schullandschaft? Was könnte das Konzept „Neue Sekundarschule“ leisten? Eine Einordnung von Städtetagsdezernent Norbert Brugger.
Der Blick zurück zeigt eine Konstante: Schulgesetzänderungen bringen stets Neues, schaffen Altes aber nicht ab. Altes nicht abzuschaffen, erleichtert zwar die Mehrheitsfindung im Landtag und vermeidet den Widerstand der Verfechter*innen des Seitherigen. Das zusätzliche Neue erhöht aber die Komplexität des Schulwesens. Die Anforderungen an die Schulen, Schulverwaltungen und kommunalen Schulträger nehmen dadurch immer weiter zu. Der Finanzbedarf von Land und Kommunen für den Betrieb des immer komplexer werdenden Schulwesens nimmt tendenziell ebenfalls zu.
Sinnbildlich dafür: Bis Ende der 1970er-Jahre hatte die Hauptschule den größten Schülerzulauf aller Schularten und führte deshalb konsequenterweise diesen Namen. Heute ist ihre Zahl der Schüler*innen so gering, dass nicht einmal mehr eine landesweite Schülerzahl für sie ausgewiesen wird. Gleichwohl wird nicht nur diese Schulart, sondern auch ihr vollkommen aus der Zeit gefallener Name „Hauptschule“ seit Jahrzehnten unverändert weitergeführt.
Die Werkrealschule wurde der Hauptschule in den 1990er Jahren als Retterin der dritten Säule des Schulwesens neben Gymnasium und Realschule beigestellt. Sie bietet seit der jüngsten Gesetzesänderung nun selbst keinen Schulabschluss mehr an. Sie findet sich wie die Hauptschule dennoch weiter im Schulsystem – neben dem Gymnasium, der Realschule und der Gemeinschaftsschule. Kooperationen und Verbünde von Schulen auf lokaler Ebene sollen ersetzen, was im Gesetz nicht geregelt ist: Die Zusammenführung von Schulen unterschiedlicher Art. Das erhöht allerdings die ohnedies große Diversität des Schulwesens zusätzlich und erzeugt zusätzlichen Aufwand.
Die Schülerübergangsquoten an weiterführende Schularten zeigen krasse Unterschiede auf (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1
Übergangsquoten auf weiterführende allgemeinbildende Schulen | |||
---|---|---|---|
Schulart | Schuljahr 2023/2024 | Veränderung | Schuljahr 2024/2025 |
Gymnasium | 45,1 % | -0,9 % | 44,2 % |
Realschule | 32,7 % | +0,1 % | 32,8 % |
WRS/HS | 7,8 % | -1,0 % | 6,8 % |
GMS | 13,8 % | +1,7 % | 15,5 % |
Tabelle 2
Statistische Daten zu weiterführenden Schulen – Schuljahr 2022/2023 | |||
---|---|---|---|
Schulart | Schülerzahl gesamt | Schulzahl gesamt | Schülerzahl pro Schule im Schnitt |
Gymnasium | 300.869 | 457 | 658 |
Realschule | 210.818 | 476 | 443 |
WRS/HS | 44.691 | 267 | 167 |
GMS | 92.357 | 324 | 285 |
Durch dieses Ungleichgewicht wird nicht nur die knappe Ressource Lehrkräfte suboptimal eingesetzt. Es führt auch zu einem ineffizienten Mitteleinsatz bei den kommunalen Schulträgern. Im jüngsten Schuljahr 2022/2023, zu dem die Rechnungsergebnisse vorliegen, beliefen sich beispielsweise die laufenden kommunalen Schulkosten für Haupt- und Werkrealschüler*innen auf 3.244 Euro pro Person, für Gymnasiasten hingegen nur auf 1.421 Euro pro Person. Dieser Unterschied rührt nicht von einer besseren Ausstattung der Werkreal- und Hauptschulen mit Personal oder Sachmitteln. Es ist vielmehr die Schieflage im System, die dazu führt, denn je kleiner eine Schule ist, desto höher sind tendenziell die Prokopfkosten pro Schüler*in. Die Angaben in Tabelle 2 beruhen auf den Zahlen des Statistischen Landesamts.
