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Coronavirus-Pandemie

Wie es an den Gymnasien jetzt weitergehen kann

Präsenzunterricht und Aufholprogramm: Wie soll es mittelfristig weitergehen? Die Landesfachgruppe Gymnasien der GEW regt an, direkt an die jüngsten pandemiebedingten Erfahrungen anzuknüpfen und die eingeschlagenen Wege mutig fortzusetzen.

Schuelerinnen und Schueler in der Oberstufe tragen eine Maske zum Schutz vor dem Coronavirus.
Foto: © imago

Sinkende Inzidenzwerte und stetige Fortschritte bei der Durchimpfung der Lehrkräfte geben aktuell der Hoffnung Auftrieb, dass die längst überfällige Normalisierung an unseren Schulen mit den epidemiologischen Erfordernissen in Einklang gebracht werden kann. Aktuell wird erwogen, im Juni auch an den weiterführenden Schulen eine Rückkehr in den Präsenzunterricht zu ermöglichen.

Allen am Schulleben Beteiligten ist deutlich, dass nach über einem Jahr im Krisenmodus die Rückkehr in den Präsenzunterricht keine einfache Fortführung des schulischen Alltags vor Corona sein kann. Klar ist auch, dass sich in dieser Krisenzeit viele Lehrkräfte, Schüler*innen, Schulleitungen und Eltern weit über ihre Belastungsgrenze hinaus verausgabt haben. Das Wichtigste wird also sein, die Rückkehr in die schulische Normalität kräftesparend und sorgsam zu gestalten, zeitliche und organisatorische Freiräume aufzutun, verschiebbare Tätigkeiten auch tatsächlich als solche zu behandeln und sich prioritär auf die Reintegration aller Schüler*innen in die Schule als Lernort und Lebensraum zu fokussieren.

1. Kein „Weiter so“: Es ist höchste Zeit für mehr Zeit

Nach den Pfingstferien sollte eine vor allem sozial- und integrationsorientierte „Welcome-back“-Phase beginnen, in der Schüler*innen und Lehrkräfte miteinander ins Gespräch kommen und individuelle und gruppenspezifische Bedürfnisse Gehör finden. Gleichzeitig wird eine erste Bestandsaufnahme nötig sein, wo die einzelnen Schüler*innen im Fachunterricht stehen.

Von Seiten des Kultusministeriums wird übrigens zeitnah ein Programm starten, durch das Lehramtsstudierende kurzfristig zur pädagogischen Unterstützung an die Schulen geholt werden können. Hier wäre ein längerfristiges und vor allem flächendeckendes Angebot wünschenswert.

Die anschließenden Sommerferien sollten grundsätzlich als Zeitraum für Erholung erhalten bleiben. Lernende und Lehrkräfte haben diese dringend nötig. Das schließt nicht aus, dass es in begrenztem Umfang und auf freiwilliger Basis bereits erste Angebote aus dem Aktionsprogramm des Bundes geben könnte. Wünschenswert sind integrierte Angebote, die Freizeit- und Lernangebote in einem ausgewogenen und für die Teilnehmenden attraktiven Verhältnis miteinander verknüpfen.

Den Schulen steht eine jahrelange Konsolidierungsphase bevor: Die Lernenden sind sehr unterschiedlich durch die Pandemiezeit gekommen, Disparitäten haben zugenommen und der Bedarf an individueller Zuwendung und gegebenenfalls Intervention im Interesse einzelner Schüler*innen ist gestiegen. Geduld und langer Atem sind für diesen langfristigen Prozess unerlässlich. Unterstützungsangebote mit Bundesmitteln werden dabei nur wirksam sein, wenn die Schüler*innen (im Stundenplan) und Lehrkräfte (nur mit Deputatsanrechnungen!) dafür ausreichende zeitliche Freiräume erhalten.

2. Freiräume nutzen

Die Pandemiesituation hat gezeigt: Wir Lehrkräfte wissen selbst am besten, was unsere Schüler*innen unbedingt brauchen, um ihre Schullaufbahn bei uns am Gymnasium für ihr Leben bereichernd und erfolgreich abschließen zu können. Ausgelöst durch die Notwendigkeit, Fernlernen und Wechselunterricht zu organisieren, standen wir vor der Herausforderung, in einem ungewohnten und beschränkten Unterrichtsrahmen zu priorisieren und im Interesse unserer Schüler*innen selbst zu entscheiden, was und wie gelernt werden kann. Pandemiebedingt hat das in der Praxis zu einer Reduktion von Lerninhalten geführt, oftmals aber auch zu einer Fokussierung auf das Wesentliche.

