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IQB-Studien 2021

Zu viele Grundschüler*innen können schlecht lesen, schreiben und rechnen

Im Oktober 2022 wurde der dritte IQB-Bildungstrend veröffentlicht. Getestet wurden die Kompetenzen der Viertklässler in Deutsch und Mathematik. Für Baden-Württemberg war der Bericht im Vergleich zu den anderen Bundesländern keine gute Nachricht.

Die Ergebnisse der Schüler*innen werden in der Studie vier Kompetenzstufen zugeordnet: dem Optimalstandard (Stufe V), dem Regelstandard Plus (Stufe IV), dem Regelstandard (Stufe III) und dem Mindeststandard (Stufe II). Idealerweise sollte sich das Testergebnis jedes Schülers und jeder Schülerin in diese Stufen einordnen lassen.

Jedoch gibt es immer eine Gruppe, die auch die Mindeststandards nicht erreicht. Diese werden der Stufe I, „unter Mindeststandards“ zugeordnet und bilden seit PISA die so genannte „Risikogruppe“.

Eine repräsentative Stichprobe von Schüler*innen der vierten Klasse hat an den Tests teilgenommen. Schüler*innen mit einem sonderpädagogischen Bildungsanspruch „geistige Entwicklung“ und Schüler*innen, die weniger als ein Jahr in deutscher Sprache unterrichtet wurden, nahmen an den Tests nicht teil.

Wie üblich bei Kompetenztests werden die Leistungsergebnisse auch in Bezug zu sozialen Indikatoren wie Geschlecht, Migration und sozialer Herkunft gesetzt. Im diesem dritten Bericht wurden außerdem die Lernbedingungen im Fern- und Wechselunterricht während der Corona-Pandemie untersucht. Die Fächer Deutsch und Mathematik werden in Kompetenzbereiche aufgefächert: Lesen, Zuhören und Orthografie sind Teilbereiche von Deutsch. Größen & Messen oder auch „Raum & Form“ sind Teilbereiche in Mathematik.

Abbildung 1: Kompetenzen in Deutsch, Bereich LESEN, Quelle: Berichtsband (S. 52)

Ergebnisse und Trends

In allen Kompetenzbereichen ist ein (zum Teil deutlicher) Leistungsabfall seit 2016 festzustellen. Dies ist sicher zu einem Gutteil durch die Lehr- und Lernbedingungen der Pandemie zu erklären.

In Baden-Württemberg verfehlen 19,1 Prozent der Schüler*innen den Mindeststandard im Lesen. (siehe Abbildung 1)

Das sind etwas mehr Schüler*innen als im Durchschnitt aller Bundesländer (18,8 Prozent). Nur Bayern (14,1), Sachsen (12,9) und Schleswig-Holstein (15,0) gelingt es, den Anteil dieser „Risikogruppe“ signifikant unter dem deutschen Durchschnitt zu halten und stehen damit besser da. Auf der anderen Seite des Spektrums, beim Optimalstandard, erreichen Hamburg (10,9) und wiederum Sachsen (11,3) und Bayern (11,4), die höchsten Prozentzahlen. Baden-Württemberg liegt mit 6,3 Prozent der Schüler*innen, die die höchsten Leistungswerte erzielen, ungefähr im deutschen Mittelfeld (7,8).

Ein besonderes Sorgenkind ist die Orthografie. 28 Prozent erreichen hier in Baden-Württemberg nicht einmal das Mindestniveau, in Gesamtdeutschland sind es 30 Prozent, in Berlin, Brandenburg und Bremen gar über 40 Prozent. Den Optimalstandard erreichen bundesweit 6 Prozent, in Baden-Württemberg (7,3 Prozent) und Bayern (8,3 Prozent) werden hier die besten Werte im Länderranking erzielt.

Vergleicht man die Ergebnisse der Erhebungszeiträume 2011 und 2016 jeweils mit 2021, zeigt sich in allen Bundesländern eine kontinuierliche Verschlechterung in allen Kompetenzen. Allerdings in unterschiedlichem Ausmaß – und nicht jede Abweichung ist statistisch signifikant.