Vorteile einer zweiten starken Säule
Die Weiterentwicklung des Schulsystems durch ein Zusammenwachsen der Schularten Realschule, Gemeinschaftsschule, Werkrealschule und Hauptschule würde zu einer annähernd gleich großen zweiten Säule neben den Gymnasien im dann nur noch zweigliedrigen Schulsystem führen. Innerhalb dieser zweiten starken Säule könnten deren Schüler*innen weiterhin differenziert unterrichtet und gefördert werden.
Der Ressourceneinsatz könnte optimiert werden. Dadurch würden die pädagogischen Möglichkeiten dieser Säule wachsen. Dies würde ihre Attraktivität als Schulort für viele Erziehungsberechtigte aller Voraussicht nach erhöhen. Die Bildung der zweiten Säule wäre nicht mit der Aufgabe von Schulstandorten gleichzusetzen. Die meisten Standorte würden weiter benötigt. Personelle und sächliche Ressourcen könnten allerdings effektiver eingesetzt werden.
Folgen der schnellen Einführung der Gemeinschaftsschule
Diese Erkenntnisse sind beim Städtetag Baden-Württemberg schon im Zuge der Einführung der Gemeinschaftsschule gereift. Der Städtetagsvorstand forderte 2011 vom Land eine langfristige Schulentwicklungsplanung mit dem Ziel eines homogenen Zusammenwachsens der Schularten zu einer stabilen Zweigliedrigkeit des Schulsystems. Der seinerzeit neu gewählte Ministerpräsident Winfried Kretschmann verfochte dies ebenso. Manche Protagonisten auf Landesseite strebten seinerzeit allerdings über den „Umweg“ der Gemeinschaftsschule ein eingliedriges Schulsystem an. Dies lehnte der Städtetag entschieden ab.
Die schnell beschlossene Einführung der Gemeinschaftsschule etablierte zwar die neue Schulart, verhärtete allerdings die Fronten zwischen den Schularten und ihren jeweiligen Befürworter*innen. 322 öffentliche und private Gemeinschaftsschulen sind heute in Betrieb. Allerdings haben nur 13 und damit vier Prozent von ihnen eine gymnasiale Oberstufe und verfügen damit über das Angebot, das im Zuge ihrer Einführung als Normalfall angestrebt wurde.
Das neue Konzept
Das Konzept für eine Neue Sekundarschule nimmt die in den vergangenen Jahren eingefrorene und gleichwohl immer wichtig gebliebene Baustelle „Optimierung des Schulsystems“ wieder in Betrieb. Die Initiator*innen des Konzepts verdienen großen Dank, weil sie dies ohne jeden messianischen Eifer initiiert haben. Stattdessen mit der für diese sensible Thematik äußerst wichtigen Sachlichkeit.
Die beschlossene Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums als Regelform in Baden-Württemberg erhöht den Handlungsbedarf zusätzlich, auch wenn das Land bestrebt ist, die Übergangszahlen auf Gymnasien dadurch nicht weiter anwachsen zu lassen. Ob die seither gewählten Instrumente dafür geeignet sind, muss sich noch erweisen. An den Gymnasien ein weiteres Unterrichtsjahr einzuführen sehen viele Eltern naturgemäß als Erleichterung für den Weg ihrer Kinder zum Abitur. Den Kindern zugleich den Zugang zu den Gymnasien zu erschweren, muss aus Elternsicht nicht logisch erscheinen. Eine starke zweite weiterführende Schulart, die alle pädagogische Kompetenz jenseits der Gymnasien in sich vereint, hätte jedenfalls das Zeug, zu einer Alternative auf Augenhöhe zu werden.
Der Städtetag wird sich daher weiter mit dem Konzept für eine neue Sekundarschule befassen.