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Frauen* und Mädchen* in der Wissenschaft

Wohin verschwinden die Frauen?

Die Landesregierung hat im Koalitionsvertrag eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie vereinbart. Seit 2018 liegt für die Gleichstellung im Hochschulbereich ein Strategiepapier der LaKoG vor. Aus dem MWK sind bisher keine Pläne bekannt.

Weniger als jedes vierte Mitglied im Landtag ist eine Frau. Ohne die Fraktion der Grünen, die mehr als 50 Prozent weibliche Mitglieder hat, sähe es noch düsterer aus. Zur Parität in der Politik ist es gerade in Baden-Württemberg noch ein weiter Weg. Doch es gibt einen Lichtblick: Infolge einer erfolgreichen Kampagne des Landesfrauenrates im Bündnis mit vielen anderen Organisationen – auch der GEW – wurde für unser Land eine Wahlrechtsreform beschlossen, die den Frauenanteil im Landtag erhöhen wird. Damit kommt Baden-Württemberg der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern einen großen Schritt näher.

Doch die amtierende Regierung hat sich mehr vorgenommen: Nicht weniger als eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie für unser Land, also die gemeinsame Umsetzung in der Arbeit aller Ministerien, wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Das ist ein großer Schritt voran und könnte sogar beispielhaft sein für die Politik anderer Bundesländer. Wie schon bei der Wahlrechtsreform setzt sich ein breites gesellschaftliches Bündnis für die Umsetzung dieser Gleichstellungsstrategie ein. Die GEW arbeitet im Netzwerk mit vielen Partner*innen daran, dass dabei an alle Bildungsbereiche gedacht wird.

In vielen Gesellschaftsbereichen zeigt sich, dass Baden-Württemberg einen großen Aufholbedarf in der Gleichstellung von Frauen und Männern hat und für Verbesserungen große Schritte nötig sind. Besonders schlecht ist die Bilanz der Gleichstellung im Feld von Wissenschaft und Forschung. Die GEW tritt daher mit Nachdruck für Gleichstellung in Hochschulen ein und hat in einem ersten Schritt zur Fachtagung Mitte Februar nach Stuttgart ins DGB-Haus eingeladen. Dort trafen sich 50 Expert*innen aus dem Hochschulbereich – unter ihnen viele Gleichstellungsbeauftragte. Ziel der Tagung war neben einer Problemanalyse, in Podiumsdiskussion, Austauschrunde und Workshops Forderungen an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) und Wünsche an die GEW gemeinsam zu erarbeiten.

Frauen in der Wissenschaft stärken

Weniger als jede vierte Professur wird in Baden-Württemberg von einer Frau besetzt. Ohne die sechs Pädagogischen Hochschulen im Land mit einem Professorinnenanteil von 45 Prozent sähe es noch schlechter aus. Unterrepräsentanz von Männern kennt der Wissenschaftsbereich in Baden-Württemberg dagegen nicht. Dies liegt größtenteils nicht an fehlenden Frauen in der Studierendenschaft oder bei den Promotionen, sondern – da sind sich Expert*innen einig – die Frauen gehen in der Postdocphase verloren. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. „Dass Baden-Württemberg im Ländervergleich hier den drittletzten Platz in der Gleichstellungsbilanz belegt, ist beschämend und aus Sicht der GEW nicht länger hinnehmbar“, sagte Monika Stein auf der GEW-Tagung.

Auf dem Podium ging es um die Frage: „Wohin verschwinden die Frauen*?“ Klare Rollenbilder, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, unplanbare Karrierewege – Wissenschaft und Forschung sind besonders für Frauen ein herausforderndes Arbeitsfeld.

Der „Traumjob Professorin“ scheint für viele Kandidat*innen nicht erreichbar. Professorin Angelika Hirsch, stellvertretende Sprecherin der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten (LaKoG) an HAW (Hochschulen für Angewandte Wissenschaften) und der DHBW (Dualen Hochschule in Baden-Württemberg), verwies beispielsweise darauf, dass vielen Frauen der Karriereweg zur Professur an einer HAW unbekannt sei. Umso wichtiger seien – da sind sich die Diskutierenden einig – die direkte Ansprache und Stärkung von Frauen in der Wissenschaft. Kompetente Frauen müssten zudem schon früh weibliche Vorbilder an ihren Hochschulen kennenlernen. Solche positiven Erfahrungen ermöglichten Mentoringprojekte wie das Programm „Traumberuf Professorin“ eines Zusammenschlusses von HAW, das nun ausgeweitet wird.

