GEW-Fachtagung Anfang Juni
Was Schulsozialarbeit leisten kann – und was nicht
Dass Schulsozialarbeit wertvoll und nötig ist, darüber sind sich alle einig. Welche Aufgaben Schulsozialarbeit an Schulen tatsächlich übernehmen soll, darüber gehen bei genauer Betrachtung die Meinungen doch auseinander.
„Kinder sind die primäre Ansprechgruppe der Schulsozialarbeit und nicht die Schule“, stellte Sandra Geissler heraus. Für die Leiterin der Schulsozialarbeit in Bern ist das ganz selbstverständlich, sie weiß aber wohl, dass die Realität an den Schulen oft eine andere ist. Wenn Schulen Personal fehlt, wenn Schüler*innen den Unterricht stören, wenn Schulen keine Zeit für Prävention haben, immer dann soll Schulsozialarbeit einspringen und schulische Probleme lösen. Sich dem Erwartungsdruck zu entziehen, ist für die Sozialarbeiter*innen schwierig. Sie arbeiten in ihrem Berufsfeld in der Regel alleine vor Ort. „Schulsozialarbeitende haben Angst, in der Schule ausgeschlossen zu sein. Wie jeder Mensch haben sie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, sie möchten zur Schule dazugehören. Das verleitet sie zu tun, was die Schule will“, gab Geissler zu Gedenken. Schwerpunkt der Arbeit müsse aber sein, für Kinder da zu sein, denen es nicht gut geht.
Ohne Standards und Qualitätsansprüche geht es nicht, ohne die Fachkräfte auf ihr Arbeitsfeld vorzubereiten auch nicht. „Es sagt niemand: Gehen Sie morgen auf den Mount Everest, ohne vorbereitet zu sein. In der Schulsozialarbeit machen wir genau das“, sagte Geissler. Es sei wichtig, folgende Fragen zu diskutieren und zu beantworten: Was zeichnet gute Schulsozialarbeiter*innen aus? Wie soll Schulsozialarbeit, die zur Kinder- und Jugendhilfe gehört, in Schulen eingebunden sein? Sind Schulsozialarbeitende dafür da, Lehrkräfte zu entlasten oder Lücken der Personalversorgung zu stopfen? Wie können Lehrkräfte und Sozialarbeitende auf Augenhöhe miteinander kooperieren? Welche Rolle spielt die Schulsozialarbeit in der Prävention?
„Wenn Schulen Personal fehlt, wenn Schüler*innen den Unterricht stören, wenn Schulen keine Zeit für Prävention haben, immer dann soll Schulsozialarbeit einspringen und schulische Probleme lösen.“ (Sandra Geissler, Leiterin der Schulsozialarbeit in Bern)
Der Verein Berner Schulsozialarbeit (BeSSA) kam zu eindeutigen Ergebnissen. Die Mitglieder legten fest, welche Bedingungen ihre Schulsozialarbeiter*innen brauchen, um ihre Praxis so gestalten zu können, dass sie ihre Ziele zum Wohl der Kinder erreichen. Das gemeinsame Selbstverständnis schützt sie vor überzogenen Erwartungen von Schulen, Politik oder Gesellschaft.
Mehr Mittel für die Schulsozialarbeit
Das täte der Schulsozialarbeit hierzulande auch gut. Jürgen Schmidt, GEW-Experte für Schulsozialarbeit und Fortbildner zum Thema, stimmte Geisslers Analyse zu. Er begegne vielen Fachkräften, die von den Schulen vereinnahmt würden, für Aufgaben, die originär in der Verantwortung der Schulen lägen. Das sei nachvollziehbar, weil unsere Bildungseinrichtungen enorm unter Druck stünden. Sie seien nicht ausreichend vorbereitet und ausgestattet, um ihre Kernaufgaben wie beispielsweise Primärprävention gut zu erfüllen. Gleichzeitig stiegen die Problemlagen der Kinder und Jugendlichen massiv.
