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Interview

„Wir sind sehr von subjektiven ­Bewertungen abhängig“

Wie erleben Lehramtsanwärter*innen die letzte Phase ihrer Ausbildung an den Seminaren? Das wollten wir von Menschen wissen, die das Referendariat abgeschlossen und eine Stelle haben.

von links: Aline Weber, Moritz Jakl und Maxie Höppel
von links: Aline Weber, Moritz Jakl und Maxie Höppel

Aline Weber, Moritz Jakl und Maxie Höppel haben den Vorbereitungsdienst abgeschlossen. Sie sehen Verbesserungsbedarf an der Ausbildung, haben eine anstrengende Zeit hinter sich und freuen sich sehr auf ein Lehrkräftedasein ohne Bewertungen.

Aline und Moritz, ihr bekommt jetzt in den Ferien erstmal keinen Lohn. Wie findet ihr das?

Moritz Jakl: Ich finde es nicht wertschätzend nach eineinhalb Jahren mit sehr viel Arbeit entlassen zu werden. Mit dem Gehalt des Referendariats kann man zwar leben, aber nichts ansparen. Finanziell gerät man so unter Druck. Ich finde es auch sehr kritisch, dass wir erst mit dem ersten Tag an der Schule bezahlt werden, obwohl wir schon in den Ferien mit der Planung des Schuljahrs und des Unterrichts beginnen.

Aline Weber: Ich dachte, dass ich Arbeitslosengeld bekomme, weil ich vor dem Referendariat eineinhalb Jahre in Vollzeit gearbeitet und Sozialabgaben bezahlt habe. In dieser Zeit bin ich aber drei Monate verreist und habe nur neun Monate am Stück gearbeitet, zwölf Monate wären aber nötig, damit ich Arbeitslosengeld bekomme. Das ist ärgerlich.

Im September startet ihr in der Schule. Wie fühlt sich das an?

Aline: Ich finde es befreiend, dass endlich die Ausbildungszeit rum ist und niemand mehr hinten drinsitzt, mich beobachtet und bewertet. Ich freue mich sehr, dass ich meinen Stil umsetzen kann. Und ich muss jetzt nicht mehr jeden Cent umdrehen.

Moritz: Es ist echt befreiend, sich von diesen strengen hierarchischen Strukturen des Referendariats lösen zu können. Ich freue mich darauf, auf Augenhöhe beim Kollegium anzukommen. Natürlich ist auch Nervosität dabei, denn man verliert den Anfängerbonus, aber meine Vorfreude überwiegt auf jeden Fall.

Maxie, du hast dein erstes Dienstjahr hinter dir. Wie war das?

Maxie Höppel: Es war super anstrengend und es gab Momente, in denen ich dachte, wie soll ich dieses große Pensum schaffen? Wie soll ich neben dem Unterricht auch noch sonderpädagogische Gutachten und Förderpläne schreiben? Wegen der großen Ressourcenknappheit stehen wir aktuell alleine im Unterricht. Das ist für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung untypisch. In meiner Klasse mit sechs bis acht Kindern brauchen fast alle eine 1:1-Betreuung. Das ist alles sehr herausfordernd.

Es fühlt sich aber anders an als das Referendariat?

Maxie: Es ist ganz ganz anders. Man fühlt sich nicht mehr so beobachtet. Klar gibt es noch Dienstbeurteilungen bis man verbeamtet wird. Das war nochmal kurz spannend. Insgesamt ist die Arbeit befreiend und schön, vor allem mit der eigenen Klasse. Neben all der Anstrengung gibt es ganz viel Positives und Schönes.

Aline Weber
Aline Weber: Sie hat Spanisch, Geschichte und Deutsch studiert und zum Schuljahrsende 2023 / 2024 am S­eminar Tübingen das Referendariat abgeschlossen. Ihre Schule war das Gymnasium in Dornstetten im Schwarzwald. Sie beginnt ihre Laufbahn als Gymnasial­lehrerin an einer kaufmännischen ­beruflichen Schule in ­Göppingen.

Fühlt ihr euch gut ausgebildet und vorbereitet?

Moritz: Ich fühle mich gut genug ausgebildet. Da hat das Seminar viel geleistet. Auch die Kolleg*innen an der Schule, die nochmal andere Aspekte eingebracht haben. Und trotzdem gibt es vieles, was ich mir noch selbst beibringen muss. Ich bin optimistisch und habe alles, um weiterzuarbeiten, wo es bei mir noch Bedarf gibt.

Aline: Dass ich gut vorbereitet bin, habe ich zu 80 Prozent meiner Schule zu verdanken. In den Seminaren gibt es je nach Fach riesige Unterschiede. Ich habe mit drei Fächern drei unterschiedliche Ausbildungen erlebt. Ich hatte zwei tolle Fachleitungen und eine leider nicht so gute. In dem einen Fach musste ich mir selber helfen und viel durch begleitenden Unterricht und Unterrichtsbesuche bei Kolleg*innen ausgleichen.