Die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Planbarkeit von Karrierewegen sind – da waren sich auch alle einig – ein Hauptgrund, dass Wissenschaftlerinnen der Forschung den Rücken kehren. Doktorin Birgid Langer, Sprecherin der LaKoG, wusste, dass viele Wissenschaftler*innen in die nordischen Länder abwandern, wo die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wesentlich besser seien. Unverständlich sei daher, dass gerade Individual­förderprogramme für Wissenschaftler*innen mit Kindern wie das erfolgreiche Brigitte-Schlieben-Lange-Programm aktuell im MWK zur Diskussion gestellt werden. Trotz der enormen Investitionen in den Ausbau der frühkindlichen Bildung in den letzten Jahren sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ein Schlüssel für erfolgreiche Karrieren von Frauen nicht zufriedenstellend gelöst.

MINT-­Förderung von Mädchen und Frauen

Die Hochschulen sind gleichermaßen als Arbeitgeberinnen, im Wissenstransfer und als Ausbildungsstätten gefragt, eine Gleichstellung von Frauen zu erreichen. Die Vorschläge der GEW zur Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das die Planbarkeit der Karriere­wege in der Wissenschaft verbessern soll, wurden durchweg positiv beurteilt.

Ganz konkrete Forderungen aus der Tagung an das MWK nahmen die frauenpolitischen Sprecher*innen der Landtagsfraktionen der Grünen sowie der SPD mit. Stefanie Seemann (Grüne) will sich dafür einsetzen, dass das MWK nicht nur der Hochschulleitung, sondern auch den Gleichstellungsbeauftragten Rückmeldungen zu den Gleichstellungs­plänen gibt und dabei auf Kennzahlen und auf Prozesse schaut. Dorothea Kliche-­Behnke (SPD) will beim Ministerium einen weiteren Ausbau von Dauerstellen im Bereich der wissenschaftsunterstützenden Maßnahmen erreichen und kann die weiterführenden Forderungen der Gleichstellungsbeauftragten nachvollziehen: Funktionszulagen für Gleichstellungsbeauftragte sowie eine Nachbesserung bei der Ausstattung, klare Vorgaben des Ministeriums im Bezug auf Genderkompetenz von Führungspersonal, Richtlinien für gendergerechte Stellen- und Berufungsverfahren sowie Konsequenzen bei Nichterfüllung von Kaskadenzielen.

Wie die GEW sahen die Teilnehmenden der Tagung die Gleichstellung von Frauen und die Diversität an Hochschulen gleich wichtig. Beide Ziele müssen mit den notwendigen Mitteln und Strukturen ausgestattet und parallel verfolgt werden.

Ein besonders wichtiges Ergebnis der Tagung für die GEW-Arbeit ist der Wunsch der Hochschulfrauen, gerade in der Förderung von Mädchen und Frauen in MINT-Berufen eng mit den anderen Bildungsbereichen zusammenzuarbeiten. In den MINT-Fächern sind Frauen teilweise bei Studierenden oder den Promovierenden unterrepräsentiert. Eine Gleichstellung der Geschlechter kann hier nur erreicht werden, wenn mehr junge Frauen für das jeweilige Studium begeistert werden – was übrigens auch ein probates Mittel zur Beseitigung des Lehrkräftemangels in diesem-Bereich sein könnte. Dazu brauche es eine MINT-­Förderung von Mädchen von der Kita an. Diesen Wunsch nahmen Monika Stein und alle GEW-Vertreter*innen zustimmend auf.

Die Fachtagung war ein erster Schritt für die Umsetzung von Gleichstellung an Hochschulen. Im Austausch hat sich gezeigt, dass die Gleichstellungsakteur*innen in ihren Wünschen und Forderungen übereinstimmen – eine gute Basis für ein starkes Bündnis für eine Gleichstellungsstrategie im Hochschulbereich.

Kontakt
Manuela Reichle
Referentin für Hochschule und Forschung; für Frauen-, Geschlechter- und Gleichstellungspolitik; gewerkschaftliche Bildung
Telefon:  0711 21030-24