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Wie es nach den Vorbereitungsklassen weitergeht

Für viele Schüler/innen, die ab Sommer 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, steht der Übergang von den Vorbereitungsklassen in den Regelunterricht bevor. Damit dies gut gelingt, braucht es Konzepte, sprachsensiblen Fachunterricht und eine gute Ausstattung.

Im laufenden Schuljahr werden in Baden-Württemberg über 30.000 Kinder in rund 1.000 Vorbereitungsklassen unterrichtet. In diesen Klassen in den allgemeinbildenden Schulen sitzen geflüchtete Kinder neben Kindern von EU-Migrant/innen, Schüler/innen, die noch nie eine Kita oder Schule besucht haben neben Kindern, die bereits Fremdsprachen gelernt haben, und das lateinische Schriftsystem kennen. Die Schüler/innen kommen aus ganz unterschiedlichen Kulturen, sprechen verschiedene Sprachen und sind unterschiedlich alt. Laufend kommen Kinder neu in die Klasse, andere gehen, weil die Unterbringung wechselt. Immer öfter fehlen Kinder auch unerwartet, weil sie abgeschoben werden. Den Umgang mit Abschiebungen und die damit verbundenen Ängste der zurückbleibenden Kinder sowie die Erfahrung, dass ein Mitglied der Klassengemeinschaft plötzlich verschwindet, ist eine emotional belastende Situation für die Lehrkräfte und die Mitschüler/innen.
Aufgrund der unterschiedlichen Lernstände im Sprach-erwerbsprozess sollte der Unterricht offen und modular aufgebaut sein. Das Lehr- und Lernmaterial muss sich didaktisch und methodisch an den Ausgangslagen der Schüler/innen orientieren, setzt also eine diversitätsbewusste Auswahl des Lernmaterials voraus. Viele Lehrkräfte haben sich daher selbst eine Materialsammlung angelegt mit Vorlagen aus dem Internet, von Kolleg/innen oder von Fortbildungen. Damit variieren die Inhalte des Unterrichts von Schule zu Schule und selbst von Klasse zu Klasse: Was die Schüler/innen wie und mit welchem Material lernen, hängt allein von der Lehrkraft ab, zumal bisher kein verbindliches Curriculum vorliegt.

Lehrkräfte berichten, dass manche Schüler/innen nach spätestens einem Jahr in der Vorbereitungsklasse unbedenklich in die Regelklasse wechseln können, manche aber unbedingt länger brauchen. Das hängt von vielen Faktoren ab: der Schulbesuch im Herkunftsland, die Dauer der Flucht und die dort erlebten Gefahren, eine sichere Aufenthaltsperspekive, die Lernmöglichkeiten in den Unterkünften, die Lernunterstützung durch die Schule oder durch Ehrenamtlichen und anderes mehr. Entscheidend für den zügigen Spracherwerb ist aber ein häufiger Kontakt mit Menschen, die diese Sprache sprechen. Unter diesem Aspekt ist die Exklusion in Vorbereitungsklassen zu problematisieren, weil die Kinder und Jugendlichen im Unterricht nur mit Mitschüler/innen zusammenkommen, die wie sie selbst, nicht gut Deutsch sprechen.

Eine Expertise über Willkommensklassen an Berliner Grundschulen vom Dezember 2016 „Mit Segregation zur Inklusion?“ zeigt deutlich die Probleme auf. Ein inklusives Konzept muss allerdings mit sehr guten Ressourcen ausgestattet sein, damit die Kinder und Jugendlichen dort nicht scheitern. Weil die meisten geflüchteten Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg aber zunächst in exklusiven Klassen Deutsch lernen, ist es umso wichtiger, dass die Schüler/innen der Vorbereitungsklasse ein Schuljahr lang nicht nur in Musik und Sport am Unterricht der Regelklasse teilnehmen, sondern dass sie kontinuierlich integriert werden und so früh wie möglich in die Regelklasse wechseln. Um den unterjährigen Umstieg in die Regelklasse zu ermöglichen, muss für jedes Kind gleichzeitig ein Platz in einer Regelklasse vorgehalten werden. Auch gemeinsame Aktivitäten wie Ausflüge, Sportfeste, Spielabende mit Patenklassen oder die Vermittlung von Patenschüler/innen können die Teilhabe der Schüler/innen am Schulleben erleichtern und zugleich Gelegenheiten schaffen, deutsch zu sprechen.

Sprachförderung auch in den Regelklassen erfoderlich
Kinder – vor allem im Grundschulalter – lernen in den Vorbereitungsklassen sehr schnell so ausreichend Deutsch, dass sie sich im Alltag gut verständigen können. Aber reicht das auch für den erfolgreichen Besuch der Regelklasse und einen qualifizierenden Bildungsabschluss? Und was müsste getan werden, damit die Schüler/innen und die Lehrkräfte diese Aufgabe stemmen können? Sicher ist, dass alle Schüler/innen auch in der Regelklasse weiterhin mehrere Wochenstunden zusätzliche Sprachförderung in Deutsch und den Fachsprachen brauchen, soweit möglich durch Lehrkräfte mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ).