Nach dem Motto „Ohne Geld geht nichts“ forderte Schmidt in der Diskussion mit den Abgeordneten des Landtags mehr Mittel für die Schulen und die Schulsozialarbeit. Außerdem setzte er sich für gesetzliche Regelungen zur Qualitätssicherung der Schulsozialarbeit ein. Die GEW hätte jüngst ein Rechtsgutachten hierzu erstellen lassen, das den landespolitischen Entscheidungsträger*innen zur Verfügung stünde. Im Schulgesetz müsse auch die verpflichtende Kooperation von Schule und Schulsozialarbeit geregelt werden.
Was Landtagsabgeordnete sagen
Bei Katrin Steinhülb-Joos rannte Schmidt damit offene Türen ein. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD steht für mehr Investitionen in die Schulsozialarbeit. An allen Schulen sollte es ihrer Meinung nach Fachkräfte der Schulsozialarbeit geben, und selbstverständlich müsse auch die Zusammenarbeit der Akteur*innen verpflichtend geregelt werden. Aus der Diskussion nähme sie mit, dass auch fachliche Leitungsstellen und Supervision für die Schulsozialarbeit strukturell verankert werden müssten. Udo Heidrich, Tagungsteilnehmer und fachlicher Leiter von Schulsozialarbeit, hatte sich dafür stark gemacht.
Andreas Sturm, Landtagsabgeordneter der CDU, machte keine Hoffnung, dass sich am Anteil der Landesfinanzierung etwas ändere. Die Haushaltsberatungen blieben abzuwarten, die Höhe der bisherigen Unterstützung würde wohl bleiben.
Der Grünen-Abgeordnete Thomas Poreski sprach die geteilte Verantwortung von Kommunen und Land an. Es seien vernünftige Gespräche mit den Kommunen nötig, man
sehe den Handlungsbedarf an den Schulen und durchaus die Notwendigkeit, dass vom Land Mittel für die Schulsozialarbeit zur Verfügung gestellt werden. Es gebe aber auch andere Bereiche, die durch das Land unterstützt werden könnten, zum Beispiel die Schulbegleitung.
Für Dennis Birnstock, bildungspolitischer Sprecher der FDP, ist es an der Zeit, Missverständnisse auszuräumen und Schulsozialarbeit nicht weiter als Notnagel zu betrachten. Man dürfe die Menschen nicht verheizen. Gerade mit dem Ausbau von ganztägigen Schulen nehme diese Gefahr weiter zu. Zudem brauche es Leitungsstrukturen und Raum und Zeit für eine gelingende Kooperation zwischen Schule und Schulsozialarbeit. Die Zusammenarbeit müsse bereits bei den jeweils zuständigen Ministerien beginnen.
In seinem Beitrag „Positionierung und Auftragsklärung der Schulsozialarbeit“ knüpfte Jürgen Schmidt an genau diese Themen an. Den Landespolitiker*innen gab er mit auf den Weg, dass die Schulen in Baden-Württemberg dringend stabil finanzierte Schutzprozesse gegen Gewalt, auch sexualisierte Gewalt, unter Einbezug von spezialisierten Fachberatungsstellen brauchten. Damit bekräftigte er eine der Forderungen, die Monika Stein in ihrer Grußrede schon eingebracht hatte. Nach Auffassung der GEW-Landesvorsitzenden müssten Bildungseinrichtungen dringender denn je Lern- und Lebensorte sowie demokratische Erfahrungsräume sein, die unseren Kindern und Jugendlichen ausreichend Entwicklungs-, Gestaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten, vor allem aber Schutz bieten würden. Eine starke Schulsozialarbeit sei hierbei von großer Bedeutung. Mit der individuellen Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Problemen kann Schulsozialarbeit dazu beitragen, Bildungs- und Chancenungerechtigkeit, sowie Armutslagen entgegenzuwirken.
Rechtsgutachten zur Schulsozialarbeit
Prof. Jan Kepert hat im Auftrag der GEW ein Rechtsgutachten erstellt. Darin stehen Regelungsvorschläge für eine gesetzliche Neufassung auf Landesebene.