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Noch sechs Wochen im Corona-Schuljahr

Schulen bekommen Arbeitsaufträge über die Medien

Der Unmut an den Schulen im Land nimmt zu. Grund dafür ist vor allem die schlechte Kommunikation des Kultusministeriums. Die GEW hält eine komplette Öffnung für unrealistisch und kritisiert den Umgang der Landesregierung mit ihren Lehrkräften.

Die Bildungsgewerkschaft GEW rät den Eltern in Baden-Württemberg, den Ankündigungen zu den geplanten Schulöffnungen in diesem Schuljahr nicht zu vertrauen.

„Leider wird mit Blick auf den Wahlkampf öffentlichem Druck nachgegeben statt eine verlässliche Planung für die Kinder, Eltern und Lehrkräfte zu garantieren. Wie soll die komplette Öffnung der Grundschulen mit 70 Prozent der Lehrkräfte funktionieren? Bei uns melden sich zahlreiche wütende Lehrkräfte und Schulleitungen, die erneut ihre Arbeitsaufträge für die nächsten Wochen aus den Medien erfahren und deren Kompetenz und Einschätzung der Situation ignoriert wird. In den verbleibenden gut sechs Schulwochen bis zu den Sommerferien muss es darum gehen, möglichst vielen Kindern und Jugendlichen regelmäßig unter sicheren Bedingungen die Rückkehr in die Klassenzimmer zu ermöglichen. Eine komplette Öffnung in diesem Corona-Schuljahr ist illusorisch“, sagte Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg, in Stuttgart.

Lehrkräfte als Spielball der Landesregierung

Die GEW sagt, dass der Wunsch bei allen Beteiligten der Gleiche sei: „Eltern und Lehrkräfte wollen, dass Kinder und Jugendliche wieder in Kitas und Schulen gehen können. Das geht aber nicht um jeden Preis. Die Ankündigung der kompletten Öffnung von Kitas und Grundschulen Ende Juni ohne klare virologisch entlastende Grundlage trifft bei der GEW auf wenig Verständnis. Die Teilergebnisse der Heidelberger Studie geben zwar Hinweise auf die geringere Infektionsgefahr bei Kindern unter den Bedingungen des Abstandsgebots in der Notbetreuung. Aber was ist mit den tausenden Lehrkräften, die dann von ihrem Arbeitgeber einem höheren Risiko ausgesetzt werden? Warum soll eine Grundschullehrerin beim Einkauf im Supermarkt 1,50 Meter Abstand halten und einen Mundschutz tragen, aber im Klassenzimmer mit 28 Kindern ohne entsprechende Schutzmaßnahmen Unterricht halten“, so Moritz.

Die GEW kritisiert die Kommunikation des Kultusministeriums mit den Schulleitungen. „Auch in dieser Woche wurden wieder neue Regeln über die Medien verkündet. Eine Stunde später werden die Schulleitungen von den ersten Eltern angerufen. Die Schulleitungen haben bis heute noch keine Informationen aus dem Kultusministerium“, kritisiert die GEW-Landesvorsitzende. Vor zwei Wochen wurden die Schulleitungen verpflichtet, für die Zeit nach den Pfingstferien die Rückkehr der Grundschulklassen an die Schulen unter Einhaltung des Abstandsgebots im wochenweisen Wechsel zu organisieren, parallel zur Notbetreuung und dem Fernunterricht für die jeweils zu Hause lernenden Kinder.

Die GEW verlangt vom Kultusministerium die Ergebnisse der Umfrage zur Personal- und Raumsituation, die Anfang Mai an allen Schulen erhoben wurde. Auch die komplette sogenannte Kinderstudie müsse ausgewertet werden, bevor weitere Entscheidungen auch für das nächste Schuljahr getroffen werden.

Einige Rückmeldungen aus den Schulen:

„Mein Schulleiter ist seit Anfang März sechs Tage die Woche in der Schule. Er ist über 60 und gehört aus gesundheitlichen Gründen zur Risikogruppe. Warum sorgt das Kultusministerium nicht für eine Entlastung der Schulleitungen?“

„Wir – Lehrer, Eltern, Kinder – werden wie eine Herde Schafe mal in die eine, mal in die andere Richtung gescheucht, aber nie mal nach unserer Meinung gefragt. Wir machen, wie ich finde, einen echt guten Job in dieser Krise. Keiner macht es sich leicht und alle haben Konzepte entwickelt, die zum Besten der Kinder und Eltern gewesen wären. Am Ende fehlt dann leider doch das Vertrauen in uns, sonst hätte man uns die Ausgestaltung der letzten Schulwochen einfach überlassen müssen, zumal das Ministerium auch von Anfang an eine Begründung für den wöchentlichen Wechselzwang schuldig geblieben ist.