Im Lesen erreichten bundesweit 2021 knapp 58 Prozent mindestens den Regelstandard, das sind 8 Prozentpunkte weniger als 2016 und etwa 9 Prozentpunkte weniger als 2011. Das entspricht laut IQB-Bericht einem Lernrückstand von etwa einem halben Schuljahr.

Abbildung 2: Kompetenzen in Mathematik (Globalskala), Quelle: Berichtsband (S. 71)

Zum Vergleich der Ergebnisse der drei Berichtsjahre schreibt das IQB (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen):

„In Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen sowie im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen hat sich der Anteil der Kinder, die den Regelstandard erreichen oder übertreffen, zwischen den Jahren 2011 und 2016 nicht bedeutsam verändert. Zwischen den Jahren 2016 und 2021 nimmt er jedoch signifikant ab. Im Vergleich der Jahre 2011 und 2021 ist die ungünstigste Veränderung in Baden-Württemberg [...].“

Auch beim Verfehlen der Mindeststandards gehört Baden-Württemberg in die Ländergruppe, die bedeutsame Verschlechterungen verzeichnet. Hamburg und Rheinland-Pfalz sind die einzigen Länder, bei denen sich die Werte durchgängig nicht verschlechtert haben.

In Mathematik (siehe Abbildung 2) erreichen 54,8 Prozent aller Schüler*innen die Regelstandards (Baden-Württemberg 56,3 Prozent). Bayern und Sachsen verzeichnen hier Werte über 66 Prozent!

Ein Kommentar von Michael Hirn, stellvertretender GEW-Landesvorsitzender

Alle Jahre wieder grüßt das Murmeltier. Allerdings ohne jede Komik. Wie lange wollen wir noch zusehen, wie regelmäßig in einer Vergleichsstudie festgestellt wird, dass viel zu viele Schüler*innen weit unter dem bleiben, was sie lernen könnten und sollten? Wie lange müssen wir noch mehr oder weniger ohnmächtig zur Kenntnis nehmen, dass sich die Bildungsungerechtigkeit verstärkt und dass Kinder aus sozial schwächeren Familien zunehmend von Bildungschancen ausgeschlossen werden? Wie lange müssen wir noch die immer gleichen Lippenbekenntnisse der Politik ertragen, dass uns diese Ergebnisse anspornen, wir die Bemühungen verstärken, dass nachhaltige Veränderungen angestoßen werden müssen?

Es reicht. Seit bald 20 Jahren werden Ver­gleichsstudien vorgelegt. Wozu eigentlich? Weder können diese ­Studien erklären, warum die Ergebnisse so sind wie sie sind, noch können Wissenschaftler*innen daraus Vorschläge ableiten, wie man daran etwas ändern könnte. Auch die Politik muss mehr tun, als den Missstand zu beklagen.

Um fair zu bleiben: Natürlich wurden in schöner Regelmäßigkeit vom baden-württembergischen Kultusministerium Konzepte und Programme entwickelt, die die Situation an den Schulen verbessern sollen. Seit 2019 soll das Qualitätskonzept die Qualität der Schulen verbessern. Das ZSL und das IBBW wurden gegründet, die Schulverwaltung soll nicht mehr beraten, sondern nur noch beaufsichtigen. Viele Menschen arbeiten engagiert in den neuen Strukturen. Umfangreiche Instrumente wie der Feedbackbogen Unterricht, der Referenzrahmen Schulqualität und Programme wie „Starke Basis“ werden aufgelegt und sollen die Arbeit an den Schulen verändern.

Aus jeder Legislaturperiode seit der Veröffentlichung der ersten Pisa-Ergebnisse im Jahr 2000 könnte man ähnliche Ansätze nennen. Erfolgreich waren sie nicht oder jedenfalls nicht genug. Auch die derzeitige Landesregierung springt zu kurz: Die Programme werden viel zu sehr von oben verordnet. So fehlt ihnen Tiefe und Akzeptanz, und sie werden so an den Schulen ihr Potential (über das man streiten kann) nicht entfalten.

