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„Waffenhandel, eine Fluchtursache“ – Diskussion mit Gernot Erler und Jürgen Grässlin

Gernot Erler, langjähriger Bundestagsabgeordneter und Jürgen Grässlin, „Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner“, diskutierten am 2. Februar im DGB-Haus Freiburg ein Thema mit enormer gesellschaftlicher Brisanz: „Waffenhandel eine Fluchtursache“. Der Titel war bewusst als Statement und nicht als Frage formuliert, wie Thomas Steinebrunner, DGB-Gewerkschaftssekretär, bei seiner Begrüßung der Gäste betonte. Die Zuhörer*innen konnten – bei vollem Haus – einer angeregten und kontroversen Diskussion folgen.

Peter Fels, Kreisvorsitzender der GEW Freiburg, moderierte die Diskussionsrunde mit vier Fragen. Auf die Frage, welche deutschen Waffen auf welchem Weg in Krisen- und Kriegsgebiete gelangen, stellte Gernot Erler zunächst fest, dass Deutschland eigentlich ein sehr strenges Waffenkontrollsystem hat. „Leider wird da aber nicht ausgeschöpft, was möglich wäre“, so Erler. Besonders eindrücklich schilderte Jürgen Grässlin, welche unrühmliche Rolle der Bundessicherheitsrat bei den legalen Waffengeschäften spielt. „Der Bundessicherheitsrat (BSR) ist nicht demokratisch und transparent. Er ermöglicht es, dass Deutschland z.B. nach Saudi-Arabien und Algerien Waffen liefern kann. Denn mit dem Totschlagargument „Terrorbekämpfung“ können alle Ausnahmen legitimiert werden. “ Erler ergänzte an dieser Stelle, dass bei der momentanen gesetzlichen Lage, keine Korrektur von Fehlentscheidungen des BSR möglich wäre. Dies will die SPD unbedingt durchsetzen, sollte sie in der Regierung bleiben.

In der Frage, inwiefern der Einsatz von Kriegswaffen zu Menschenrechtsverletzungen beitrage und damit die Flucht von Millionen von Menschen verursache, zeichnete sich folgendes Bild ab. Grässlin beschrieb die historische Entwicklung des immer wieder brisant aufflammenden Konflikts zwischen der Türkei und Kurdistan. „Deutschland und die USA haben damals die meisten Waffen geliefert und damit dazu beigetragen, dass der Bürgerkrieg im wahrsten Sinne des Wortes befeuert wurde.“ Grässlin sieht Parallelen zur problematischen Entwicklung der Türkei heute und schließt den Kreis der Argumentation: „Wenn die Waffenlieferungen in die Türkei nicht aufhören, sehe ich für die Entwicklung dieser Regionen schwarz, auch hinsichtlich von Festnahmen und Folterungen von Lehrer*innen oder Gewerkschaftlern bzw. kritischen Journalisten“ Erler antwortet auf die Frage aus einer komplett anderen Perspektive. Er bezieht sich auf die Zeitenwende, die durch den Terroranschlag vom 11. September in New York eingeleitet wurde. „Der Krieg gegen den Terror wird von allen Ländern, die von Deutschland Waffen bekommen, als Hauptargument angeführt. So übrigens auch von der Türkei, die mit der PKK eine Terrororganisation bekämpft“, so der Politiker. Ebenfalls zwei unterschiedliche Perspektiven erschlossen sich auch aus der Nutzung von gelieferten Kriegsschiffen: Erler argumentierte, dass diese durch die Größe schon einen großen Teil der Ausgaben durch Rüstung darstellen, aber eben auch zum Küstenschutz eingesetzt werden können. Grässlin widersprach der Doktrin von Außenminister Genscher: „Das stimmt eben nicht, dass »alles, was schwimmt, geht«! Denn Schiffe könnten „auch zur Seeblockade verwendet werden, wie der tödliche Krieg im Jemen zeigt.“ Besonders wies er hier nochmals auf die Rolle der Golfstaaten Saudi Arabien und Katar hin. Das erstgenannte Land sticht extrem negativ hervor in der Unterstützung von IS, den Taliban und der Terrororganisation Boko Haram. Katar will eine Fußballweltmeisterschaft ausrichten und lässt seine Stadien durch Sklavenarbeit bauen. Grässlin konstatiert: „Eine Fußballweltmeisterschaft, die auf dem Rücken von Menschenrechten ausgetragen wird, sollten wir uns tunlichst ersparen.“

Auf die Frage, welche Unternehmen kräftig mitmischen beim Waffenexport in Krisen- und Kriegsgebiete, nannte Jürgen Grässlin die führenden Unternehmen Deutschlands: „Das sind im Bereich der Großwaffensysteme allen voran die deutsch-französische Airbus, Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, ThyssenKrupp Marine System und Diehl.“ Dabei wies der Vorsitzende des Freiburger RüstungsInformationsbüros auf die besondere Rolle des hiesigen Rüstungsproduzenten Northrop Grumman LITEF hin. „LITEF fertigt zentrale Teile für Kriegsschiffe, Kampfpanzer und -flugzeuge. Der Eurofighter beispielsweise wird mit Navigationsgeräten von LITEF an den kriegführenden Staat Saudi-Arabien ausgeliefert.“

