„Ich würde niemandem raten, in die Forschung zu gehen”, lautet die Schlussfolgerung eines Doktoranden beim Blick auf seine Arbeitsbedingungen. Ausgedrückt hat er diesen Unmut in einer Befragung der Mittelbauinitiativen Mannheim und Heidelberg, welche Ende 2017 an verschiedenen Hochschulen in den beiden Städten durchgeführt wurde.
Die Befragung richtete sich an den akademischen Mittelbau, also an Personen, die beruflich direkt mit Forschung und Lehre betraut sind, jedoch nicht zur Statusgruppe der Professorinnen und Professoren gehören. Insgesamt stieß die Befragung auf großen Anklang: 425 Mitglieder des akademischen Mittelbaus folgten dem Aufruf, über ihre beruflichen Erfahrungen im Wissenschaftssystem zu berichten. Redebedarf scheint es also zu geben.
Eine erste (wenn auch wenig überraschende) Erkenntnis ist, dass die befristete Beschäftigung noch immer die Regel im wissenschaftlichen Dienst darstellt. So geben 87 Prozent der Befragten an, sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis zu befinden. Was in der Promotionszeit noch den Charakter einer beruflichen Orientierung haben kann, lässt sich spätestens nach Erlangen des Doktorgrads deutlich schwieriger rechtfertigen. Dennoch geben 86 Prozent der befragten promovierten Mitarbeiter/innen an, befristet angestellt zu sein. Die Länge der Verträge liegt dabei auch nach abgeschlossener Promotion im Mittel bei gerade einmal rund zwei Jahren und vier Monaten.
Im Hinblick auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ist dies kritisch zu betrachten, da dieses Gesetz vorsieht, dass die Befristungsdauer der Verträge von Wissenschaftler/innen der Dauer der jeweiligen Qualifikationsphase (hier Habilitation) zu entsprechen hat (§2 Abs. 1 WissZeitVG). Auch der Stellenumfang liegt jenseits des Zumutbaren. Es ist gängige Praxis, dass Promovierende auf 50-Prozent-Stellen befristet angestellt sind, üblicherweise dennoch voll arbeiten (in der Befragung im Schnitt 37,8 Stunden pro Woche).
Auch rund ein Viertel der bereits Promovierten haben ebenfalls keine Vollzeitstelle. Überstunden sind auch auf dieser Karrierestufe mit im Schnitt 7,7 Stunden pro Woche eher die Regel und summieren sich bei etwa 30 Prozent der befragten Doktor/innen sogar auf mehr als zehn Überstunden. Abgegolten werden diese nicht, wie eine der Befragten schildert: „Bei meinem Einstellungsgespräch fragte ich nach Überstundenregelungen. Als Reaktion erhielt ich Verdutztheit, Lachen und die Mitteilung, dass hier niemand Überstunden aufschreibe.“ Die Anzahl der Überstunden schmälert statistisch signifikant die Arbeitszufriedenheit der Teilnehmenden und erhöht deren Stressempfinden.
So kann man fragen: Wieso lassen sich hochqualifizierte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt auf solche Arbeitsverhältnisse ein? Hier mögen idealistische Gedanken eine wichtige Rolle spielen, wie etwa der Wunsch, dazu beizutragen, das Wissen der Menschheit zu mehren. Darüber hinaus geben viele an, sehr zufrieden mit den Inhalten (Forschung und Lehre) ihrer Arbeit zu sein. Vor allem die Autonomie bei der inhaltlichen und zeitlichen Gestaltung des Arbeitsalltages wird besonders positiv hervorgehoben.
Gesetz wirkt nicht
Bei der Frage nach der persönlichen Weiterqualifikation und Karriereplanung äußerten die Befragten jedoch großen Unmut. Dazu muss man wissen, dass wissenschaftliche Mitarbeiter/innen im Regelfall maximal zwölf Jahre ab Beginn der Promotion in befristeten Stellen eingestellt sein dürfen. Danach ist eine Befristung nur noch im Rahmen von Drittmittelprojekten möglich. Dies regelt das WissZeitVG. Eigentlich wurde das Gesetz geschaffen, um die Praxis der Kettenbefristung zu brechen und Wissenschaftler/innen besser abzusichern. Das Gesetz scheint aber genau das Gegenteil zu erreichen.
Zahlreiche akademische Mitarbeiter/innen bemängeln in der Umfrage, dass der einzige Weg, eine entfristete Stelle zu erhalten, eine Berufung auf eine der sehr stark limitierten Professuren ist. Zwei Teilnehmer/innen monieren: „Momentan stehen die Möglichkeiten für wissenschaftliches Personal, unbefristet angestellt zu werden, bei null. Entfristungs- und Aufstiegsmöglichkeiten sind aber zentral für die berufliche Perspektive.“ Die geringe Stellensicherheit und die schwierigen Karriereaussichten werden in der Befragung als bedeutsamster Stör- und Stressfaktor im wissenschaftlichen Berufsfeld identifiziert.