Außerdem müssen alle ­Programme zur Steigerung der Qualität von Kolleg*­innen mit Leben gefüllt werden, die oft am Rand ihrer Belastungsfähigkeit und darüber arbeiten. Und wir müssen ernst nehmen, was alle wissen: Wir müssen früher ansetzen. Wir brauchen eine viel stärkere Unterstützung der Familien mit kleinen Kindern, und die Kitas müssen befähigt werden, ihren Auftrag zu erfüllen.

Was wir brauchen: Einen überparteilichen und gesellschaftlichen Konsens, was die Bildung in Kitas und Schulen leisten soll, und ein nachhaltiges Bekenntnis, was die Kolleg*innen, die den Kindern und Jugendlichen diese Bildung ermöglichen, dafür brauchen. Neben Konzepten brauchen diese Kolleg*innen Zeit und Entlastung.

Übersetzt man die Kompetenzentwicklung in Lernzuwächse, die innerhalb eines Schuljahres erwartet werden können, dann sind die Lernzuwächse zwischen 2016 und 2021 bundesweit im Lesen etwa um ein drittel Schuljahr, im Zuhören um ein halbes Schuljahr, in der Orthografie um ein viertel Schuljahr und in Mathematik um etwas mehr als ein viertel Schuljahr zurückgegangen. (vergleiche Deutsches Schulportal 2022)

Disparitäten

Mit „Disparitäten“ werden die Testleistungen in Beziehung zu bestimmten sozialen Merkmalen wie Geschlecht oder dem sozialen Hintergrund der Familien gesetzt. Die Erhebung der dazu notwendigen Daten weist allerdings aufgrund der Freiwilligkeit der Angaben häufig große Lücken auf, weshalb Vergleiche nicht ohne weiteres möglich sind. Dennoch ist eindeutig, dass die Herkunft nach wie vor einen großen Einfluss auf Bildungschance und Lernleistung hat.

2021 ist dieser Zusammenhang sogar noch gewachsen: „Seit dem Jahr 2011 hat der soziale Gradient in Baden-Württemberg, Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen signifikant zugenommen, in keinem Land jedoch abgenommen.“. Mit anderen Worten: „Die soziale Schere geht weiter auseinander, Kinder aus benachteiligten Familien haben es immer schwerer. Gleiches gilt für zugewanderte Kinder der ersten Generation, die zu Hause eine andere Sprache als Deutsch sprechen. Das „Sprachbad“, das neu zugewanderte Schüler*innen normalerweise im Präsenzunterricht erleben, konnte seine Wirkung in Zeiten des überwiegenden „Homeschooling“ wohl nicht wie sonst entfalten.

Die Sprachförderung muss in der nächsten Zeit einmal mehr in den Fokus. Außerdem plädierte Petra Stanat, die Leiterin der aktuellen IQB-Studie, für die Abkehr von temporären Programmen und stattdessen für „kohärente, langfristig angelegte Strategien mit klaren Zielen, konkreten Umsetzungsplänen und einem begleitenden Monitoring.“ (Deutsches Schulportal 2022).

Quellen:

  • Petra Stanat, Stefan Schipolowski, ­Rebecca Schneider, Karoline A. Sachse, ­Sebastian Weirich, Sofie Henschel (Hrsg.): IQB-Bildungstrend 2021. Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im dritten Ländervergleich. (kurz: Berichtsband)
  • Deutsches Schulportal: IQB-Bildungstrend – Die wichtigsten Ergebnisse
  • Huck, L. & Schulz, A. (2015): „Jedes Kind kann Rechnen lernen!“. Erfahrungsbericht aus einem Fortbildungs- und Coaching-Projekt in der Grundschule. Grundschulunterricht ­Mathematik 4, 26-29.
  • KMK (2021): Pandemiebedingte Lernrückstände aufholen – Unterstützungsmaßnahmen fokussieren, verknüpfen und evaluieren.
Kontakt
Ute Kratzmeier
Referentin für allgemeinbildende Schulen
Telefon:  0711 21030-25