Maxie: Mein Seminar in Ellwangen arbeitete immer sehr kompetent und war sehr auf das Wohlergehen der Referendar*innen bedacht. Der Abschluss hat aber viel Schweiß und Tränen gekostet.

Es gibt Lehrkräfte, die sagen, das Referendariat war die schlimmste Zeit ihres Lebens. Wie habt ihr die Zeit erlebt?

Aline: Für mich war es nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. Meinen Vollzeitjob vor dem Referendariat fand ich schlimmer, weil er mir überhaupt keinen Spaß gemacht hat. Im Referendariat habe ich definitiv mehr als 40 Stunden gearbeitet, aber ich bin jeden Morgen gerne zur Schule gefahren. Ich habe es als sehr lehrreich empfunden und gemerkt, wie ich über mich hinauswachse. Im Seminar Tübingen sind sie sehr bemüht, die Umstände für die Referendar*innen zu verbessern.

Moritz: Neben vielen Punkten, die man ändern und verbessern sollte, gibt es vieles, was schön ist und was sich lohnt so zu durchleben. Vor allem die Arbeit mit den Schüler*innen bereitete mir viel Freude. Und viele Kolleg*innen haben mich unterstützt. Es war auf jeden Fall eine Herausforderung, die viel Kraft gekostet hat.

Maxie: Ich war eine der wenigen, die das Referendariat am Seminar Ellwangen positiv erlebt hat. Ich erlebte viel Rückhalt, durfte in meinem Fach Kunst viel ausprobieren und erfuhr viel Bestätigung an meiner Schule. Eine meiner größten Lernerfahrungen war, streng und konsequent zu sein. Dass Strenge zeigen so wichtig sein kann, wie die Leitplanken an Autobahnen.

Du hast vorhin aber auch von Schweiß und Tränen geredet.

Maxie: Wir müssen im sonderpädagogischen Handlungsfeld außerhalb des Unterrichts ein Kooperations-Projekt machen. Ich habe innerschulisch kooperiert und für meine Schule eine Instagram-Seite erstellt. Daraus musste ich eine Hausarbeit verfassen und eine mündliche Prüfung ablegen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo ich mit meiner zweiten Fachrichtung gestartet bin und parallel noch den Unterricht meiner Schule in der ersten Fachrichtung. Das waren utopische Anforderungen. Performen und benotet werden. Das belastet am meisten.

Moritz Jakl
Moritz Jakl: Der neu ausgebildete Gymnasiallehrer mit den Fächern Deutsch und evangelische Religion hat mit Schuljahrsende 2023 /20 24 das Referendariat am Seminar Tübingen beendet. Seine Schule war das Friedrich-List-Gymnasium in Reutlingen. Ab September startet er an einer hauswirtschaftlichen beruflichen Schule in Geislingen/Steige.

Dass man sehr oft bewertet wird, ist das nur lästig oder auch nötig?

Moritz: Feedback ist wichtig, dass man an sich arbeiten kann. Wenn aber über Monate hinweg immer nur auf das geschaut wird, was noch nicht läuft, dann zehrt es enorm am Selbstbewusstsein und an der Kraft. Irgendwann ist alles mit Druck, Bedeutung und Erwartungen aufgeladen, dass die psychische Belastung hoch wird.

Aline: Die subjektiven Bewertungen fand ich sehr anstrengend. Im ersten Ausbildungsabschnitt wird man laufend von seinen Mentor*innen bewertet. Dann folgen die Unterrichtsbesuche. Die sind zwar wichtig, weil sie wie die Lehrproben laufen. Man weiß aber, dass man es der Fachleitung recht machen muss, damit die Note der Lehrprobe gut wird. Über den Austausch mit anderen Referendar*innen merkt man, dass die Bewertungen sehr unterschiedlich sind. So sehr, dass man nicht weiß, wie man damit umgehen soll.

Maxie: Bei meiner Ausbilderin hatte ich immer den Eindruck, dass sie bezweifelt, dass ich den Abschluss schaffen kann. Später war es für mich eine Genugtuung, dass ich den besten Abschluss am Seminar in Ellwangen gemacht habe. Wir sind so sehr von subjektiven Bewertungen abhängig. Wir müssen lernen, die Ratschläge gut einzuordnen und abwägen, was man an sich ranlässt und was nicht.

Wie könnte ein gutes Feedback eurer Meinung nach aussehen?

Moritz: Mit einer Kollegin habe ich es gut gehandhabt: Wir einigten uns auf drei Punkte, die ich gut gemacht habe. Der Schritt wird oft übersprungen, weil es für selbstverständlich gehalten wird. Wir brauchen es aber für unsere Psyche. Danach besprachen wir maximal drei Aspekte, an denen ich noch arbeiten sollte, also über selektiv reduzierte Kritik. Man kann sich eh nicht zu viel auf einmal vornehmen.