Langfristig auf Aufbau von Expertise setzen
Kritisiert wird auch, dass die unmittelbaren Vorgesetzten (in aller Regel Professorinnen und Professoren) sich dieses Themas häufig nicht annehmen und nicht hinreichend geschult sind, wissenschaftliches Personal zu qualifizieren. Für einige Professor/innen scheint es attraktiver zu sein, abzuwarten, bis sich das Problem von selbst löst, beispielsweise wenn ihre Angestellten selbst kündigen oder Verträge auslaufen. So werden zumindest in den Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten in der Rhein-Neckar-Region in der Regel kaum noch Maßnahmen zur effektiven Entwicklung des wissenschaftlichen Personals ergriffen.
Ein promovierter Teilnehmer merkt an: „Postdocs werden überhaupt nicht strukturiert gefördert. Es gibt keine Informationen und Ansprechpartner für berufliche Perspektiven und Weiterbildung.“ Ein weiterer Teilnehmer schreibt, dass man ohne Gelder und feste Stellen für den Mittelbau „keine Drittmittel einwerben und Projekte abarbeiten kann.“ Erfolg könne es nur geben, „indem man langfristig auf den Aufbau von Expertise setzt. Das bedeutet, eine langfristige Personalpolitik zu verfolgen, was jedoch durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz torpediert wird.“
Die vorherrschende Kettenbefristungspraxis, Unsicherheit über den zukünftigen Arbeitsort (Berufungen können eine Verlegung des Lebensmittelpunktes über hunderte Kilometer nach sich ziehen) und der weiter grassierende Wettbewerb in der Wissenschaft richten weitere Flurschäden im Leben der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen an: 38,5 Prozent der Befragten mit Kinderwunsch geben an, diesen schon einmal aus beruflichen Gründen zurückgestellt zu haben.
Unsichere und sogar gesetzeswidrige Arbeitsbedingungen
Wissenschaftler/innen an den Mannheimer und Heidelberger Hochschulen gehen ihrer Arbeit zwar mit großer Leidenschaft nach, tun dies aber mehrheitlich unter unsicheren oder sogar gesetzeswidrigen Arbeitsbedingungen. Viele wissen nicht, wie sie sich in der Wissenschaft eine echte Perspektive aufbauen können. Entwicklungsmöglichkeiten in- und außerhalb der Wissenschaft werden den Befragten zufolge weder von ihren Vorgesetzten noch von den Institutionen hinreichend aufgezeigt.
Somit wird billigend in Kauf genommen, dass hochqualifizierte Forschende nach zwölf Jahren ohne Orientierung auf den Arbeitsmarkt gespült werden und gleichzeitig deren Wissen, Können und Erfahrung den wissenschaftlichen Einrichtungen verloren gehen. Was individuell bereits eine Tragödie darstellt, lässt sich auf Systemebene als wissenschaftspolitisches Desaster bewerten. Eine Befragungsteilnehmerin schreibt dazu: „Das universitäre System tut schlicht nichts, um qualifizierte Mitarbeiter zu halten.“
Eine Wissenschaftlerin rät: „Den Mittelbau zu stärken, bedeutet, langfristige Ziele zu entwickeln und nicht den politischen und ökonomischen Bedürfnissen im Vierjahrestakt nachzujagen!“ Hierfür sind eine langfristige Personalpolitik mit einer höheren und gesicherten Grundfinanzierung und entfristete (Vollzeit-)Stellen nötig. Unter diesen Voraussetzungen kann Wissenschaft nachhaltig gelingen und man könnte jungen Menschen wieder dazu raten, Forschung und Lehre als Beruf auszuüben.
Mittelbauinitiativen Mannheim und Heidelberg
Die Mittelbauinitiativen sind ein Zusammenschluss von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die an den Universitäten Mannheim und Heidelberg und assoziierten Forschungsinstituten beschäftigt sind. Ziel der Initiativen ist es, die Arbeitsbedingungen des akademischen Mittelbaus in Mannheim und Heidelberg sowie aktuelle Entwicklungen in der deutschen Hochschullandschaft und -politik zu diskutieren und die Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung für Wissenschaftler/innen langfristig zu verbessern.
Die Mittelbauinitiativen sind Teil des „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ (NGAWiss), das sich als Vernetzungsplattform Anfang 2017 in Leipzig gegründet hat und an dem Initiativen aus mehr als 40 Einrichtungen beteiligt sind. Die GEW unterstützt die NGAWiss bei Veranstaltungen vor Ort.