Schulleitungstag
Wir brauchen nichts weniger als eine Revolution!
Rund 100 Teilnehmer*innen erlebten beim Schulleitungstag der GEW 2025 Mitte März Gegensätzliches.
Rund 100 Teilnehmer*innen erlebten beim Schulleitungstag der GEW 2025 Mitte März Gegensätzliches. Volker Schebesta, Staatssekretär im Kultusministerium, rechtfertigte die aktuellen Schulreformen, die im Vergleich zu den Vorstellungen von OlafAxel Burow, Professor für Pädagogik an der Universität Kassel, sehr gestrig wirkten.
Olaf-Axel Burow begann seine berufliche Laufbahn als Lehrer an einer Gesamtschule in Neukölln. Später promovierte er an der Universität der Künste Berlin und erhielt eine Professur an der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Kreativitätsforschung einerseits und auf Organisationsentwicklung andererseits. „Wir brauchen nichts weniger als eine Revolution“ lautet die Überschrift seines Vortrags, der sich vor allem seinem Konzept der „Schule der Zukunft“ widmet.
Alle großen Krisen der letzten Jahre seien völlig unvorhergesehen über uns hereingebrochen: Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg seien zum Beispiel nur sehr kurzfristig oder gar nicht prognostiziert worden. Es sei nicht zu erwarten, dass sich die nächsten Krisen anmelden werden. Ungeachtet des gegenwärtigen Rollbacks, in dem wir unter einer grünen Kultusministerin konservative Schulpolitik umsetzen müssen, entwickelt Burow seine Schule der Zukunft unter der Maxime der „vorausschauenden Zukunftsgewandtheit“, also wie wird (oder muss) unsere Schule in zehn Jahren aussehen, will sie den Anforderungen der Zeit genügen? Burow nennt folgende Kompetenzen: Selbstorganisiertes Lernen, Proaktive Mitgestaltung, Achtsamkeit, sowie die Trennung zwischen „Wissen“ und „Kompetenz“.
Handlungsoptionen für eine Schule der Zukunft
Wie kann eine Schule der Zukunft aussehen? Hierfür formuliert Burow sieben Handlungsoptionen, von denen er vier ausführlich vorstellt: Zunächst – und am offensichtlichsten – gelte es, die Potentiale der Digitalisierung intensiv zu nutzen, so dass es Lehrkräften mit wenig Aufwand möglich sei, jedem Schüler, jeder Schülerin individualisiert Lernwege an die Hand zu geben, mit denen alle gut lernen können. Stichworte seien Video-Tutorials und KIassistiertes Aufgabendesign. Damit lasse sich nicht nur das Lernen individualisieren, sondern auch Schule und Unterricht von Ort und Zeitpunkt lösen. Der KI sei es egal, ob der Lernplan zuhause, in der Schule oder im Reitstall bearbeitet werde.
Zum Zweiten gelte es, Talente und Neigungen zu stärken und nicht stur einem Curriculum zu folgen, das allen Schüler* innen die gleichen Lerninhalte zumutet. Burrows These dazu ist ein neuformulierter Klassiker der Gestaltpädagogik: „Lernfreude und Spitzenleistungen entstehen, wenn wir unsere Neigungen erkennen, darin gefördert werden und eine passende Umgebung finden“, erklärte der Wissenschaftler. Aufgabe von Schule sei entsprechend, den Raum zu schaffen, damit Kinder ihr „Element“ finden und es entwickeln können.
Die dritte Handlungsoption sei, neue Bildungsräume zu erschließen, den Mut zu haben, die altbekannte Schule neu zu gestalten. Burow stellt die Alemannenschule Wutöschingen als beispielhaft dar. Die Abkehr vom Klassenzimmer, Inputräume und zentrales Lernatelier für individualisiertes Lernen, arbeitsteilig in großen Netzwerken erstellte Lernmaterialien, ein Graduierungssystem, das Freiheiten bis hin zum Lernen von zuhause aus einräumt, und vieles andere mehr, ermöglichten eine völlig neue Lernkultur. Viele Umstände der klassischen Schule, die nach Ansicht des ehemaligen Schulleiters Stefan Ruppaner das Lernen behindern, werden an der Alemannenschule soweit wie möglich in den Hintergrund gedrängt bzw. sind nur noch eine Umrechnungsgröße im Umgang mit der Schulverwaltung: Unterricht im 45-Minuten-Takt, Schulbücher, Deputate und Deputatsstunden, Lehrpläne, Klassenzimmer.
Burows vierte Option ist die Gestaltung einer agilen Schulkultur, die von einem episodischen Zukunftsdenken ausgeht und nicht davon, einfach weiterzumachen. Hierzu hat er mit einer Vielzahl von Schulen Workshops im Dreischritt „Diagnose / Wertschätzung, Visionenphase, Umsetzungs-phase“ durchgeführt und berichtet von den unterschiedlichen Wegen, auf denen sich die Schulen auf den Weg machen, die aber alle dem Ziel dienen, Schulen bereit zu machen für ein zukunftsfähiges Lernmodell.Für die Optionen fünf, sechs und sieben fehlt auf der Tagung die Zeit. Es sind „Gesundheit, Glück und Resilienz sichern“, „Demokratie und Gerechtigkeit leben“ und „Zukunftskompetenz fördern“.