Aline: Ich habe oft gehört, dass Rückmeldungen von Schulleitungen hilfreicher waren als die von Fachleitungen. Sie konzentrieren sich oft zu sehr auf Details von einer einzigen Stunde.

Wenn ihr fachlich, didaktisch oder pädagogisch ein Thema nachholen könntet, was wäre das?

Maxie: Jetzt merke ich, dass ich gerne über Elternarbeit mehr Input erhalten hätte. Im Studium habe ich auch nur ein Seminar dazu besucht. Nun denke ich, es hätte mehr Angebote und Pflichtveranstaltungen dazu geben sollen. Ich habe jetzt ein Elternpaar, das mit dem Anwalt droht. Auf solche Fälle bin ich nicht vorbereitet.

Aline: Der perfekte Lehrprobenunterricht steht zu sehr im Fokus. Man kann eine 45-Minuten-Stunde so halten, dass sie jedem gefällt. Viel wichtiger ist aber: Wie kann ich bei einem vollen Deputat immer noch einen guten Unterricht halten? Einer, der realitätsnäher ist und nicht Wunschvorstellungen entspricht, den hinterher eh niemand mehr mit 25 Stunden hinbekommt.

Moritz: Ich hätte mir mehr konkrete Unterstützung gewünscht, wie ich Leistungen von Schüler*innen differenziert beurteilen kann. Vor allem für Deutsch, wo es lange Aufsätze gibt. Im Seminar haben wir das in einem Kurs ein bisschen geübt. Insgesamt wurden wir uns oft selbst überlassen, wie wir Aufsätze bewerten und Noten verteilen.

Maxie Höppel
Maxie Höppel: Die Sonderpädagogin mit Fachrichtung geistige Entwicklung, Sprache und Kunst hat ihr erstes Dienstjahr hinter sich. Sie hat ihr Referendariat 2023 am ­Seminar Ellwangen absolviert und war in Schwäbisch Hall und in Künzelsau an der Schule. Sie arbeitet jetzt an einer Schule im Taubertal.

Gibt es ein Ereignis, das sich bei euch eingebrannt hat?

Maxie: Ich erinnere mich an eine meiner ersten Stunden in einer beruflichen Schule mit großen Jungs, alle größer und stärker als ich. Ich habe angekündigt, dass ich meine Lehrprobe in Kunst machen will. Der Klassensprecher meinte zu mir: „Also wenn du meinst, Frau Höppel, dass wir was mit Schere und Kleber machen, dann täuschst du dich.“ Der gleiche Schüler hat nach einer Doppelstunde Kunst nicht aufhören wollen und sagte: „Das machen wir jetzt jeden Tag.“

Aline: Meine Mentorin sagte am Anfang zu mir, dass die nächste Zeit sicherlich hart werde und ich bestimmt auch viel negatives Feedback bekommen werde. Ich soll aber immer daran denken, dass noch nie ein Meister vom Himmel gefallen sei. Sie habe schon in der ersten Stunde gesehen, dass ich gut sei. Ich soll immer im Hinterkopf behalten, dass ich in dem Job richtig sei. Das war sehr motivierend.

Moritz: Negativ hat sich mein erster Unterrichtsbesuch bei mir eingebrannt. Im Feedback danach wurde ich ordentlich untergebuttert. Es war schwierig, mein Selbstbild danach wieder aufzubauen. Aber insgesamt bleiben mir mehr positive Situationen in Erinnerung. Die schönsten sind, wenn man das Gefühl hat, jetzt habe ich die Schüler*innen erreicht und die Augen leuchten auf. Oder wenn ich merke, dass Beziehungen entstanden sind und Schüler*innen auch was Persönliches erzählen.

Was wünscht ihr euch vom neuen Kollegium? Was können sie tun, damit es euch als Dienstanfänger*innen gut geht?

Aline: Dass ich mich mit Fragen an die Kolleg*innen wenden kann und nicht das Gefühl bekomme, ich nerve.

Moritz: Ich wünsche mir einen guten Austausch und gegenseitige Bereicherung beispielsweise mit Unterrichtsmaterialien. Wenn man weniger Einzelkämpfer ist und sich mehr als Team begreift, ist das sicher förderlich.

Maxie: Gut ist, wenn man über die Gepflogenheiten der Schule gut informiert wird. Zum Beispiel wie mit den Klassenbüchern umgegangen wird, wen man bei Ausflügen informieren muss, wie es mit dem Datenschutz läuft und vieles andere mehr. Ich wurde im Referendariat in der letzten Ferienwoche angerufen und in der neuen Schule willkommen geheißen und über ein paar Punkte aufgeklärt. Das fand ich sehr schön.

Das Interview führte Maria Jeggle, Redakteurin der b&w.

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Maria Jeggle
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