In der VwV Sprachförderung (GEW Jahrbuch 2017, S. 759 ff.) heißt es: „Ein integratives Förderkonzept … nutzt die schulischen Gestaltungsmöglichkeiten … Den Schulen zusätzlich zur Verfügung stehende Lehrerwochenstunden sollen auch für Sprachförderung genutzt werden … Über flexible Organisationsmodelle kann der Freiraum vor Ort gestaltet werden … An den Grund- Haupt- und Werkrealschulen ohne Vorbereitungsklasse kann … ein zeitlich befristeter Sprachförderunterricht (Vorbereitungskurs) eingerichtet werden. … An den Realschulen und Gymnasien können im Rahmen des Ergänzungsbereichs zeitlich befristete Angebote zur Sprachförderung eingerichtet werden.“
Im Klartext: Es gibt für Sprachförderung keine Direktzuweisungen, der Organisationserlass sieht für keine Schulart Stunden für Sprachförderkurse vor. Sofern eine Schule noch Lehrerstunden im Ergänzungsbereich zur Verfügung hat, konkurriert die Sprachförderung um Angebote wie Schulchor, Orchester, Theater oder Sportangebote. Das sind keine guten Voraussetzungen, um in der Schulgemeinde eine Willkommenskultur zu pflegen.

Eine bedarfsgerechte Sprachförderung für die Kinder, die in den Regelunterricht integriert werden müssen, kann nicht so nebenbei geleistet werden. Dies ist umso dringender, als in den Regelklassen Unterrichtsinhalte durch Bildungsplan und Curriculum festgelegt sind, und das Lerntempo der Klasse – auch wegen der Vergleichsarbeiten und Abschlussprüfungen – nicht beliebig variabel ist. Da über 50 Prozent der Vorbereitungsklassen an Werkrealschulen eingerichtet sind (siehe Grafik), ist absehbar, dass sich dort die Situation schnell zuspitzen kann. Im Sommer werden viele Schüler/innen aus den Vorbereitungsklassen der Grundschulen auf weiterführende Schulen wechseln. Sie müssen auf alle vier weiterführende Schularten verteilt werden, wenn Werkrealschulen nicht zu exkludierenden Schulen für Geflüchtete und EU-Zuwander/innen werden sollen. Für die Realschulen und Gymnasien, zwei Schularten, die nicht wie Werkrealschulen auf jahrelange Erfahrung mit Vorbereitungsklassen und schulische Integration von Schüler/innen mit nicht-deutscher Herkunft zurückgreifen können, heißt das, dass sie gute Begleitung und unterstützende Expertise brauchen.

Im beruflichen Bereich wurden ab diesem Schuljahr Ressourcen für 580 Sprachförderkurse für Berufsschulklassen bereitgestellt. Die Mindestschülerzahl ist 4, die maximale Schülerzahl pro Förderkurs ist 16. Ein Förderkurs umfasst 4 Schülerwochenstunden und 4,5 Lehrerwochenstunden, da die Sprachförderung auch eine Lernberatung und Bildungs-und Berufsplanung umfassen soll. Entsprechende Ressourcen brauchen die allgemeinbildenden Schulen auch!
Weiterhin verdient der sprachsensible Unterricht Aufmerksamkeit. In der Handreichung des Landesinstituts für Schulentwicklung „Viele Sprachen – Eine Schule“ (IB-2, Seite 21) wird Fortbildungsbedarf im sprachsensiblen Unterrichten für Lehrkräfte aller Schularten und Fächer festgestellt: „Zunehmend gelingt … (die) Beherrschung von Bildungssprache auch bei einsprachig deutschen Kindern und Jugendlichen nicht ohne gezielte Unterstützung. Die Einsprachigkeit gaukelt eine Homogenität der Schülerschaft und ein höheres Niveau der Sprachbeherrschung vor, die es so in unserer Schulwirklichkeit kaum gibt. … Man sieht sich Lerngruppen gegenüber, die sprachlichen Nachholbedarf auf einem Niveau benötigen, auf das die meisten Lehrkräfte an den weiterführenden Schulen nicht vorbereitet sind. Ein erster nützlicher Schritt ist es, nicht davon auszugehen, dass Fünftklässler die deutsche Sprache auf einem bestimmten erwarteten Niveau beherrschen, egal ob sie ein- oder mehrsprachig sind.“

Hierfür müssen ausreichende Fortbildungsangebote für Lehrkräfte aller Fächer und Schularten angeboten werden und Lehrkräfte müssen auf Beratungsangebote durch DaZ-Fortbildner/innen zurückgreifen können, Schulbücher, Unterrichtsmaterial und Prüfungsaufgaben müssen sprachsensibel gestaltet sein.

Schließlich noch ein Hinweis auf schon existierende Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs: Bei Leistungsnachweisen können Wörterbücher zugelassen werden und längere Arbeitszeiten vorgesehen werden. Die Deutschnote kann bei der ersten Versetzungsentscheidung ausgesetzt werden und in Halbjahresinformationen und Zeugnissen sind pädagogische Bewertungen und verbale Beurteilungen möglich.  

Anrechnungsstunden für Lehrkräfte
Eine Vorbereitungsklasse kann ab 10 Schüler/innen gebildet werden. Für jede Vorbereitungsklasse erhält die Schule derzeit eine Anrechnungsstunde. Überträgt man diese Ressourcen auf die Regelklassen, so müsste jede Lehrkraft für je 5 Schüler/innen aus einer ehemaligen Vorbereitungsklasse oder mit nicht-deutscher Herkunftssprache und Sprachförderbedarf eine halbe Anrechnungsstunden als Entlastung für die pädagogischen Aufgaben erhalten, selbstredend zusätzlich zu den in der VwV Anrechnung festgelegten Anrechnungsstunden für Schulleitungen in Schulen mit Schüler/innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.