Am meisten Kraft kosten das Hin und Her und der Ärger darüber. Und dann erfahren wir aus den Medien, wie es weitergeht, während auf der Kultusministeriumsseite, über die wir uns ja informieren sollen, noch nichts davon steht! Die Eltern rufen an, fragen uns, aber wir wissen von nichts. Eigentlich hatten wir jetzt auf eine kleine Auszeit gehofft, in der sich die Daueranspannung mal etwas hätte beruhigen können.“

„Ich habe meinen Beruf als Grundschullehrerin immer sehr leidenschaftlich und mit viel Herzblut ausgeübt. Aktuell schwanke ich gefühlsmäßig jedoch zwischen Ärger und Fassungslosigkeit über das Kultusministerium, totaler Erschöpfung, Frustration und dem stetigen Druck, ausgeübt durch die Eltern, die auch in Zeiten der Krise immer mehr von uns Lehrern erwarten.

Seit Krisenbeginn arbeiten wir in der Schule sehr hart, um unsere Schüler zu unterstützen: Wir packen liebevoll gestaltete Lernpakete, stehen per Email mit Rat und Tat zur Seite, arbeiten am Portfolio, telefonieren mit den Kindern, halten Onlineelternabend, drehen Lernvideos, machen Onlinesprechstunden mit den Kindern, machen Notbetreuung, bilden uns digital fort, halten Präsenzunterricht in Klasse 4 und planen die Zeit nach den Pfingstferien. Bei den meisten von uns übersteigt die tatsächliche Arbeit gerade die eigentlichen Deputatsstunden völlig. Ich möchte gar nicht davon sprechen, dass zum Beispiel ich (wie viele andere auch) noch zwei Kindergartenkinder zu Hause zu betreuen habe, da die Notbetreuung ja nur für die Tage beziehungsweise die Zeit meines Präsenzunterrichts greift. Dann ist es besonders frustrierend, wenn man mit der Planung der letzten Wochen nach den Ferien in den letzten Zügen steckt und plötzlich aus der Presse erfahren muss, dass nun auf einmal eine vollständige Schulöffnung geplant ist.

Wir fragen uns: Sind damit all unsere bisherigen Planungen für die Zeit nach den Pfingstferien für die Tonne? Warum wird so eine Information nicht zuerst an die Schulen gegeben, damit diese Zeit haben, sich zu informieren oder einen neuen Plan zu entwickeln bevor es die Presse erfährt und die Eltern Sturm laufen? Heute Morgen habe ich zufällig im Internet die neue Notverordnung für Schulen ab Juni entdeckt – sie ist genauso schwammig formuliert, wie die letzte. Was soll ich den Eltern heute Abend im Onlineelternabend (auf den sie gerade bestehen) sagen? Ich habe einen Fragenkatalog im Vorfeld bekommen, von dem ich circa vier von 15 Fragen beantworten kann. Warum werden uns Lehrern denn so viele Steine in den Weg gelegt? Wir rackern uns ab und können langsam nicht mehr. Ich fühle mich gerade wie ein Versuchskaninchen.

Den (Grundschul-)Lehrern wird unterstellt, Coronafrei gehabt zu haben. Wir sind die Buhmänner und nicht einmal A 13 würdig. Das finde ich mehr als ungerecht. Wenn das Kultusministerium weiter so mit uns Lehrern umgeht, muss es einen noch größeren Lehrermangel befürchten, denn dann brechen ab Herbst noch einige Lehrer wegen Burnout weg.“

„Ich bin an einer Grundschule tätig und lese gerade auf der SWR-Homepage mit Entsetzen, dass die Landesregierung die Schulen ohne Sicherheitsabstandsregeln wieder aufmachen will. Ich gehöre zwar nicht eindeutig zur Risikogruppe, bin aber gesundheitlich angeschlagen und finde es unverantwortlich, welcher Gefährdung die Landesregierung uns auszusetzen gedenkt. Die Auftragsstudie, die ja noch nicht einmal abschließend bewertet ist, sagt wohl, dass von Kindern keine größere Gefahr ausgehe, aber wie wir ja wissen, gibt es auch andere Studienergebnisse. Ich habe einfach Angst!“

Kontakt
Matthias Schneider
Landesgeschäftsführer, Pressesprecher
Telefon:  0711 21030-14
Mobil:  0160 4458395