In der Fragerunde ermutigt der Wissenschaftler die Schulleitungen mit kleinen Schritten anzufangen und nicht zu warten, bis sich ein ganzes Kollegium gemeinsam auf den Weg machen möchte.
Stillstand statt Aufbruch
Kultusministerin Theresa Schopper hatte ihr Kommen abgesagt. An ihrer Stelle kam Volker Schebesta, Staatssekretär im Kultusministerium und zuständig für die frühkindliche Bildung. Schebesta erweist sich als kompetenter, eloquenter und konzilianter Ersatz. Er verweist auf einen dreistelligen Millionenbetrag, den das Land zusätzlich in die Schulen investiert und rechtfertigt die Reformfülle, die in diesem Jahr auf die Schulen zukommt: Das Sprachförderkonzept für Kita und Grundschule sei schon festgestanden, als auf öffentlichen Druck hin das G9 wieder eingeführt werden „musste“. Alle über das Sprachförderkonzept hinausgehenden Reformen seien Konsequenzen aus der Wiedereinführung des G9. Schebesta bemüht sich, alle Einzelmaßnahmen, auch die neue Regulierung des Übergangs aufs Gymnasium zu begründen, was innerhalb seiner Logik ganz gut gelingt, nach den Ausführungen Olaf-Axel Burows aber seltsam antiquiert scheint. Perspektivisch möchte Schebesta im Ministerium darüber nachdenken, den Werkrealschüler*innen einen leichteren Zugang zum Realschulabschluss zu ermöglichen, nachdem der Werkrealschulabschluss nun auslaufe.
Die Landesvorsitzende der GEW, Monika Stein, weist in ihrer Replik auf einige Lücken hin: Die Konsequenzen der Neuregelungen für die beruflichen Schulen seien noch völlig unbedacht. Der extreme Handlungsbedarf an den SBBZ werde ignoriert und bei der Durchsetzung der Schulpflicht, wenn die Juniorklassen flächendeckend eingeführt werden, seien die Grundschulleitungen noch auf massiven Rückhalt der Schulverwaltung angewiesen.
Auf der Podiumsdiskussion mit Stein und Angela Keppel-Allgaier, Schulleiterin der Hans-Küng-Gemeinschaftsschule in Tübingen, wird noch einmal deutlich, dass das Schulwesen GEWLandespersonengruppe Schulleitung in Baden-Württemberg in der Vergangenheit hängen geblieben ist. Die GEW-Vorsitzende formuliert, was im ganzen Saal wahrgenommen wird: „Das Kultusministerium verkauft Stillstand als Schulreform.“ Stein betont: „Ich möchte keine Landesregierung aus der Verpflichtung entlassen, Bildung vernünftig zu finanzieren. Wir müssen dafür sorgen, dass Schulleitungen zusammen mit engagierten Kolleg*innen eine Schule der Zukunft gestalten können.“ Keppel-Allgaier sagt: „Es ist immer wieder der Versuch, unter dem Deckmantel des Neuen das Gleiche weiterzumachen.“ Stein wirft der Landesregierung vor, den Auftrag des Bürgerforums, Schule neben der Wiedereinführung eines G9 auch weiterzuentwickeln, völlig zu ignorieren. Sie freut sich, dass die Projektgruppe zur neuen Sekundarschule – zu der Keppel-Allgaier gehört – Impulse in Richtung eines weniger stark gegliederten Schulsystems setzt.
Ulrich BürgyGEWLandespersonengruppe Schulleitungsmitglieder
Kommentar
Immer wieder nur mehr vom Gleichen machts nicht besser!
Wenn die Kultusministerin nicht zum GEWSchulleitungstag kommt, mag das am angegebenen Grund, Termine, liegen. Mir fallen allerdings aus dem Stehgreif zwei Gründe ein, die ich für wahrscheinlich halte: Zum einen, dass Frau Schopper keine Lust hatte, für die sehr stark CDUgeprägte G9Reform ihren Kopf hinzuhalten und daher den CDUStaatssekretär Schebesta vorgeschickt hat. Zum anderen ist das Fehlen der Ministerin überdeutliches Zeichen einer gewissen
Amtsmüdigkeit oder einer Resignation vor der Wahl 2026. Wie dem auch sei, die anwesenden Schulleitungsmitglieder haben an diesem Tag eindrücklich vor Augen geführt bekommen, wie eine Schule aussehen kann, die sich aktiv den Anforderungen der Gegenwart und Zukunft stellt und wie eine Schule aussieht, die von konservativer Schulpolitik regiert wird – und wie wenig das andere mit dem einen zu tun hat.
Ulrich Bürgy