Diese freiere und selbstbewusste Übernahme der didaktischen Verantwortung im Umgang mit den Bildungsplänen könnte in Zukunft die Fokussierung auf ein vertieftes exemplarisches Lernen unterstützen und vielleicht sogar neue Freiräume eröffnen.

3. Eigenverantwortung stärken

Alle Schüler*innen blicken nun auf Phasen zurück, in denen sie ohne die gewohnte institutionelle Struktur (zum Beispiel ohne 45-minütige Taktung der Lernzeiten sowie ohne ständige schriftliche Lernerfolgskontrollen) zu Hause gelernt haben: Sie haben die Aufgaben und Videokonferenzen in den verschiedenen Fächern im Blick gehabt, ihre Arbeitswoche strukturiert und nebenbei stärker als je zuvor ihre digitalen Endgeräte zur Absprache und zur Teamarbeit bei der Lösung von vielerlei fachlichen, technischen und organisatorischen Problemen genutzt.

Es wurde deutlich, wie wichtig für die Schüler*innen die Fähigkeit zur Selbstorganisation ist und dass sie für ihr eigenes Lernen Verantwortung übernehmen können und müssen. Diese Fähigkeiten weiter zu kultivieren, wird eine wichtige Zukunftsaufgabe sein, die maßgeblich auch über die Wirksamkeit der geplanten schulischen Unterstützungsangebote entscheiden wird.

4. Schule als Lebensraum

Wir möchten die Schüler*innen ermutigen, (altersspezifisch differenziert und von uns Lehrkräften beraten) eigenverantwortlich aus diesen Angeboten auszuwählen. Das kann nur gelingen, wenn die Angebote thematisch breit aufgestellt sind (keine Beschränkung auf Förderunterricht in Kernfächern!), in den regulären Stundenplan voll integriert werden, professionell geleitet werden (vor allem Lehrkräfte, auch im Ruhestand, und Lehramtsstudierende) und sich die Schule stärker mit etablierten regionalen Programmen (zum Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe) vernetzt.

In den kommenden Schuljahren wird es besonders auch auf Angebote im sportlichen und im musisch-kreativen Bereich sowie auf außerschulische Veranstaltungen ankommen, wenn es darum geht, dass unsere Schüler*innen (aber auch wir selbst als Lehrkräfte!) die Schule als Ort des sozialen Miteinanders, ja als Lebensraum wiedergewinnen. Denn es ist auch eine zentrale Erkenntnis der pandemiebedingten Sondersituation, dass für ein gutes Leben und Lernen unterstützende psychosoziale Rahmenbedingungen entscheidend sind.

5. Schule als lernende Institution

Viele Gymnasien haben aus der Not der Pandemie eine Tugend gemacht und sich in kürzester Zeit schulorganisatorisch und in Bezug auf den Unterricht weiterentwickelt. Die im aktuellen Diskurs von mancher Seite lautstark vorgetragene rein quantifizierende und defizitorientierte Betrachtungsweise, die diese Entwicklungsschritte unbeachtet lässt, einseitig auf den verpassten Lernstoff abhebt und daraus Forderungen zum Beispiel nach zusätzlichem Samstagsunterricht ableiten möchte, weisen wir als GEW-Fachgruppe Gymnasien entschieden zurück.

Vielmehr haben sich im letzten Jahr viele Gymnasien im Land als schnell lernende Institutionen erwiesen, viele Kollegien sind über sich selbst hinausgewachsen, haben neue Wege des Unterrichts und der individualisierten Leistungsrückmeldung beschritten, dabei unter Umständen auch Rückschläge in Kauf nehmen müssen, sich dadurch aber nicht entmutigen lassen, sondern haben für ihren Unterricht neue Medien und Methoden erschlossen. Lehrkräfte, Schüler*innen, Eltern, Schulleitungen, die Schulsozialarbeit, der Schulträger – alle haben sich engagiert, um das Beste aus der schwierigen Situation zu machen.

Wenn es uns gelingt, diese Aufgeschlossenheit und Experimentierfreude, dieses pragmatische Ausloten von neuen Freiräumen in die Phase des Präsenzunterrichts hinüberzuretten, dann könnte die coronabedingte Krisensituation vielleicht sogar eine positive Entwicklung anstoßen, mit mehr Verständnis von einer zeitgemäßen gymnasialen Bildung und zum Wohle unserer Schüler*innen.

Kontakt
Markus Riese
Vorsitzender Fachgruppe Gymnasien
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