Auf die Nachfrage nach der Rolle der Kleinwaffenproduzenten verwies Grässlin auf tödliche Pistolen- bzw. Gewehrexporte von Heckler & Koch, Sig Sauer und Carl Walther in Bürgerkriegsländer. „Nach meiner Strafanzeige wird führenden H&K-Beschäftigten alsbald in Stuttgart der Prozess gemacht!“

Abschließend wurde die Frage erörtert, was genau jede*r Einzelne tun könne, um zu einer friedlicheren und gerechteren Welt beizutragen. „Eigentlich ist das ganz einfach“, stellt Jürgen Grässlin fest. „Wechseln Sie zu einer rüstungsfreien Bank. Erwerben Sie eine Aktie bei einer Rüstungsfirma und nehmen Sie für uns Kritische Aktionär*innen das Rederecht auf den Aktionärsversammlungen wahr. Auch das Stichwort Rüstungskonversion, also inwiefern Rüstungsfirmen ihre Produktion auf die Herstellung von zivilen Produkten umstellen können, fiel an dieser Stelle. Hier spielen Gewerkschaften eine wichtige Vermittlungsrolle, gerade wenn es um die Umstrukturierung von Arbeitsplätzen geht.

Gernot Erler umriss die Pläne der SPD bezüglich der Umstrukturierung des Bundessicherheitsrates. Die SPD möchte die Kontrollmechanismen des BSR verschärfen und durchsetzen, dass sogenannte Drittstaaten (Saudi Arabien, Algerien usw.) keine Waffen mehr geliefert bekommen. Weiterhin will die SPD sich dafür einsetzen, dass nach drei Jahren geprüft wird, ob man in Staaten, in die Waffen geliefert hat, die Situation stabil sei. „Die Endverbleibsregelung muss deutlich strenger werden und Kleinwaffen müssen markiert werden“, so der Politiker. Außerdem will er dafür werben, dass die politischen Grundsätze zum Umgang mit Waffenlieferungen in ein Gesetz überführt werden.

In einer abschließenden Runde gab es für die beiden Kontrahenten die Gelegenheit, ihre Ausführungen aufeinander zu beziehen. Hier wurde deutlich, dass auch die Bewaffnung der Peschmerga, 2011, als der Syrienkrieg und der IS Jessiden und Jessidinnen töteten, sehr unterschiedlich bewertet wird. Grässlin wundert sich enorm, dass die Bundesregierung plötzlich zwischen „guten und bösen“ Kurden unterscheidet. „Waffen wandern und bleiben nie an der Stelle, an der sie geliefert wurden“, so der vielfache Friedenspreisträger. „So landeten G3- und G36-Gewehre in den Händen der Terrororganisation IS!“ Erler stellt hingegen dar, dass damals kein Land bereit war, gegen die Eroberung der irakischen und syrischen Kurdengebiete Bodentruppen zu schicken. „Wie kann man dann den Peschmerga Waffen vorenthalten, wenn sie als einzige Partei bereit sind, ihr Land wieder zurückzuerobern?“

Im folgenden Teil des Abends kamen viele Zuschauer*innen zu Wort. Es ging z.B. um die Austrocknung der Finanzen von Terrororganisationen. Einigen kam die Frage nach Fluchtursachen viel zu kurz. Andere forderten, dass Bildung und Arbeit ein möglicher Weg wäre, die Situation für die Geflüchteten und die Menschen in den Krisenländern zu verbessern. Eine Zuschauer*in war Teilnehmerin am „Civil March for Aleppo“ und warb, sich aktiv mehr für Frieden und Menschenrechte einzusetzen. Ein Schüler erntete großen Beifall, in dem er alle Staaten aufforderte mit der Lieferung von Waffen ganz aufzuhören. Es ist eigentlich ganz einfach, so Grässlin.

Oder sollte am Ende doch Karl Marx bestätigt werden? Muss Kapital vernichtet werden, wenn es kein wirtschaftliches Wachstum mehr gibt? Sind Waffenhandel und Krieg ein probates Mittel hierfür? Und eines darf nicht vergessen werden: Mit Waffen lässt sich natürlich auch ordentlich Geld verdienen.

 

Links zu den Veranstaltern und erwähnten Organisationen:

·         www.gew-fr.de

·         www.dgb.de

·         www.rib-ev.de

·         www.aufschrei-waffenhandel.de

·         www.civilmarch.org/de

v.l.n.r.: Peter Fels, Jürgen Grässlin, Gernot Erler, Andrea Wagner und Thomas Steinebrunner